Heidelberg,
17
Mai
2019
|
09:07
Europe/Amsterdam

Die Rolle der Psyche mehr berücksichtigen

Zusammenfassung

Professor Dr. Hans-Christoph Friederich ist neuer Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik Heidelberg | Kooperationen mit anderen Fachdisziplinen sollen Wechselwirkungen zwischen Psyche und chronischen körperlichen Beschwerden beleuchten

Der neue Ärztliche Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik Heidelberg stammt zwar aus der Gegend um Mainz, ist aber in seiner ärztlichen Laufbahn ganz und gar ein „Heidelberger Gewächs“: Professor Dr. Hans-Christoph Friederich ist der Klinik bereits seit 1999 verbunden und ist nun – nach vierjähriger Tätigkeit am Universitätsklinikum Duisburg-Essen und am Universitätsklinikum Düsseldorf – Nachfolger seines langjährigen Mentors Professor Dr. Wolfgang Herzog. Das umfangreiche Behandlungsspektrum der Klinik bleibt nach dem Wechsel erhalten und reicht von verschiedenen psychischen, häufig stressbedingten Erkrankungen, die sich in körperlichen Symptomen wie z.B. Reizmagen zeigen, bis hin zu körperlichen Erkrankungen – hier insbesondere Krebs und Herzleiden –, die Ängste oder Depressionen hervorrufen. Ein Schwerpunkt ist weiterhin die Therapie bei Essstörungen. Darüber hinaus plant Prof. Friederich sogenannte integrierte, gestufte Versorgungsangebote weiter auszubauen: Gemeint sind für Betroffene leichter in den Alltag integrierbare Konzepte wie die in Heidelberg inzwischen gut etablierte Abendklinik für Berufstätige oder niederschwellige Angebote wie die im Rahmen eines Pilotprojektes angebotenen Videokonsultationen in Hausarztpraxen. Die Grundlagenforschung soll gestärkt werden. Insbesondere soll es darum gehen, die Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist in Kooperationen mit anderen Fachdisziplinen genauer auszuleuchten und zu verstehen.

Die Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik Heidelberg ist als einzige Psychosomatische Abteilung in Deutschland gleichzeitig in eine Internistische Medizinische Klinik und in ein Zentrum für Psychosoziale Medizin integriert. In einem "Drei-Stufen-Modell der Psychosomatik" wird – je nach Beschwerdebild des Patienten – auf der allgemein-internistischen Station, auf der internistisch-psychosomatischen Station oder auf den beiden spezialisierten Psychosomatik- und Psychotherapiestationen behandelt. „Rund ein Drittel der Patienten mit chronischen körperlichen Erkrankungen leiden gleichzeitig unter psychischen Beschwerden. Umgekehrt ist die Hälfte der psychisch Erkrankten auch von chronischen körperlichen Erkrankungen betroffen“, erläutert Friederich, Facharzt für Innere Medizin sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. „Trotz dieser großen Schnittmenge werden die psychosoziale Faktoren von Krankheit in den gängigen Therapiekonzepten noch zu wenig berücksichtigt.“

Psychosomatische Therapien bedarfsgerecht zugänglich machen

Am Universitätsklinikum Heidelberg ist man auf einem guten Weg, da insbesondere bei Patienten mit komplexen bis hin zu lebensbedrohlichen Erkrankungen, wie sie in einem Krankenhaus der Maximalversorgung behandelt werden, häufig die Psyche in Mitleidenschaft gezogen wird. Umgekehrt können psychische Leiden Krankheitsverläufe ungünstig beeinflussen. „Letztlich spielt die Psychosomatik in allen medizinischen Fächern eine Rolle und gewinnt gerade im Rahmen von Zertifizierungen an Bedeutung“, erläutert Friederich. „Wir sind daher sehr breit aufgestellt, bieten klinikumsweit Konsil-Dienste an, begleiten Visiten oder sind mit Ambulanzen und `fest stationierten´ Mitarbeitern vor Ort in den Kliniken vertreten.“

Darüber hinaus ist es ihm ein Anliegen, über integrierte und gestufte Versorgungsangebote psychosomatische Therapien bedarfsgerecht zugänglich zu machen und frühzeitige Intervention zu ermöglichen. Erste Schritte in diese Richtung sind die psychotherapeutische Abendklinik – ein Angebot für Patienten mit Depressionen oder psychischen Krisen, bei denen eine ambulante Psychotherapie nicht ausreicht, eine stationäre oder tagsklinische Behandlung aber z.B. aufgrund der familiären oder beruflichen Situation nicht gewünscht ist – und die 2018 im Rahmen eines Pilotprojekts gestarteten Videokonsultationen in Hausarztpraxen. „Hausärzte sind zunehmend mit psychosomatischen Beschwerden ihrer Patienten konfrontiert. Die gemeinsame Besprechung von Hausarzt, Psychotherapeut und Patient via Videokonferenz erlaubt eine frühzeitige Intervention, baut Hemmungen bei den Patienten ab, und erspart Arzt und Patienten die frustrierende Suche nach der passenden Therapie für meist sehr diffuse körperliche Symptome“, so der Psychosomatiker. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Zusammenhänge auf molekularer Ebene klären: Warum lähmt Stress das Herz?

Über welche molekularen Signalwege beeinflussen beruflicher und privater Stress sowie Depressionen das körperliche Empfinden oder sogar die Gesundheit? Welche Rolle spielen Lebensgewohnheiten und -umstände? Die Erforschung dieser Wechselwirkungen soll neben der Therapieforschung ein neuer wissenschaftlicher Schwerpunkt der Klinik werden. „Über die Zusammenhänge biomedizinischer und psychosozialer Faktoren wissen wir noch sehr wenig. Doch gerade dieses Wissen kann neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen“, so Friederich. So will er mit seinem Team in Kooperation mit Kollegen der Abteilung für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie sowie der Abteilung für Molekulare Kardiologie und Epigenetik den Mechanismen des „Broken-Heart-Syndroms“, dem Paradebeispiel einer psychisch verursachten, akuten körperlichen Erkrankung, auf die Spur kommen. Die Funktionsstörung des Herzens wird durch starken emotionalen Stress – beispielsweise das namensgebende gebrochene Herz – ausgelöst, fühlt sich an wie ein Herzinfarkt, ohne dass entsprechende Schäden vorliegen, und kann zum Tod führen. Wie genau es dazu kommt, dass sich bei manchen Betroffenen Teile des Herzmuskels trotz ansonsten guter Herzgesundheit nicht mehr kontrahieren, ist völlig unklar.

Zur Person

Professor Dr. Hans-Christoph Friederich, geboren 1971 in Mainz, studierte in Heidelberg Medizin. Nach seinem Abschluss war er ab 1999, unterbrochen von einem einjährigen Forschungsaufenthalt an der King’s College University, London, in der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik Heidelberg tätig – zunächst als Arzt im Praktikum und Assistenzarzt, später als Oberarzt der Psychotherapiestation und Tagesklinik sowie ab 2009 als Leitender Oberarzt und Stellvertreter des Ärztlichen Direktors. Ab 2012 leitete er zudem die Sektion Psychoonkologie an Klinik und Nationalem Centrum für Tumorerkrankungen (NCT). 2009 habilitierte sich Friederich mit Untersuchungen zur Psychopathologie von Essstörungen. 2016 nahm er einen Ruf an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf an und war bis 2018 Ärztlicher Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum und dem LVR-Klinikum Düsseldorf. Insbesondere für seine Therapieforschung bei Essstörungen wurde er mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM), des Verbandes der Psychosomatischen Krankenhäuser und Krankenhausabteilungen (VKPD) sowie der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen (DGESS).