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Interview mit Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus

Portrait Prof. Debus im Bestrahlungsraum
Prof. Debus in einem der beiden Behandlungsräume mit Horizontalstrahl

Ärztlicher Direktor der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie des Universitätsklinikums Heidelberg 

 

Wissenschaftlich-medizinischer Leiter des HIT

 

Interview vom November 2009

 


 

Am 2. November 2009 wurde das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum, kurz HIT genannt, nach sechsjähriger Bauzeit feierlich eröffnet. Beginnt nun in Heidelberg eine neue Ära in der onkologischen Strahlentherapie?
Das HIT ist sicherlich eines der größten medizinischen Forschungsprojekte, die jemals in Deutschland umgesetzt wurden. Das Universitätsklinikum Heidelberg ist stolz darauf, eine weltweit einzigartige Strahlentherapie-Anlage betreiben zu können, die mit Technologien von internationaler Spitzenklasse ausgestattet ist. Mit dem HIT beschreiten wir einen einzigartig innovativen, sehr erfolgversprechenden Weg innerhalb der onkologischen Strahlentherapie. Eine Bestrahlung mit Ionen wird vielen Krebspatienten helfen. Die klinischen Studien, die wir für die kommenden Jahre planen, werden uns zeigen, welche Tumoren mit welcher Strahlenqualität am erfolgreichsten behandelt werden können – ob mit Protonen, Schwerionen oder den konventionell eingesetzten Photonen. Das sind ganz wichtige Erkenntnisse, um eine Bestrahlung noch individueller auf jeden Tumorpatienten zuschneiden zu können und damit die Heilungschancen des einzelnen zu verbessern. Damit werden wir international neue Maßstäbe setzen können.

Ich möchte erwähnen, dass dieses Projekt erfolgreich realisiert werden konnte, weil schon in der Planungsphase vier international renommierte Partnerinstitute zusammen gearbeitet haben: die Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie des Universitätsklinikums Heidelberg, das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, Darmstadt, das Deutsche Krebsforschungszentrum, Heidelberg, und das Forschungszentrum Dresden-Rossendorf. HIT wurde als Kooperationsprojekt zwischen dem Universitätsklinikum Heidelberg und der Siemens AG Deutschland umgesetzt, die für die Installation der Bestrahlungseinheiten verantwortlich zeichnet.

 

Noch in diesem Jahr sollen die ersten Krebspatienten bestrahlt werden. Viele verbinden große Hoffnungen mit dieser Therapie. Doch wie vielen kann durch eine Bestrahlung im HIT tatsächlich geholfen werden?
Wir gehen davon aus, dass ca. fünf bis zehn Prozent aller Krebspatienten von einer Strahlentherapie mit Protonen oder Schwerionen profitieren werden. Das entspricht ca. 10.000 Patienten pro Jahr. Wenn das HIT in zwei Jahren sein Kapazitätsmaximum erreicht hat, können hier jährlich 1.300 Menschen bestrahlt werden. Dazu gehören Patienten, die auf die herkömmliche Photonentherapie – die Röntgen- oder Gammabestrahlung – gar nicht oder nur schlecht ansprechen und deren Tumor trotz Bestrahlung weiter wächst. Dazu gehören auch Tumoren, die tief im Körper liegen oder von extrem strahlenempfindlichem gesunden Gewebe umgeben sind, wie beispielsweise Auge, Sehnerv, Hirnstamm oder Darm. Es ist in diesen Fällen mit der herkömmlichen Strahlentherapie technisch einfach nicht möglich, eine ausreichend hohe, den Tumor zerstörende Strahlendosis zu verabreichen und gleichzeitig das Normalgewebe oder angrenzende Organe ausreichend zu schonen. Das HIT soll mit seiner technischen Ausstattung der Spitzenklasse und der sehr wirksamen Protonen- und Schwerionenstrahlung diese Behandlungslücke schließen. 

 

Welche Tumorpatienten werden im HIT bestrahlt?
Wir werden mit der Bestrahlung von Patienten beginnen, die an Chordomen und Chondrosarkomen der Schädelbasis leiden – das sind Tumoren, die vom Knochen- und Knorpelgewebe dieser Region ausgehen –, sowie Patienten mit großen adenoidzystischen Speicheldrüsenkarzinomen. Im Rahmen unserer klinischen Studien beim GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung wurden in den Jahren 1997 bis 2008 über 400 Patienten mit diesen Tumoren äußerst erfolgreich mit Schwerionen bestrahlt, ein großer Teil konnte geheilt werden. Diese exzellenten Studienergebnisse haben den Grundstein gelegt für den Bau des HIT. Die genannten Tumoren gelten heute als eindeutige Indikation für eine Therapie mit Schwerionen. Wir freuen uns, dass unser über viele Jahre erworbenes Know-how bei der Schwerionentherapie nun den Patienten im HIT zugutekommt. 

 

Welche klinischen Studien mit Patienten sind im HIT geplant?
Das HIT ist die europaweit erste in ein Krankenhaus integrierte Therapie-Anlage, an der mit Protonen und Schwerionen bestrahlt werden kann. Damit sind vergleichende klinische Studien möglich.

Wir planen für die kommenden Jahre mehrere klinische Studien, in denen wir untersuchen wollen, welche weiteren, strahlentherapeutisch bisher schwer zu beherrschenden Tumoren mit Protonen oder Schwerionen effektiver behandelt, vielleicht sogar geheilt werden können. Diese Studien werden sehr sorgfältig vorbereitet und nach und nach in den nächsten Jahren aktiviert. Die Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie des Universitätsklinikums Heidelberg hat gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) und den Krankenkassen eine Liste von Tumorerkrankungen erstellt, die für klinische Studien im HIT vorgesehen sind. Sie ist auf unserer Website einzusehen. Dazu gehören z.B. Patienten mit bestimmten Tumoren der Prostata, der Lunge und der Leber sowie Tumoren bei Kindern. 

 

Warum profitieren insbesondere auch Kinder von einer Therapie im HIT?
Bei Kindern ist es besonders wichtig, Langzeitnebenwirkungen einer Therapie zu vermeiden. Da es mit Ionenstrahlen sehr gut möglich ist, das gesunde Gewebe zu schonen, können Wachstums- und Entwicklungsdefizite sowie das Entstehen von Zweittumoren vermieden werden. Zu den häufigsten kindlichen Tumoren, die in den nächsten Jahren in klinischen Studien im HIT bestrahlt werden, gehören Hirntumore und Weichteiltumore, die so genannten Sarkome.  

 

Heidelberg wird das Koordinationszentrum aller in Deutschland durchgeführten klinischen Studien zur Protonenbestrahlung sein. Welche anderen deutschen Zentren führen eine solche Therapie durch?
In Deutschland werden in den nächsten drei Jahren noch zwei weitere Zentren in Marburg und Kiel eine kombinierte Protonen- und Kohlenstoffionentherapie anbieten. Ein Zentrum in München, das Rinecker Proton Therapy Center (RPTC), hat im März 2009 die Bestrahlungen mit Protonen aufgenommen. Das Westdeutsche Protonentherapiezentrum Essen wird im nächsten Jahr folgen.

Die Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie wird in Abstimmung mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, als Koordinationszentrum wirken, die klinischen Studien abstimmen und die Ergebnisse zusammenführen. Damit wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) beauftragt. Das HIT ist auf längere Zeit die einzige Therapie-Anlage weltweit, an der an einer Gantry mit Protonen und mit Schwerionen bestrahlt werden kann. 

 

Warum kann man mit Ionenstrahlung so außerordentlich präzise bestrahlen?
Ionenstrahlung besteht aus Ionen. Das sind elektrisch geladene Teilchen – Protonen oder Schwerionen. Sie hat gegenüber der herkömmlichen Photonenbestrahlung mehrere Vorteile. Der Ionenstrahl durchschlägt das Gewebe schnell wie ein Pfeil. Dabei verliert er im Gegensatz zum Photonenstrahl kaum Energie durch Streustrahlung an das Nachbargewebe und gibt erst ganz am Ende seiner Reichweite – dort, wo der Tumor liegt – seine gesamte wirksame Energie auf einen Schlag an das Gewebe ab. Man nennt diesen Bereich Bragg-Peak. Hier erreicht die Strahlung ihren Spitzenwert. Hinter dem Tumor fällt die Dosis auf nahezu null ab. Das heißt, das benachbarte, vor und hinter dem Tumor liegende Normalgewebe, wird bei einer Ionentherapie so optimal wie niemals zuvor geschont – das ist besonders wichtig, wenn empfindliche Organe wie Auge oder Darm benachbart sind.

Je nach Lage des Tumors im Körper kann der Ionenstrahl so gesteuert werden, dass er bis zu 30 Zentimeter tief ins Gewebe eindringt – und damit bis zu zehnmal tiefer als ein Photonenstrahl. Darum erhalten mit einer Ionentherapie auch tief im Körper lokalisierte Tumoren eine ausreichend hohe Strahlendosis. 

 

Hat die Ionenstrahlung neben ihrer höheren Präzision noch weitere Vorteile?
Schwerionen sind zusätzlich auch biologisch wirksamer. Sie haben eine größere Zerstörungskraft als die konventionelle Photonenstrahlung. Das heißt, eine mit Schwerionen bestrahlte Tumorzelle stirbt mit wesentlich größerer Wahrscheinlichkeit ab, weil das Erbgut der Zelle irreparabel geschädigt wird. Nach einer Photonenbestrahlung sind die Schäden am Erbgut oft weniger gravierend und können von der Tumorzelle repariert werden.

Schwerionen können außerdem auch Tumoren zerstören, die sehr langsam wachsen oder schlecht durchblutetet sind. Hier können Photonen therapeutisch so gut wie nichts ausrichten.

Außerdem können mit Ionenstrahlen höhere Dosen verabreicht werden. Denn weil sie so genau treffen und gesundes Gewebe verschont bleibt, kann die Strahlendosis im Vergleich zur konventionellen Photonenbestrahlung erhöht werden – und zwar um bis zu 20 Prozent bei einer Protonenbestrahlung und um bis zu 35 Prozent bei einer Schwerionenbestrahlung. Je höher die Dosis, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient geheilt werden kann. 

 

Das HIT ist mit technischen Innovationen von internationaler Spitzenklasse ausgestattet. An erster Stelle ist die  Schwerionen-Gantry zu nennen. Welche Vorteile bringt eine Gantry für die Therapie mit sich?
Das HIT ist die weltweit erste Therapie-Anlage mit einer Schwerionen-Gantry. Eine Gantry ist eine um 360° rotierbare Bestrahlungsquelle. In der konventionellen Strahlentherapie kommt sie schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich zum Einsatz, so dass wir auf diese Erfahrungen aufbauen können. Im HIT wird diese Technologie erstmals für Schwerionen nutzbar gemacht. 

Mit einer Gantry lässt sich der optimale Einstrahlwinkel des Therapiestrahls einstellen. Das ist bei kompliziert lokalisierten Tumoren hilfreich, wenn sehr strahlenempfindliches Gewebe im Einstrahlkanal des Therapiestrahls liegt. Um dieses Gewebe zu schützen, wird der Tumor aus verschiedenen Richtungen aus bestrahlt. Dabei rotiert die Gantry um den Patienten und bestrahlt von jeder Position aus mit der vorgegebenen Strahlenintensität. Die einzelnen Therapiestrahlen kreuzen sich im Tumor und addieren sich nur hier zur Gesamtdosis. Benachbartes gesundes Gewebe wird dadurch nur einem Bruchteil der Strahlendosis ausgesetzt und nimmt keinen Schaden.

Die Gantry wird erst 2010 in Betrieb gehen, weil die Anlage schrittweise in Betrieb genommen werden muss.  Wir beginnen zunächst mit den Bestrahlungen an den beiden anderen Bestrahlungsplätzen, die mit einem horizontalen festen Therapiestrahl ausgestattet sind. 

 

Ein Krebspatient, der im HIT bestrahlt wird, erhält eine Strahlentherapie von weltweit größter Präzision und von weltweit höchster Sicherheit. Wie kann das gewährleistet werden?
Im HIT kommt das so genannte „Intensitätsmodulierte Rasterscan-Verfahren“ zum Einsatz, ein Bestrahlungsverfahren, mit dem tatsächlich eine weltweit niemals zuvor erreichte Präzision in der dreidimensionalen Bestrahlung von Tumoren erreicht wird. Bei diesem Verfahren wird der Tumor punktförmig vom Therapiestrahl „abgetastet“ und jeder einzelne Punkt mit der vorher berechneten Solldosis bestrahlt. Bildlich kann man sich das im Ergebnis dann so vorstellen: Maßgeschneiderte Strahlenbündel „ummanteln“ den Tumor millimetergenau – ähnlich wie ein Fingerhandschuh die Hand hautnah umhüllt. Entsprechend präzise ist die Bestrahlung.

Außerdem kommt im HIT  die „Online-Therapie-Kontrolle“ zum Einsatz, mit der Lage und Intensität des Therapiestrahls im Körper 10.000 Mal pro Sekunde am Computer überprüft werden. Bei geringsten Abweichungen schaltet das Gerät innerhalb von einer halben Millisekunde ab – und reagiert damit 1.000 Mal schneller als ein Mensch im Reflex. Sicherer geht es nicht. 

 

Wenn man sich die einzigartige Technik des HIT und die Vorteile der Ionenstrahlung vor Augen führt, liegt die Frage nahe, welche Bedeutung der herkömmlichen Strahlentherapie mit Photonen zukünftig noch zukommt?
Die konventionelle Strahlentherapie mit Photonen wird schon aus Gründen der Kapazität weiterhin ein unverzichtbarer Pfeiler in der onkologischen Therapie bleiben. Sie ist nach der Operation die erfolgreichste und am häufigsten eingesetzte Krebstherapie – und wird das auch bleiben.

Durch bahnbrechende Entwicklungen in der Medizinphysik und in der Informatik kam es in den letzten Jahrzehnten zu einer enormen Qualitätssteigerung auf dem Gebiet der Strahlentherapie mit Photonen und zu immer größeren Heilungserfolgen. Ermöglicht wurde dies durch die sehr leistungsfähigen Verfahren der Bildgebung wie Computer- und Magnetresonanztomografie, durch die Dreidimensionale Strahlentherapie-Planung und Computersimulation und durch die vielen verschiedenen, heute zur Verfügung stehenden Bestrahlungstechniken, aus denen für jeden Krebspatienten individuell das passende Verfahren ausgewählt wird.

Erwähnen möchte ich auch, dass beispielsweise die Intensitätsmodulierte Strahlentherapie oder auch eine Gantry schon seit vielen Jahren in der konventionellen Strahlentherapie sehr erfolgreich eingesetzt werden. Im HIT werden sie nun erstmals für die Ionentherapie nutzbar gemacht. 

 

Welche Verfahren der konventionellen Strahlentherapie werden am Universitätsklinikum Heidelberg angeboten?
Alle – die „Intraoperative Strahlentherapie“, die „Intensitätsmodulierte Strahlentherapie“, die „Fraktionierte Stereotaktische Radiotherapie“, die „Tomotherapie“ und die „Bildgestützte Strahlentherapie“. Bei der Bestrahlungsplanung kommen die „Dreidimensionale Strahlentherapie-Planung“ und die „Virtuelle Simulation“ zum Einsatz.

Der Standort Heidelberg hat den Vorteil, das gesamte Arsenal der modernen strahlentherapeutischen Diagnostik und Therapie aus einer Hand anbieten zu können, weil HIT, Uni-Klinikum und benachbarte Forschungsinstitutionen, wie z.B. das Deutsche Krebsforschungszentrum, die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg mit ihrem Forschungsschwerpunkt Onkologie und das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen, räumlich und personell eng zusammen arbeiten. Das HIT ist eingebettet in ein einzigartiges klinisches und wissenschaftliches Umfeld. Jeder Strahlentherapie-Patient in Heidelberg erhält eine Bestrahlung auf international höchstem Niveau, egal, welches Verfahren zum Einsatz kommt. Das können nur wenige Standorte auf der Welt leisten. 

 

Wie können Patienten Kontakt zu den Ärzten im HIT aufnehmen?
Patienten können sich entweder persönlich oder über ihren behandelnden Arzt an uns wenden. Unsere Hotline ist unter +49 6221 56-5445 erreichbar. Anlaufstelle ist die Ambulanz der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie in der Kopfklinik Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, Tel. 06221 56-7611. Oder sie können eine E-Mail schreiben an strahlentherapie(at)med.uni-heidelberg.de. Weitere Informationen stehen auf unserer Website. Wichtig ist es, alle bisherigen Befunde und Unterlagen mitzubringen.