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Interview mit Professor Dr. Thomas Haberer

Porträt Prof. Haberer
Prof. Haberer vor einem Modell der Beschleunigeranlage des HIT

Wissenschaftlich-technischer Direktor des HIT

 

Interview vom November 2009

 


 

Im Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum, HIT, wird für die Bestrahlung von Krebspatienten Ionenstrahlung eingesetzt. Was sind Ionen? Welche Ionen kommen im HIT zum Einsatz?
Ionen sind Atome, aus deren Hülle Elektronen entfernt wurden. Somit sind diese Ionen positiv geladen und können in elektromagnetischen Feldern beschleunigt und geführt werden. Im HIT werden Protonen - das Proton ist das Ion des Wasserstoffatoms -, Helium-, Kohlenstoff- und Sauerstoffionen eingesetzt. Protonen und Heliumionen ermöglichen gegenüber den in der konventionellen Strahlentherapie verwendeten Photonen eine präzisere Bestrahlung des zu behandelnden Volumens und somit eine deutlich

geringere Belastung des gesunden Gewebes, insbesondere der Risikoorgane. Neben dieser erhöhten Präzision in der Lokalisierung der Dosisverteilung zeichnen sich Kohlenstoff- und Sauerstoffionen durch eine erhöhte Wirksamkeit speziell am Ende ihrer Reichweite, also im Tumorgewebe, aus. Für die erste Phase der Patientenbehandlung werden Protonen und Kohlenstoffionen verwendet.

 

Wie werden die Ionen im HIT erzeugt?
Das HIT-Beschleunigersystem verfügt über zwei Ionenquellen, die derzeit im Parallelbetrieb Protonen- und Kohlenstoffstrahlen erzeugen. Herzstück der Ionenquelle ist die Plasmakammer, in der Magnetfelder die Ionen und Elektronen auf Kreisbahnen halten und Mikrowellen zur effizienten Heizung überlagert werden. In die Plasmakammer wird  ein zunächst neutrales Gas geleitet. Aufgrund der Heizung werden die sich aus der Atomhülle lösenden Elektronen hoch beschleunigt und ionisieren nun weitere Gasmoleküle. Aus dem nun entstehenden Plasma werden die positiv geladenen Ionen durch Anlegen einer Hochspannung aus der Kammer extrahiert.

 

Was passiert im Linearbeschleuniger?
Im Linearbeschleuniger werden aus dem konstanten Strom aus den Ionenquellen Teilchenpakete gebildet, die in Hochfrequenzstrukturen simultan beschleunigt und gebündelt werden. Der HIT-Linearbeschleuniger arbeitet mit einer Frequenz von 216 MHz (Megahertz) und ermöglicht auf diese Weise binnen einer extrem kurzen Strecke von nur fünf Metern die Beschleunigung der Ionen auf etwa 10 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.

 

Was passiert im Synchrotron?
Im Synchrotron werden die vom Linearbeschleuniger gelieferten Ionenpakete mittels ringförmig angeordneter Magnete in eine Kreisbahn gelenkt und während etwa einer Million Umläufe in hochfrequenzgespeisten Beschleunigerstrukturen sukzessive auf bis zu 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit gebracht. Da die magnetischen Führungsfelder synchron mit steigender Energie des umlaufenden Strahls geändert werden, wird dieser Beschleunigertyp Synchrotron genannt.

 

Können Sie kurz den Weg der Ionen bzw. des Therapiestahls von seiner Erzeugung bis zum Patienten beschreiben?
Der aus den Ionenquellen extrahierte Therapiestrahl wird in der Niederenergiestrahlführung zum Linearbeschleuniger geführt, dort für die Injektion in das Synchrotron vorbeschleunigt und in der Mittelenergiestrahlführung zum Ringbeschleuniger transportiert. Im Synchrotron werden die Ionenpakete auf diejenige Endenergie beschleunigt, welche zur Bestrahlung des aktuell behandelten Patienten benötigt wird. Ein kombiniertes Extraktionssystem aus elektrostatischen und magnetischen Feldern leitet den Therapiestrahl in die Hochenergiestrahlführung, welche bis an den Behandlungsraum reicht.

 

Im HIT wird die weltweit höchste Präzision bei einer Strahlentherapie erreicht, weil eine besondere Bestrahlungsmethode zum Einsatz kommt, die „Intensitätsmodulierte Strahlentherapie“. Sie wurde unter Ihrer Leitung beim GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung entwickelt. Wie funktioniert dieses Verfahren?
Im HIT kommt das intensitätskontrollierte Rasterscan-Verfahren zum Einsatz, welches im Rahmen meiner Doktorarbeit beim GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung entwickelt wurde. Diese Methode ist das weltweit präziseste Bestrahlungsverfahren. Es kombiniert die seitliche Ablenkung der Ionen in schnellen Magneten mit der Variation der Strahlenergie im Synchrotron, um die Reichweite des Therapiestrahls im Patienten exakt festlegen zu können. Mit Hilfe eines Computertomographen wird das zu bestrahlende Volumen exakt festgelegt und in wenige Millimeter dünne Schichten aufgeteilt. Im Rahmen der Bestrahlungsplanung wird nun jede Schicht in Bildpunkte zerlegt und für jeden der bis zu 100.000 Bildpunkte die optimale Teilchenzahl errechnet. Der auf wenige Millimeter gebündelte Ionenstrahl rastert nun Schicht für Schicht das Behandlungsvolumen ab und erzeugt intensitätsmodulierte und exakt an die zu bestrahlenden Konturen angepasste Dosisverteilungen, wodurch empfindliche Organe bestmöglich geschont werden können.

 

Trotz einer derart komplexen Technik und hohen Strahlungsenergien wird im HIT bei einer Bestrahlung die weltweit höchste Sicherheit gewährleistet? Hierzu wird die Online-Therapie-Kontrolle eingesetzt. Wie funktioniert sie?
Die Voraussetzung für den Einsatz der Rasterscan-Technik ist ein Kontroll- und Sicherheitssystem, das den komplexen Bestrahlungsprozess mit hoher Zeitauflösung überwacht. Herzstück dieses Systems sind Strahlmonitore, die bis zu 100.000mal in der Sekunde den Therapiestrahl vermessen und die Unterbrechung der Bestrahlung in weniger als einer tausendstel Sekunde möglich machen. Dieses Sicherheitssystem wurde vor der Freigabe von HIT für die Patientenbehandlung in mehreren Tausend Tests erfolgreich überprüft . Auch in der kommenden Betriebsphase werden regelmäßige Prüfungen sämtlicher Systeme vorgenommen.

 

Was ist eine Schwerionen-Gantry?
Die Schwerionengantry ist eine aufwendige Konstruktion, welche es erlaubt den Ionenstahl 360° um den Patienten zu drehen, um den optimalen Einstrahlwinkel für die Behandlung einzustellen. Somit können benachbarte wichtige Strukturen wie Auge oder Darm in schwierigen klinischen Konstellationen – das heißt, wenn sie dem Tumor dicht benachbart sind -, maximal geschont werden. Die HIT-Gantry ist die weltweit erste Realisierung einer drehbaren Strahlführung für Kohlenstoffionen. Zugleich ist in unsere Gantry das intensitätssgesteuerte Rasterscan-Verfahren integriert worden. Es ist das präziseste heute zur Verfügung stehende Bestrahlungsverfahren.

 

Das HIT ist mit robotergesteuerten Patientenliegen ausgestattet. Wie funktionieren sie?
Im HIT kommen weltweit einmalig kooperierende Robotersysteme zum Einsatz, die die optimale Positionierung des Patienten vor dem Bestrahlungssystem gewährleisten und die die Bestrahlungsposition des Patienten vor Bestrahlungsbeginn durch Röntgenbildgebung kontrollieren. Ein ursprünglich für die industrielle Anwendung entwickelter Roboterarm führt eine Patientenlagerungsplatte hochpräzise und zugleich in sechs Bewegungsrichtungen in die Behandlungsposition. Der Vorteil der Roboterliege liegt in der hohen Wiederholgenauigkeit und in der zusätzlichen Flexibilität bei der Wahl der Eintrittskanäle des Therapiestrahls, da der Patient auch in zwei Richtungen mit leichter Neigung gelagert werden kann.

 

Direkt vor der Bestrahlung wird die Position des Patienten noch mal durch „Digitales Röntgen“ überprüft. Wie funktioniert das?
Ein deckenverankerter Roboterarm trägt ein digitales Röntgensystem, bestehend aus einer Röntgenröhre und einem digitalen Bildaufnehmer. Der digitale Bildaufnehmer liefert direkt computerlesbare Röntgenbilder, wodurch die Filmentwicklung entfällt und brillante Röntgenbilder bei reduzierter Strahlendosis entstehen. Um die eingestellte Position des Patienten zu kontrollieren, wird das digitale Röntgenbild mit dem der Bestrahlungsplanung zugrunde liegenden Computertomogramm verglichen und ein Korrekturvektor errechnet. Diese Korrektur führt die Roboterliege aus und stellt so die größtmögliche Positionierungsgenauigkeit her.