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„Das Schicksal dieses Patienten sorgte auf der Intensivstation für kontro-
verse Meinungen. Zwischen den Berufsgruppen gab es heftige Spannungen,
die Angehörigen waren überfordert“, erinnert sich Dr. Beate Herrmann, lang-
jährige Ethikberaterin am Klinikum und seit 2011 Vorsitzende des neuen
Ethik-Komitees. Der einst sportliche Familienvater litt unter einem sep-
tischen Schock, an Leber- und Nierenversagen, einer Atemschwäche und
Nekrosen an den Unterschenkeln. Nur eine Amputation beider Beine hätte
das Leben des Mannes retten können – doch wäre eine solche radikale Maß-
nahme auch im Sinne des Patienten gewesen?
Schließlich wandten sich Mediziner und Pflegende der Station an das Ethik-
Komitee. Diesem gehören neben Dr. Beate Herrmann insgesamt 20 Ärzte,
Pflegende und Seelsorger aus verschiedenen Kliniken sowie Professor Dr.
Monika Bobbert, Leiterin des Fachbereichs Medizinethik am Institut für
Geschichte und Ethik der Medizin, an.
Ethik-Komitee und Mitarbeiter erarbeiten
gemeinsame Behandlungsempfehlung
In dem Fall unterstützte das Komitee die Ärzte und Pflegenden mit einem
Ethik-Konsil – einer Fallbesprechung, die in berufsübergreifender Zusam-
mensetzung stattfindet. „Im gemeinsamen Dialog nehmen wir mit den
Mitarbeitern auf der Station eine ethische Analyse und Bewertung des
Problems vor“, erklärt Dr. Beate Herrmann. „Auf dieser Grundlage erarbeiten
wir zusammen eine ethisch begründete und von allen Beteiligten mitge-
tragene Behandlungsempfehlung.“ Die endgültige Verantwortung für das
weitere therapeutische Vorgehen verbleibt allerdings beim Arzt und dem
Patienten bzw. seinem gesetzlichen Vertreter. „Wir agieren nur moderierend,
erörtern die medizinischen, ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte
und unterstützen so die die Beteiligten“, macht Beate Herrmann klar. Für den
Arzt, der letztlich über die Therapie entscheiden muss, ist die Unterstützung
des Ethik-Komitees noch aus einem anderen Grund wichtig: Kommt es in Ein-
zelfällen am Ende doch zu einem Streit vor Gericht, kann er beweisen, dass
er sich ernsthaft mit dem Problem auseinandergesetzt hat.
Und zu welcher Lösung kamen die Mediziner in dem beschriebenen Beispiel?
„Letztlich entschieden sich die Ärzte gemeinsam mit der Ehefrau und
der Tochter des Patienten für die Amputation beider Beine“, blickt Fr. Dr.
Herrmann zurück. Ob die Entscheidung auch wirklich im Sinne des Patienten
war, kann allerdings niemand sagen. Er starb 14 Tage nach der Operation,
ohne zuvor wieder sein Bewusstsein erlangt zu haben. Für den Oberarzt,
der die Entscheidung zur Amputation traf, war es trotzdem hilfreich, das
Ethik-Komitee kontaktiert zu haben. Die Gespräche haben allen Beteiligten
geholfen, die eigene Entscheidung besser mit seinem Gewissen vereinbaren
zu können.
Ethikberatung am
Universitätsklinikum
Heidelberg
Das Universitätsklinikum Heidelberg
hat 2011 seine Ethik-Beratung neu
aufgestellt:
> Das
klinische Ethik-Komitee
bietet
allen Mitarbeitern des Klinikums eine
professionelle Ethik-Beratung an. Es
geht aus dem seit 1998 bestehenden
„Arbeitskreis Ethik-Konsil“ hervor
und blickt damit auf weitreichende
Erfahrung zurück. Zu den Aufgaben
der Mitarbeiter gehören Ethik-Konsile
auf Station, Begleitung der Visite,
Entwicklung von Leitlinien für den
Umgang mit schwierigen Behand-
lungssituationen, Fortbildungen
sowie Gesprächsmoderation in
Konfliktfällen. Die Vorsitzende ist
Dr. Beate Herrmann.
> Die
klinische Ethikberatungsstelle
,
die zum Institut für Geschichte und
Ethik der Medizin gehört, aber in der
Klinik angesiedelt ist, arbeitet eng
mit dem Komitee zusammen.
> Das
Institut für Geschichte und
Ethik der Medizin
(Direktor: Prof. Dr.
Wolfgang U. Eckart) begleitet die
Arbeit des Ethik-Komitees wissen-
schaftlich. Es veranstaltet wissen-
schaftliche Tagungen und ist für
Qualitätssicherung, Lehre und
Forschung zuständig.
> Ein
unabhängiger externer Ethik-
beirat
berät den Klinikumsvorstand
bei schwierigen ethischen Fragen.
Ihm gehören ein ehemaliger Ärztlicher
Direktor des Klinikums, ein Jurist,
ein Theologe sowie ein Vertreter der
Medien im Ruhestand an.
> Darüber hinaus gibt es seit vielen
Jahren die
Ethik-Kommission
, die für
die Zulassung von klinischen Studien
zuständig ist.
„Unter den Mitarbeitern
gab es heftige Spannungen“