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Professor Dr. Claus Bartram im Interview
Professor Claus Bartram leitet
das Institut für Humangenetik in
Heidelberg seit 17 Jahren. Bevor
Bartram sein Amt übernahm, war
er ein begeisterter Kinderarzt
und engagierter molekularbiolo-
gischer Forscher. Längst hat er
sich ganz der Humangenetik ver-
schrieben und bekennt, dass die
Leitung des Instituts eine große
Herausforderung – und zugleich
eine große Freude – sei.
Herr Professor Bartram, was sind die
Freuden eines Institutsdirektors?
Prof. Dr. Claus Bartram:
… dass man ein
Fach gemeinsam mit seinen Mitarbeitern
entwickeln und gestalten kann. Unser Fach
ist die Humangenetik und unser Ziel ist es,
die Humangenetik auf universitärem Ni-
veau in ganzer Breiter zu entfalten und so
weiterzuführen, dass sie auch künftig Ant-
worten auf wichtige wissenschaftliche,
medizinische und gesellschaftliche Fragen
geben kann.
Ihre eigene, zuvor sehr erfolgreiche Ar-
beit als Kinderarzt und Wissenschaftler
mussten Sie dafür hinten anstellen und
vernachlässigen.
Ich habe die neue Aufgabe als Bereiche-
rung empfunden. Die eigene Forschung
hat sich in die wissenschaftlichen Schwer-
punkte der Mitarbeiter eingereiht, sie nicht
qua Amt dominiert. Wir haben in unserem
Institut ein sehr gutes Arbeitsklima, und
ich denke, dies ist auch darauf zurückzu-
führen, dass die Kolleginnen und Kollegen
spüren, dass ich ihren Weg und ihre vielfäl-
tigen Forschungsaktivitäten respektvoll
begegne und mit den nötigen Freiheits-
graden unterstütze.
Was reizt Sie an der Humangenetik?
Für mich ist die Humangenetik die ideale
Mischung aus klinischer und wissen-
schaftlicher Tätigkeit. Schon während
meiner Doktorarbeit in Hamburg kam ich
intensiv mit ihr in Kontakt, danach absol-
vierte ich zunächst meine Facharztausbil-
dung in der Pädiatrie, war währenddes-
sen aber auch zwei Jahre als Stipendiat
der Deutschen Forschungsgemeinschaft
in der Erasmus Universität Rotterdam im
Department of Cell Biology and Genetics.
Später bekam ich Gelegenheit, in Rotter-
dam in einer Gruppe mitzuarbeiten, die
sich mit einem sehr interessanten Projekt
beschäftigte. Es ging darum, eine sehr
berühmte Chromosomenstörung, die so-
genannte
Philadelphia-Translokation,
molekular zu charakterisieren.
Für was berühmt?
Es handelt sich um die erste Chromoso-
menstörung, die man eindeutig mit einer
Krebserkrankung verbinden konnte, der
chronisch myeloischen Leukämie. Die mo-
lekulare Charakterisierung des zugrundelie-
genden genetischen Fehlers, eine Fusion
von zwei Genen, gelang innerhalb von nur
18 Monaten. Das war ein tiefes Erlebnis,
weil ich die Chance und das Glück hatte, an
einer großen Entdeckung teilzuhaben.
Elf Jahre arbeiteten Sie als Kinderarzt in
der Kinderklinik in Ulm, bauten dort er-
folgreich eine Sektion Molekularbiolo-
gie auf und wurden im Jahr 1993 auf den
dort neu eingerichteten Lehrstuhl für
Klinische Molekularbiologie berufen.
Was bewog Sie, von Ulm nach Heidel-
berg zu gehen?
Beruflich habe ich mich in Ulm sehr wohl
gefühlt. Ich sah mich auf Dauer aber weder
in einer rein klinischen, noch in einer rein
grundlagenwissenschaft-
lichen Einrichtung. Es
sollte eine Mischung aus
beidem sein. Da lag die
Humangenetik nahe. Ich
absolvierte die Zusatz-
ausbildung auf dem Ge-
biet der Klinischen Gene-
tik und wurde – nachdem die neue
Gebietsbezeichung eingeführt worden war
– einer der ersten Fachärzte für Humange-
netik in Deutschland. In diese Zeit fiel auch
meine Bewerbung nach Heidelberg auf den
Lehrstuhl von Friedrich Vogel. Das Verfahren
streckte sich lange hin, dann erhielt ich den
Ruf. Darüber freute ich mich sehr. Ich hatte
aber auch gehörigen Respekt vor der neuen
Aufgabe.
Was waren Ihre ersten Arbeitsschritte?
Zunächst ging es mir darum, die klinischen
Bereiche auszubauen und klarer zu struk-
turieren. Dazu wurde die bisherige Abtei-
lung Zytogenetik aufgelöst sowie zwei Sek-
tionen im Institut. Die Labore für prä- und
postnatale Zytogenetik wurden zusam-
mengefasst und um das Forschungsgebiet
der Tumorgenetik, das mein Mitarbeiter
Johannes Janssen und ich einbrachten, er-
weitert. Die Leitung des Labors für zytoge-
netische Diagnostik hat heute Johannes
Janssen inne. Darüber hinaus wurde unter
der Leitung von Anna Jauch ein Labor für
„Die Humangenetik
wird in
Zukunft eine noch wichtigere
Rolle einnehmen“
molekularzytogenetische Diagnostik eta-
bliert. Schließlich wurden die im Institut
verstreuten molekulargenetischen Analy-
sen zusammengeführt und im Labor für
molekulargenetische Diagnostik unter Bart
Janssen erheblich ausgebaut; seine Nach-
folgerin wurde Katrin Hinderhofer.
Wie wurde die genetische Beratung orga-
nisiert?
Mir was es wichtig, die genetische Bera-
tung aus dem Forschungs- und Diagnostik-
kontext des Instituts herauszulösen und
als Genetische Poliklinik in ein neues Ge-
bäude zu überführen. Die Leitung dieser
wichtigen Einrichtung mit unmittelbarem
Patientenkontakt liegt heute bei Ute Moog.
Das war eine sehr umfassende Neuglie-
derung des Instituts.
Ja, nahezu alle Mitarbeiter waren davon
betroffen, und mit wenigen Ausnahmen
gelang die Umstrukturierung im Konsens.
Wie war die finanzielle Situation des Insti-
tuts, als Sie Ihr Amt als Direktor antraten?
Als ich kam, war das Institut in tiefroten
Zahlen. Der Hauptgrund dafür war, dass
die klinischen Aktivitäten nicht ansatzwei-
se durch Einnahmen gedeckt waren. Den
Ansprüchen entsprechend, die das Univer-
sitätsklinikum an die Hochleistungsmedi-
zin stellt, haben wir versucht, in be-
stimmten
diagnostischen
Bereichen
Sonderleistungen anzubieten, die Allein-
stellungsmerkmal aufweisen. Hierzu zählt
insbesondere die MRD-Diagnostik (siehe
Seite 26), aber auch die Analyse erblich
bedingter Tumorerkrankungen und weitere
molekulargenetische und molekularzyto-
genetische Untersuchungen. Heute stehen
wir finanziell sehr gut da. Wir erwirtschaf-
ten Überschüsse als Basis für unsere Wei-
terentwicklung in wirtschaftlich
angespannter Zeit.
Im Jahr 1999 erhielten Sie einen Ruf auf
den Lehrstuhl für Klinische Genetik der
Erasmus Universität in Rotterdam. Sie ha-
ben abgelehnt.
Der Ruf auf einen so berühmten und groß-
en Lehrstuhl in der Nachfolge von Hans
Galjaard hat mich außerordentlich geehrt.
Ich habe mir das Angebot sehr lange über-
legt. Letztlich habe ich dann doch Nein ge-
sagt. Zum einen, weil es kein Zurück mehr
nach Deutschland gegeben hätte. Außer-
dem waren Heidelberg und das Institut für
Humangenetik im Grunde genau das, was
ich immer gewollt habe. Die Vorstände in
Heidelberg haben mir damals ein großzü-
giges Bleibeangebot gemacht, mit dem
einherging, dass eine neue Sektion Ent-
wicklungsgenetik aufgebaut wurde. Kurze
Zeit darauf konnte sogar noch ein zweiter
Lehrstuhl für Molekulare Humangenetik
unter Leitung von Gudrun Rappold am In-
stitut etabliert werden.
Braucht es die Humangenetik künftig
noch als eigenständiges Fach?
Sie ist unverzichtbar aufgrund ihrer ein-
schlägigen klinischen Kompetenz. Im uni-
versitären Kontext spielt auch die wissen-
schaftliche Qualität eine wesentliche
Rolle. Wissenschaftliche Inhalte gene-
tischer Art werden heute aber von fast al-
len medizinischen Fächern vertreten. Hier
gibt es für uns keine Monopolstellung be-
züglich Inhalt und Methodik. In der gene-
tischen Beratung und bei der Interpretati-
on
genetischer
Befunde
hat
die
Humangenetik jedoch eine Kompetenz,
die kein anderes Fach aufzuweisen hat.
Vor welchen Herausforderungen steht die
Humangenetik in Zukunft?
Eine wichtige Aufgabe ist es, die human-
genetische Beratung in Deutschland aus-
zubauen. Früher waren wir fokussiert auf
die vergleichsweise seltenen monogenen
Krankheiten. Heute kann jedoch selbst
bei Volkskrankheiten – von Stoffwechsel-
über Herz-Kreislauf- bis hin zu Krebser-
krankungen – eine genetische Dispositi-
on identifiziert werden. Eines von vielen
Stichworten ist die prädiktive Medizin,
die bis zu einem gewissen Grade schon
heute beim gesunden Menschen voraus-
sagen kann, welche Gesundheitspro-
bleme er künftig entwickeln wird. Zudem
wird es im Zeitalter der Gesamtgenoma-
nalyse wichtig sein, aus einer Fülle gene-
tischer Varianten die klinisch relevanten
herauszufiltern. In all diese Bereichen ist
die Humangenetik und eine qualitative
Beratung gefragt. Sie wird deshalb in Zu-
kunft eine noch viel größere und wich-
tigere Rolle einnehmen.
„Die Humangenetik ist
unverzichtbar aufgrund
ihrer klinischen Kompetenz.“
Prof. Dr. Claus Bartram leitet seit dem Jahr 1995 das In-
stitut für Humangenetik in Heidelberg. Der renom-
mierte Humangenetiker ist gleichzeitig Dekan der Me-
dizinischen Fakultät Heidelberg.