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Geschichte der Heidelberger Kinderchirurgie

Franz Anton Mai (1742-1814), der nicht nur ein Motor für die Medizinische Fakultät in Heidelberg war, sondern auch ein Nestor für die Pädiatrie und Kinderchirurgie in Deutschland, ist es zu verdanken, daß sich die 1390 gegründete Medizinische Fakultät Heidelberg der Entwicklung des Faches Pädiatrie annahm.

Er wurde 1773 außerordentlicher Professor und 1785 erhielt er einen Ruf auf einen Medizinischen Lehrstuhl in Heidelberg. 1805 veranlaßte Mai die Übersiedlung der Mannheimer Gebäranstalt nach Heidelberg. Im selben Haus wurden unter Mai´s Initiative weitere Kliniken installiert, 1815 die Medizinische Klinik und 1818 die Chirurgische Klinik.

Mai organisierte sehr früh die Gynäkologie in Heidelberg, die sich 1881 von der Chirurgie trennte.

Die Kinderchirurgie begann in Heidelberg, wie vielerorts auch, in der Frauenklinik. Mai verfaßte die erste Publikation der Heidelberger Fakultät zu Neugeborenen: "Fehler beim Behandeln der Kinderkrankheiten kurz nach der Geburt".

1810 trat Mai zurück, an seiner Stelle in der Frauenklinik wurde sein Schwiegersohn Franz Karl Nägele (1778-1851) gewählt.1830 veröffentlicht Nägele das Lehrbuch "Geburtshilfe für Hebammen", nachdem in der Heidelberger Medizinischen Fakultät täglich Vorlesungen über die wichtigsten Krankheiten der Schwangeren, Wöchnerinnen und Neugeborenen abgehalten wurden. In diesem Lehrbuch wurden bereits kinderchirurgische Fehlbildungen beschrieben, aber anhand mangelnder Möglichkeiten nicht auf deren Therapien eingegangen.

Erst 1883 publizierte Ferdinand Adolf Kehrer (1837-1914), der erster Ordinarius für Geburtshilfe in Heidelberg, eine Arbeit mit dem Titel "Zur Therapie der nekrotisierenden Druckmarken der kindlichen Kopfhaut". Weiterhin publizierte Kehrer über selbst durchgeführte operative Korrekturen der Hirnwasserbrüche und über die Anlage eines Anus praeter naturalis bei einem Säugling mit angeborener Anal- und Rektumatresie.

Kinderchirurgische Tätigkeit in der Luisenheilanstalt

Seit dem  Jahre 1884 wird an der Universität Heidelberg eine organisierte kinderchirurgische Versorgung, zunächst unter der Leitung von Theodor von Dusch (1824-1890), ausgeübt.

Es war ein Zeichen der Zeit, daß v. Dusch, der eine vollständige chirurgische Ausbildung bei Maximilian Joseph von Chelius (1794-1876) genossen hat, zum Leiter der Pädiatrischen Klinik der Universität ernannt wurde, und somit die Notwendigkeit einer chirurgischen Disziplin für das Kind offiziell als unerlässlich erachtet wurde. Von Dusch wird damit zum ersten "Pädiatrischen" Chirurgen im Amt und kann in der Tat als Urvater der deutschen Kinderchirurgie betrachtet werden.

Der bis dato gültige Regierungserlass, der die Aufnahme von Kindern in Spitäler verbot, wurde aufgehoben und eine Proklamation der Ärztlichen Direktoren veröffentlicht.

Noch im gleichen Jahr führte v. Dusch 10 Operationen beim Kind durch. Sensationell war die erste Tracheotomie bei einem Kind mit Diphtherie, das auch Eingriff und Erkrankung überlebte. Die operativen Eingriffe nahmen an Zahl und Größe so zu, daß die Großherzogin Luise von Baden v. Dusch beauftragte, ein größeres Haus in der Bunsenstraße 4 zu kaufen. Ab 1864 führte die Klinik zu Ehren der Großherzogin den Namen Luisenheilanstalt. Mit dem Ruf Gustav Simons (1824-1876) 1867 auf den Chirurgischen Lehrstuhl begann eine enge Kooperation der beiden Kliniken. Er übernahm die Operationen in der Luisanheilanstalt. Im Operationskatalog werden u.a. die oben erwähnten lebensrettenden Luftröhrenschnitte erwähnt, eine Hasenschartenoperation und Oberschenkelamputationen registriert.

Die chirurgische Kontinuität in der Luisenheilanstalt wurde durch Simons Assistenten Hermann Lossen (1843-1909) gewahrt. 1884 wurde Hermann Lossen als außerordentlicher Professor für Chirurgie zum Leiter der Chirurgischen Abteilung der Luisenheilanstalt.

Damit wurde er zum ersten offiziellen Kinderchirurgen in Heidelberg und zum Leiter der ersten selbständigen Kinderchirurgischen Abteilung Deutschlands. Bis zum Jahre 1907 etablierte Lossen eine Kinderchirurgische Abteilung innerhalb der Kinderklinik. Eine große Zahl von Operationen an Neugeborenen und Kleinkindern sind registriert und zeigen, daß das damalige kinderchirurgische Spektrum in Heidelberg vollständig abgedeckt wurde.

Im Jahre 1907 übernahm Max Jordan (1864-1909) als Nachfolger Lossens die Leitung der Kinderchirurgischen Abteilung bis 1909.

Danach bekleidete Georg Benno Schmidt (1860-1935) dieses Amt bis 1932. In der geschichtlich schwierigen Zeit danach konnte die Kinderchirurgische Abteilung in der Luisenheilanstalt nicht mehr aufrechterhalten werden. Ein Nachfolger für Schmidt war nicht zu finden. Es war nicht opportun, Kinder mit angeborenen Fehlbildungen zu operieren.

Die Entwicklung der Kinderchirurgie in Heidelberg reflektiert die Geschichte Deutschlands, aber auch die gesellschaftliche Bedeutung des Kindes im 20. Jahrhundert. Während in Frankreich, England, Italien und in osteuropäischen Ländern sehr früh erkannt wurde, welch eine wichtige gesundheitspolitische Bedeutung dem Kind beizumessen ist, ist bis in unsere Tage hinein die Lobby des Kindes in Deutschland leider nicht vergleichbar ausgebildet.

Kinderchirurgische Tätigkeit in der Chirurgischen Klinik

Es wird deutlich, daß viele Ordinarien in Heidelberg die Entwicklung der Kinderchirurgie für ganz Deutschland bestimmten. In den Jahresberichten der Chirurgischen Klinik in Heidelberg ab 1835 unter Leitung von Maximilian Chelius, dem Lehrer von v. Dusch, finden sich Berichte über chirurgische Maßnahmen an Kindern wie z.B. Zirkumzisionen, Entfernung von verhärteten Halsdrüsen, Lösung von Zungenbändchen und Trennung verwachsener Finger. Auch der Nachfolger von Chelius, Otto Weber (1827-1867) berichtete über Operationen am Kind, so u.a. über den Verschluß einer Gaumenspalte bei einem 6 Wochen alten Kind; dies war der erste gelungene Versuch, die Korrektur in diesem Alter vorzunehmen. In etablierter Kooperation mit der Luisenheilanstalt gelang Simon die erste Entfernung einer Niere weltweit, zuerst bei einer Frau und dann beim Kind. Ohne die Unterstützung Simons als Ordinarius für Chirurgie wäre die Etablierung einer eigenständigen kinderchirurgischen Tätigkeit nicht zu Stande gekommen. Ab jetzt wird die Chirurgie am Kind ausschließlich von Chirurgen ausgeübt.

Vinzent v. Czerny (1842-1916) entwickelte um 1900 das Verfahren zur inneren Bruchsackraffung bei der kindlichen Leistenhernie, welches vom Prinzip her für die Methode richtungsweisend war und noch heute beim Kind angewandt wird. Der Nachfolger Czernys, Albert Narath (1864-1924), mußte aus Gesundheitsgründen nach nur 4 Jahren von seinem Amt zurücktreten. In diese Zeit war Jordan der Chirurgische Konsiliarius in der Luisenheilanstalt.

Max Wilms (1867-1918) nimmt insofern eine besondere Stellung in der Kinderchirurgie ein, als er sich besonders mit den malignen Mischgeschwülsten der Niere im Kindesalter befaßte, die noch heute seinen Namen tragen. Er berichtete über mehrere Kinder mit Nephroblastomen, die er selbst operierte. Zusätzlich beschäftigte er sich intensiv auch mit der Operation der hypertrophen Pylorusstenose, die zu dieser Zeit als echte Alternative zu der bis dato langwierigen und von mäßigem Erfolg gekrönten konservativen Therapie propagiert wurde.

Eugen Enderlen (1863-1940) übernahm die Chirurgische Klinik 1933. Die aktive Kooperation mit der Luisenheilanstalt war zu diesem Zeitpunkt nicht existent, ein Nachfolger Schmidts konnte nicht gefunden werden. In Heidelberg führte er seine stereoskopischen Studien auch zu den kindliche Hernien durch.

Martin Kirschner (1879-1942) revolutionierte die Therapie von Knochenbrüchen. Mit der nach ihm benannten Kirschnerdraht-Osteosynthese wurden auch bei mehreren Kindern in Heidelberg Knochenbrüche behandelt. Dieses semioperative Verfahren stellt auch heute noch für viele kindliche Frakturen eine optimale Versorgung dar. Auch die Behandlung des "Pylorospasmus beim Säugling" beschäftigte Kirschner intensiv.

Karl Heinrich Bauer (1890-1978) entwickelte die Methode der zirkulären Craniotomie beim Turmschädel zur Verhinderung der Erblindung bei Kindern.

1962 begann mit Fritz Linder (1912-1994) eine neue Ära für die Kinderchirurgie. Nach Überwindung der Isolierung Deutschlands während des zweiten Weltkriegs stellt Linder fest, daß der Fortschritt in der Chirurgie durch die Subspezialisierung zu beschleunigen ist. Nach amerikanischem Vorbild stellt er seinen Oberärzten die Aufgabe, sich eines speziellen Gebiets der Chirurgie anzunehmen und dieses als Subspezialität zu entwickeln.

Wir danken Prof. Dr. med. Zachariou (Bern) für die Überlassung des Originaltextes zur Geschichte der Heidelberger Kinderchirurgie

Unter Linder erhielt Prof. Waldemar Hecker (1922) den Auftrag, die Kinderchirurgie in Heidelberg aufzubauen.

Aus der kleinen chirurgischen Kinderstation entwickelte sich zunehmend eine eigenverantwortliche Abteilung, die schließlich 1974 zum Ordinariat wurde. Mit Prof. Roland Daum (1929) erlangte die Abteilung rasch nationale und internationale Reputation mit dem besonderen Schwerpunkt der Neugeborenenchirurgie. Ein Inkubatorzimmer, eine Milchküche und ein Spielzimmer wurden eingerichtet.Hecker folgte 1969 dem Ruf zum ersten Ordinarius für Kinderchirurgie in der Bundesrepublik nach München.

Roland Daum wurde in Heidelberg sein Nachfolger. In zahlreichen Publikationen wurde das Fach Kinderchirurgie definiert und die Erfahrung mit dem "neuen Patienten" Kind in die moderne Medizin eingeordnet.

1974 erhielt Roland Daum den Ruf auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Kinderchirurgie in Heidelberg, welcher nach Leipzig und München der 3. in Deutschland und der 2. in der Bundesrepublik war.

Prof. Roland Daum hat die Kinderchirurgie in Heidelberg maßgeblich geprägt, er ist 1998 emeritiert. 

Nach der Fusion der Kinderchirurgischen Abteilung in Heidelberg mit der Kinderchirurgischen Klinik in Mannheim 1998 hat Prof. K.L. Waag die Leitung beider Standorte übernommen. Es werden an beiden Universitätskliniken zusammen ca. 3500 Kinder pro Jahr durch die Kinderchirurgie operiert. Mit internationalen Workshops, zahlreichen Publikationen und Kongressbeiträgen sind die Kinderchirurgischen Kliniken Heidelberg / Mannheim unter der Leitung von K.L. Waag die zielbestimmenden Abteilungen für die operative Behandlung des Kindes im gerade angebrochenen Jahrtausend.

Aufgrund der eigenständigen Entwicklung des Universitätsklinikums Mannheim und der Emiritierung von Herrn Prof. Waag haben sich die beiden Standorte Heidelberg und Mannheim kinderchirurgisch wieder verselbstständigt. Die Heidelberger Kinderchirurgie konnte als Sektion mit Sonderstatus in der Chirurgischen Universitätsklinik unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. S. Holland-Cunz von Januar 2006 bis August 2013 weitergeführt werden. In der Zeit konnten die OP-Kapazitäten in Heidelberg für die Kinderchirurgie ausgebaut werden und das wissenschaftliche Engagement deutlich verstärkt werden, was in der Ausrichtung mehrerer Symposien, zahlreichen Kongressbeiträgen und Publikationen zum Ausdruck kommt.

Prof. Dr. S. Holland-Cunz ist seit dem 01.09.2013 Professor und Chefarzt für Kinderchirurgie an der Universität Basel und am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)