Heidelberg,
27
Februar
2023
|
09:46
Europe/Amsterdam

Damit die Odyssee endet: Register für unklare seltene Diagnosen

Zusammenfassung

Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar 2023 / Universitätsklinikum Heidelberg baut ein Register für Menschen mit ungeklärter Diagnose auf / Systematische Erfassung der genetischen Daten und wiederholte Auswertung soll den Betroffenen langfristig helfen / Drei Fragen an Privatdozentin Dr. Daniela Choukair, Koordinatorin des Registers

Der Weg bis zu einer Diagnose ist für Betroffene mit einer seltenen Erkrankung oft sehr lang und belastend. Diesen Weg vereinfachen soll das „Register für Menschen mit ungeklärter Diagnose“ (RoUnD), das aktuell im Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) entsteht. Darin werden die Daten der Betroffenen hinterlegt und regelmäßig mit dem neusten Forschungsstand abgeglichen. Denn kontinuierlich werden z. B. neue genetische Veränderungen und die dadurch verursachten Krankheitsbilder neu beschrieben, und dann ist eventuell eine Diagnose für die Registrierten nachträglich möglich.  

Zum Tag der seltenen Erkrankungen am 28. Februar 2023 möchte das UKHD die Öffentlichkeit auf die Belange der von seltenen Krankheiten Betroffenen aufmerksam machen. Im Interview berichtet Privatdozentin Dr. Daniela Choukair, Ärztliche Koordinatorin am ZSE Heidelberg, über das neue Register und die besonderen Herausforderungen, die seltene Erkrankungen für Patienten und Ärzte mit sich bringen:

Warum ist es für Patientinnen und Patienten so wichtig, irgendwann eine Diagnose zu bekommen, selbst wenn es für die Erkrankung häufig keine Behandlungsmöglichkeiten gibt?

Naturgemäß ist der Bekanntheitsgrad der seltenen Erkrankungen auch unter Ärztinnen und Ärzten gering, zumal die Diagnosefindung häufig durch ein breites Spektrum an Ausprägungen erschwert wird. Viele Patientinnen und Patienten mit einer seltenen Erkrankung erleben jahrelange Odysseen von Arzt zu Arzt. Mit einer Diagnose stehen die Familien nicht mehr ganz alleine da, und das verzweifelte Suchen nach der Ursache der Symptome hat ein Ende. Es gibt dann einen Ansprechpartner, bei dem alle Informationen zu dieser Erkrankung zusammenlaufen und der bei Fragen Auskunft geben kann. Es gibt andere Betroffene mit sehr ähnlichen Problemen, mit denen man sich vernetzen, austauschen und sich gegenseitig unterstützen kann. Auch wenn eine Heilung nicht in Sicht ist, ist es für die Betroffenen und ihren Familien eine große psychische Entlastung, endlich eine Diagnose zu haben.


Wie kann das Register für Menschen mit ungeklärter Diagnose Betroffenen zukünftig helfen? 

Aktuell bleiben ca. zwei Drittel der Patienten auch nach Einsatz umfassender genetischer Diagnostik ohne Diagnose. Ein deutschlandweites Versorgungsprojekt ergab, dass insbesondere bei Kindern etwa ein Viertel der gefundenen genetischen Varianten vormals unbekannt und erst in den letzten drei Jahren wissenschaftlich beschrieben wurden. Daher ist es sinnvoll, die Daten von Patientinnen und Patienten mit einem unauffälligen genetischen Befund nach ca. zwei bis drei Jahren erneut zu bewerten. Leider fehlte bisher eine systematische Erfassung der Patienten mit aufgrund der Symptome vermuteter seltener Erkrankung, aber unauffälliger genetischer Diagnostik. Es war mehr oder weniger dem Zufall überlassen, wann die genetischen Daten erneut beurteilt wurden. Mit dem Einschluss dieser Patienten in das Register soll damit Abhilfe geschaffen werden. Die genetischen Daten der Patienten werden systematisch erfasst und nach einem definierten Zeitraum erneut beurteilt.
 

Vor allem bei seltenen Erkrankungen ist viel Teamwork und interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt. Wie sieht diese beim Auf- und Ausbau des Registers aus? 

In der humangenetischen Poliklinik und den Ambulanzen der entsprechenden Fachzentren wird bei Initiierung einer genetischen Diagnostik den Patienten die Teilnahme an dem Register angeboten. In den wöchentlichen interdisziplinären Fallkonferenzen des Zentrums für Seltene Erkrankungen werden die Patienten mit einer seltenen Erkrankung und bisher ungeklärter Diagnose besprochen. Dabei sind stets die Kolleginnen und Kollegen der Humangenetik anwesend sowie die jeweiligen Fachexperten aus den anderen Disziplinen, wie zum Beispiel der Neuropädiatrie. Gemeinsam wird die Notwendigkeit einer erneuten Beurteilung der genetischen Daten bewertet. Wird eine Diagnose gestellt, werden die Patienten in dem entsprechenden Fachzentrum ausführlich aufgeklärt. Zukünftig sollen auch weitere Standorte in Deutschland mit Zentren für Seltenen Erkrankungen in das Register integriert werden.

Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) Heidelberg

Eine Erkrankung liegt laut der in Europa geltenden Definition dann vor, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. In Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen an einer der rund 9.000 verschiedenen seltenen Erkrankungen. Anfang 2011 wurde in Heidelberg das Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) gegründet, um diesen Patientinnen und Patienten zu helfen, rascher zu einer qualifizierten Diagnostik, Therapie und Betreuung zu kommen. Das ZSE bündelt und fördert die in vielen Bereichen des UKHD vorhandene Expertise in der Versorgung von Betroffenen, die interdisziplinäre Vernetzung sowie die grundlagenorientierte und klinische Forschung. Das ZSE ist die primäre Anlaufstelle für alle Mediziner in niedergelassenen Praxen und Kliniken, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Betreuung ihrer Patienten mit einer seltenen Erkrankung suchen sowie auch für Betroffene und ihre Familien.

Kontakt

PD Dr. med. Daniela Choukair
Ärztliche Koordinatorin
Zentrum für Seltene Erkrankungen
Tel.: 06221 56-4503
E-Mail: selteneerkrankungen.kind@med.uni-heidelberg.de