Heidelberg,
21
September
2022
|
16:02
Europe/Amsterdam

„Das Gedankenleben ist doch wirklich“

Sammlung Prinzhorn zeigt Retrospektive mit Werken von Else Blankenhorn

Zusammenfassung

Farbenstark, gefühlsgewaltig und visionär präsentieren sich die Bilder von Else Blankenhorn (1873 bis 1920). Sie ist die einzige Frau, die der Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn in seinem 1922 erschienenen Standardwerk „Bildnerei der Geisteskranken“ vorstellen wollte. Dem Œuvre der Autodidaktin widmet die Sammlung Prinzhorn – ein vom Universitätsklinikum Heidelberg getragenes Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahme-Erfahrungen – nun erstmals eine umfassende Retrospektive. Rund 160 Exponate aus Blankenhorns Werk zeigt die Sonderausstellung „Das Gedankenleben ist doch wirklich“. Präsentiert werden Malereien, Zeichnungen sowie Notiz- und Tagebücher mit Gedichten und Kompositionen / Pressemitteilung der Universität Heidelberg

Die aus einer großbürgerlichen badischen Familie stammende Else Blankenhorn verbrachte einen bedeutenden Teil ihres Lebens in psychiatrischen Anstalten – so insbesondere im Schweizer Privatsanatorium Bellevue in Kreuzlingen am Bodensee. Künstlerisch tätig wurde sie während ihres zweiten Bellevue-Aufenthalts von 1906 an, der gescheiterten Hochzeitsplänen und dem Tod von Vater und Großmutter folgte. Sie begann zu malen, zu zeichnen und zu übersetzen und ging eine enge geistige Verbindung mit Kaiser Wilhelm II. ein, den sie als ihren „Gatten im Geiste“ bezeichnete. Von ihm meinte sie die Aufgabe erhalten zu haben, die Auferstehung verstorbener Liebespaare zu finanzieren, und schuf zu diesem Zweck rund einhundert „Geldscheine“.

Else Blankenhorn war eine privilegierte Patientin. Statt in einer der staatlichen psychiatrischen Anstalten war sie im privaten Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen untergebracht, das ihre schöpferische Tätigkeit als Mittel zur Heilung förderte. „Sie war von klein auf mit den Werken akademischer Künstler vertraut“, betont Dr. Ingrid von Beyme, Kuratorin und stellvertretende Leiterin der Sammlung Prinzhorn. Der historische Bestand der Sammlung, zu der auch Blankenhorns Werke gehören, umfasst rund 8.000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte. Sie wurden zwischen 1840 und 1945 von Insassen psychiatrischer Anstalten geschaffen. Den größten Teil dieses Fundus hat Hans Prinzhorn (1886 bis 1933) während seiner Zeit als Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg zusammengetragen. Im Jahr 1922 publizierte Prinzhorn auf der Grundlage der Sammlung seine reich illustrierte Studie „Bildnerei der Geisteskranken“. Ihr Erscheinen vor 100 Jahren ist Anlass für die Sonderausstellung.

Im Rahmen der Retrospektive präsentiert die Sammlung Prinzhorn Exponate aus verschiedenen Bereichen von Blankenhorns künstlerischer Tätigkeit. Dazu gehören Malereien und Zeichnungen, die sie selbst zeigen, oft auch in Begleitung des Kaisers. Einen Ausstellungsschwerpunkt bilden ihre mit Engeln, Stempeln und Reichsadlern verzierten Geldscheine in fantastischen Summen. Vertiefende Einblicke in die Bild- und Gedankenwelt von Else Blankenhorn bietet der Ausstellungskatalog mit Tagebucheinträgen, Prosatexten und Gedichten. Darin ordnen die Herausgeber ihr Werk in den zeitgeschichtlichen Kontext ein und stellen den Bezug zum Privatsanatorium Bellevue her, wo sich auch der Maler Ernst Ludwig Kirchner, der Kunsthistoriker Aby Warburg und der Choreograf und Tänzer Vaslav Nijinski behandeln ließen.

Teil der Ausstellung sind auch zeitgenössische Auseinandersetzungen mit Else Blankenhorn und ihrem Werk von Studierenden der Hochschulstudiengänge Künstlerische Therapien an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Sie haben sich in Videoarbeiten und plastischen Werken der Künstlerin angenähert. Die so entstandenen Resonanzwerke werden in der Ausstellung und auf der Website des Museums als besondere Vermittlung zum Leben und Œuvre Else Blankenhorns gezeigt.

Die Sonderausstellung „‚Das Gedankenleben ist doch wirklich‘. Else Blankenhorn – eine Retrospektive“ ist bis zum 22. Januar 2023 im Museum Sammlung Prinzhorn, Voßstraße 2, zu sehen. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr und mittwochs von 11 bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintrittspreis beträgt 8 Euro (ermäßigt 5 Euro). Für Studierende der Universität Heidelberg ist der Eintritt kostenlos. Im Ausstellungszeitraum finden mittwochs um 18 Uhr und sonntags um 14 Uhr kostenlose öffentliche Führungen statt. Am 21. September, 12., 15. und 19. Oktober sowie am 14. Dezember werden zusätzlich Sonderführungen angeboten; für die Teilnahme ist eine Anmeldung erforderlich.