Heidelberg,
01
August
2019
|
12:08
Europe/Amsterdam

Winterstein-Preis für den Heidelberger Herzforscher Dr. Timon Seeger

Zusammenfassung

Molekulare Mechanismen bei Patienten mit genetisch bedingter Herzmuskelerkrankung nachgewiesen / Stressantwort der Zelle könnte Ansatz für neue Behandlungswege sein

Der Kardiologe Dr. Timon Seeger von der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg hat Mechanismen einer Genmutation identifiziert, die zu Fehlregulationen in Herzmuskelzellen und damit zu der genetisch bedingten Hypertrophen Kardiomyopathie (HCM) führen kann. Die Erkenntnisse des Heidelberger Forschers wurden nun mit dem renommierten, mit 5.000 Euro dotierten Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung ausgezeichnet.

Aus Blut- oder Hautzellen der Patienten verwandeln sich im Labor Herzmuskelzellen

Dr. Timon Seeger und Mitarbeitende machen sich bei ihrer Grundlagenforschung ein Verfahren zunutze, das es ermöglicht, aus den Körperzellen eines erwachsenen Menschen – wie beispielsweise Blut- oder Hautzellen – sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) zu erzeugen. Diese lassen sich im Labor in alle Zellarten differenzieren, also auch in Herzmuskelzellen. „Auf diese Weise kann man auf die für den Patienten belastende Entnahme von Herzmuskelzellen verzichten“, so Dr. Timon Seeger. Die so erzeugten Zellmodelle mit Genmutation werden mit Herzmuskelzellen ohne die Mutation verglichen, um beispielsweise Zellgröße und -struktur, Kontraktionsstärke, elektrophysiologische Eigenschaften und ihre Reaktion auf Stressoren untersuchen.

Was ist das Ziel der Heidelberger Forscher?

Ziel der Forschungsarbeit von Timon Seeger ist es, die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen des Krankheitsverlaufs der HCM zu untersuchen. Dafür haben die Forscher ein zweites innovatives Verfahren eingesetzt: die Technik des Genom-Editierens auf Basis der sogenannten „Genschere“ CRISPR/Cas9. Mit Hilfe von CRISPR/Cas9, einem ursprünglich aus Bakterien stammenden System zur Abwehr von Virus-Infektionen, ist es möglich, Gene an jeder beliebigen Stelle des Erbguts zu schneiden. „Wir haben uns diesen Mechanismus zunutze gemacht und im Labor die Mutation in den pluripotenten Stammzellen von Patienten gezielt korrigiert. Nachfolgend wurden diese Zellen in Herzmuskelzellen differenziert“, sagt Dr. Timon Seeger. „So können Zellen mit und ohne Mutation im MYBPC3-Gen miteinander verglichen werden, um spezifisch für den einzelnen Patienten herauszufinden, inwiefern die Erbgutveränderung die Ausbildung der Erkrankung beeinflusst.“

„Derartige personalisierte patientenspezifische Therapieansätze zur gezielten Bekämpfung der lebensbedrohlichen HCM sind dringend notwendig. Die Erkenntnisse der prämierten Studie sind eine vielversprechende Basis für die Entwicklung von Behandlungsstrategien bei HCM“, erklärt der Herzspezialist Prof. Dr. med. Dietrich Andresen, und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

Zellen unter Stress

Die Kombination aus Stammzelltherapie und „Gen-Schere“ brachte für die Forscher überraschende Ergebnisse: So führt die Mutation nicht etwa dazu, dass am Anfang der Erkrankung von einem für den Muskelaufbau lebenswichtigen Eiweiß zu wenig vorliegt, was aufgrund bisheriger Daten bislang die gängige Auffassung war. „Der Proteingehalt war in den mutierten Zellen genauso hoch wie in den gesunden“, sagt Dr. Timon Seeger. „Da jedes Gen im Zellkern in zweifacher Kopie vorliegt, wird die gesunde Kopie anscheinend vermehrt abgelesen, während die defekte, verkürzte Variante abgebaut wird.“ Die Folge ist eine molekulare Stressantwort der Herzmuskelzellen, die über noch nicht bekannte Reaktionsschritte zu den typischen Symptomen einer Hypertrophen Kardiomyopathie führt. „Wir freuen uns über die Würdigung dieses innovativen Forschungsansatzes, der einen Blick an den Beginn der Krankheit ermöglicht. Auf diese Weise können wir neue Therapiekonzepte entwickeln, die beispielsweise in die Stressantwort der Zelle eingreifen“, sagt Prof. Dr. Hugo Katus, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie.

Was ist eine Hypertrophe Kardiomyopathie?

Kardiomyopathien sind die Hauptursache von schwerwiegenden Herzerkrankungen und erhöhen das Risiko für Herzinsuffizienz (Herzschwäche) und bösartige Herzrhythmusstörungen bis hin zum plötzlichen Herztod. Die Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) ist die häufigste genetisch bedingte Herzerkrankung mit circa 160.000 HCM-Patienten in Deutschland. Bei der HCM verdickt sich der Herzmuskel, was aufgrund von Umbau- und Wachstumsprozessen im Muskelgewebe Herzrhythmusstörungen begünstigt und die Herzfunktion beeinträchtigt.

Über den Wilhelm P. Winterstein-Preis

Der Wilhelm P. Winterstein-Preis wird alljährlich für eine wissenschaftlich herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bevorzugt aus einem patientennahen Forschungsbereich, vergeben. 2019 hat die Stifterin Ursula Winterstein den Preis ihres 2018 verstorbenen Ehemannes für zwei ausgezeichnete Forschungsprojekte vergeben. Neben Dr. Timon Seeger wurden Dr. Marc D. Lemoine und Maksymilian Prondzynski vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit diesem Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Die Deutsche Herzstiftung

Die Deutsche Herzstiftung e. V., 1979 gegründet, ist mit über 100.000 Mitgliedern die größte Patientenorganisation im Bereich der Herz- und Kreislauferkrankungen im deutschsprachigen Raum. Zu ihren Hauptaufgaben gehört es, Patienten in unabhängiger Weise über Möglichkeiten der Diagnose, Behandlung und Prävention sowie aktuelle Entwicklungen der Herz-Kreislauf-Medizin aufzuklären. Ebenso ist die Förderung der patientennahen Herz-Kreislauf-Forschung in Verbindung mit der von der Herzstiftung 1988 gegründeten Deutschen Stiftung für Herzforschung eine der Kernaufgaben der Patientenorganisation. www.herzstiftung.de

Literatur

* Seeger T. et al., Circulation. 2019; 139: 799-811. A premature termination Codon mutation in MYBPC3 Causes Hypertrophic Cardiomyopathy via Chronic Activation of Nonsense-Mediated Decay.