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TITELTHEMA
Anästhesisten sind nicht nur für die Narko-
se von Patienten im Operationssaal zu-
ständig – sie spielen auch in der Behand-
lung von Schwerstkranken und in der
Notfallversorgung eine wichtige Rolle.
Denn die Intensivmedizin ist Teil des groß-
en medizinischen Fachgebietes der Anäs-
thesiologie. Am Klinikum stehen daher
gleich mehrere Intensiv- und Wachstati-
onen unter der Leitung der Klinik für Anäs-
thesiologie: die IMC-Station in der Kopfkli-
nik, die Intensiv- und Wachstation in der
Orthopädischen Klinik sowie die interdis-
ziplinäre Intensivstation in der Thoraxkli-
nik. Zudem werden auch Patienten, die
nach einer Hals-Nasen-Ohren-OP und nach
mund-, kiefer- oder gesichtschirurgischen
Eingriffen auf den Intensivstationen 1 und
2 der Kopfklinik landen, postoperativ von
Anästhesisten überwacht.
Eine Besonderheit in dieser Hinsicht ist die
Interdisziplinäre Operative Intensivstation
(IOPIS) in der Chirurgischen Klinik, die von
der Klinik für Anästhesiologie in Kooperati-
on mit der Abteilung Allgemein-, Viszeral-
und Unfallchirurgie geführt wird. Mit rund
70 Prozent erholen sich auf der IOPIS die
meisten Patienten von allgemein- und vis-
zeralchirurgischen Eingriffen, gefolgt von
Mehr alsnur einNarkosearzt
Gleich fünf Intensiv- und Wachstationen stehen am Klinikum
unter der Leitung von Anästhesisten
gefäß- und unfallchirurgischen und urologischen Operationen.
Um die Ausbreitung von Infektionserkrankungen zu vermeiden,
gilt, wie in anderen chirurgisch geführten Intensivbereichen auch,
ein strenges Hygienekonzept. So werden chronisch dialysepflich-
tige Patienten, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Patienten
aus Risikoländern oder nach längeren Aufenthalten in anderen
Krankenhäusern zunächst isoliert, bevor sie auf ein gemeinsames
Zimmer mit anderen Schwerstkranken kommen.
Die besonderen Stärken der Anästhesisten
in der Intensivmedizin liegen in ihrer
Eigenschaft als medizinische Allrounder
Neben der einmaligen Zusammenarbeit von Chirurgen und Anäs-
thesisten wird der interdisziplinäre Gedanke auf der IOPIS auch
abseits von Ärzten und Pflegern gelebt. „Wir profitieren täglich
von der Zusammenarbeit mit vielen spezialisierten Kollegen wie
Hygienikern, Apothekern, Infektiologen, Mikrobiologen und Er-
nährungswissenschaftlern. Auf jedem Teil des Teams liegt Verant-
wortung“, erklärt Dr. Thomas Böker-Blum, Bereichsoberarzt der
IOPIS. Die besondere Stärke der Anästhesisten in der Intensivme-
dizin sieht er vor allem in ihrer Eigenschaft als medizinische All-
rounder: „Die Anästhesie ist ein Querschnittsfach. Wir sind ein
bisschen von allem: ein bisschen Chirurg, ein bisschen Internist
und ein bisschen Atemwegsbeherrscher. Zudem sind wir durch
unsere Tätigkeit im OP mit der Überwachung von Vitalfunktionen,
mit der Schmerztherapie und verschiedensten Beatmungsmetho-
den vertraut.“
Herausforderung für die Zukunft:
Auch ältere Ärzte und Pflegekräfte auf
den Intensivstationen halten
PD Dr. Stefan Hofer, Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Lei-
tender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie, findet es vor allem
wichtig, in Zukunft weiter in die Intensivmedizin zu investieren.
Mit Hilfe des Wahlfachs Anästhesie und verschiedenen anderen
intensivmedizinischen Weiterbildungen über den Bereich der An-
ästhesiologie hinaus, bemühen sich er und sein Kollege Dr. Böker-
Blum, Studenten, Pfleger und Assistenzärzte für die Arbeit mit
Schwerstkranken zu gewinnen. „Es ist aber nicht nur wichtig, An-
reize für junge Menschen zu schaffen“, erklärt Dr. Hofer. „Wir müs-
sen auch unsere bestehenden Strukturen stetig weiterentwickeln
und verbessern, um gezielt auch ältere Ärzte und Pflegekräfte mit
ihrer über Jahrzehnte hinweg gesammelten Erfahrung und Experti-
se auf den Intensivstationen zu halten.“ Dass diese Erfahrung
wichtig für den Erfolg einer Station ist, konnte auch eine Studie
der University of Pennsylvania zeigen: In US-amerikanischen Kran-
kenhäusern, in denen auf Intensivstationen mehr gut ausgebil-
dete Pflegekräfte arbeiteten – und einen speziellen Pflege-Bache-
lor besaßen – war die Mortalität geringer und weniger Patienten
verstarben in kritischen Notfallsituationen.
Die enge Verzahnung von Intensivmedizin und Anästhesie ist übri-
gens historisch begründet: Als Gründervater der Intensivmedizin
gilt der Narkosearzt Björn Ibsen. Im Zuge einer großen Polio-Epide-
mie in Dänemark im Jahr 1952 setzte Ibsen erstmals bei der Thera-
pie seiner Patienten auf Langzeitbeatmung. Wenig später richtete er
an einem Krankenhaus in Kopenhagen die erste Intensivstation ein,
auf der Patienten unabhängig von Diagnose und Krankheitsbild be-
treut wurden (zur Geschichte der Anästhesie/Intensivmedizin siehe
auch Seite 38).
Daniela Zeibig
Aus der Forschung
Kampf der Sepsis
Schwere Sepsis ist nach wie vor die häu-
figste Todesursache auf Intensivstationen.
Als Ursache der systemischen Entzün-
dungsreaktion, die bis hin zum Multiorgan-
versagen führen kann, gilt die übermäßige
Produktion von Proteinen, die Zellwachs-
tum und -differenzierung anregen, so ge-
nannten Zytokinen. In der Vergangenheit
konnten Forscher bereits zeigen, dass der
Neurotransmitter Acetylcholin die Aus-
schüttung solcher Zytokine unterbinden
und somit eine Entzündungsreaktion ab-
schwächen kann.
Um diese Erkenntnis in Zukunft auch thera-
peutisch nutzen zu können, wird in der Kli-
nik für Anästhesiologie unter Leitung von
Dr. Hofer aktuell der Einsatz des Wirkstoffes
Physostigmin (Anticholium
®
) zur Behand-
lung von Sepsis erprobt. Physostigmin ver-
zögert als Cholinesterase-Hemmer den Ab-
bau von Acetylcholin im Körper. Dr. Hofer
und seine Kollegen konnten bereits im Tier-
versuch zeigen, dass die medikamentöse
Gabe des Hemmstoffes das Überleben von
septischen Mäusen deutlich verbesserte.
Im nächsten Schritt wollen die Heidelberger
Experten nun im Rahmen einer prospekti-
ven, doppeltblind-randomisierten und pla-
cebokontrollierten Studie überprüfen, ob
sich die guten Resultate aus dem Tierexpe-
riment auch auf den Menschen übertragen
lassen.
Anästhesisten, Intensivmediziner, medizinische Allrounder: Die beiden Anästhe-
sisten PD Dr. Stefan Hofer (re.) und Dr. Thomas Böker-Blum. Mit auf dem Bild ist An-
gelika Brobeil, pflegerische Stationsleitung der IOPIS. Eine gute Zusammenarbeit
zwischen den Berufsgruppen ist Voraussetzung, um den oftmals hektischen Arbeits-
ablauf auf Intensivstationen meistern zu können.
Glosse
Der Anästhesist: Die im
Dunkeln sieht man nicht
Anästhesisten können mit links, wofür andere
ein Aufbaustudium in Hogwarts bräuchten: Sie
machen sich unsichtbar. Dass Patienten nicht so
recht wissen, wofür man überhaupt einen eige-
nen Narkosearzt braucht („Sie schläfern mich
also ein?“), ertragen sie. Dass aber auch Opera-
teure meinen, ohne Anästhesisten ginge vieles
besser und alles schneller, führt mit Ende Dreißig
stracks in die Sinnkrise. Dabei schmeißen die
Schlafspezialisten die Intensivstation, retten als
Notarzt Leben, nehmen Schmerzgeplagten ihr
Leid. Das interessiert allerdings niemanden,
wenn‘s nach der OP mal wieder länger dauert, bis
der Patient endlich wach wird. Einen Anästhe-
sisten erkennt man leicht am Kaffeefleck auf dem
Kittel (Quelle: Spiegel online vom 12. Januar 2013
/ „Ich, Halbgott – Vorurteile unter Ärzten“).