Seite 46-47 - KlinikTicker Ausgabe1 M

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MENSCHEN IM KLNIKUM
Eine heilsame
Atmosphäre
schaffen
Eine Musikerin, zwei Berufungen: Mit ihrer
Musik will Therapeutin Martina Baumann
nicht nur unterhalten, sondern auch helfen
„Musik ist neben meiner Familie das zentrale Thema meines Le-
bens“, sagt Martina Baumann. Als Duo Martinique sorgt sie seit 15
Jahren mit ihrem Mann Uwe Loda auf Kongressen oder Ausstel-
lungen für musikalische Abwechslung und ist einigen vielleicht
auch durch Auftritte bei Veranstaltungen des Klinikums bekannt.
Darüber hinaus musiziert die 49-jährige gemeinsam mit Sterbens-
kranken – als Musik- und Psychotherapeutin auf der Palliativstati-
on der Thoraxklinik und im Hospiz Louise.
„Musik verändert die Atmosphäre, zwar auch bei der Firmenfeier,
aber ganz besonders in einem Krankenhaus oder Hospiz“, so der
Eindruck von Martina Baumann. Das kann eine therapeutische
Wirkung entfalten – nicht nur bei Patienten: „Musik schafft Raum
für Gefühle und Mitgefühl.“ Sie erzählt von einer schwerkranken
Frau, die sie bat, gemeinsam mit ihr und ihren erwachsenen Kin-
dern Beatles-Songs zu singen. Zuerst genossen alle das gemein-
same Musizieren, doch dann flossen die Tränen – aus Trauer um
die sterbende Mutter. „Für diese Familie öffnete die Musik einen
Weg, gefühlvoller mit der Situation umzugehen, alle waren aufge-
hoben in diesem Moment. Es war gut so.“
„Kein Kranker ist nur krank, es gibt
immer auch etwas Gesundes“
Die Musiktherapie soll aber auch aus Ängsten und Trauer heraus-
helfen, Patienten und Angehörige darin unterstützen, sich mit der
Erkrankung und dem nahenden Tod bestmöglich zu arrangieren –
und vor allem: nicht immer darüber nachzudenken. „Ich arbeite in
gewisser Weise ressourcen-orientiert: Ich lade ein, zu schauen, was
es sonst noch gibt außer Sorge, Angst und Krankheit, und in sich
einen heilen, guten Ort zu finden. Kein Kranker ist nur krank, es gibt
immer auch etwas Gesundes“, so Martina Baumann. „Die Musik ist
eine Einladung, diese innere Kraftquelle zu finden.“ Vielleicht rufen
bestimmte Melodien glückliche Erinnerungen wach? Oder tut es
gut, mit Instrumenten das auszudrücken, worüber man nicht spre-
chen will oder kann? Die Therapeutin lotet die Bedürfnisse der Pati-
enten aus und unterstützt sie dabei, achtsam sich selbst gegenüber
zu sein. Musiktherapie ist eine kreative Form der Psychotherapie
und immer ein freiwilliges Angebot, sie wird nicht verschrieben.
Schon seit ihrer Kindheit ist die gebürtige Nürnbergerin der Musik
verbunden. Sie besuchte ein musisches Gymnasium und absol-
vierte an der Fachhochschule der Stiftung Rehabilitation Heidelberg
(SRH) ab 1984 ein vierjähriges Studium zur Musiktherapeutin. Da-
nach arbeitete sie am Rehabilitationszentrum Neckargemünd als
Musiktherapeutin für körperlich behinderte Jugendliche und junge
Erwachsene mit psychischen Erkrankungen und legte ihre Approba-
tion zur Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche ab. Sie war
zwei Jahre an der SRH-Fachhochschule tätig, bevor sie an die Klinik
für Psychotherapie und Psychosomatik nach Siedelsbrunn/Waldmi-
chelbach wechselte. 2002 lud Professor Dr. Rolf Verres, Ärztlicher
Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie, sie ein, sich am
Forschungsprojekt „Netzwerk Achtsame Sterbekultur“ zu beteili-
gen. Dort half sie, ein spezielles Kursangebot für medizinisches Per-
sonal auf Palliativstationen und ehrenamtliche Sterbebegleiter zu
entwickeln und auszuwerten. Dieses „Spiritual Care Training“ bein-
haltet meditative und musiktherapeutische Angebote sowie den
Austausch zum Thema Sterben und Tod und hilft, das seelische
Gleichgewicht zu bewahren.
Martina Baumann verfolgte darüber hinaus einen eigenen For-
schungsauftrag. Sie hospitierte in medizinischen Einrichtungen
und untersuchte die Frage: Was bewirkt Musik bei Patienten und
den Menschen, die dort arbeiten? Die Interviews zeichneten ein
klares Bild: Musik schafft eine Atmosphäre, die als positiv wahrge-
nommen wird. So positiv, dass jede der von ihr besuchten Einrich-
tungen anschließend einen Musiktherapeuten einstellte.
„Die Musik, die aus den Zimmern klingt
schafft eine besondere, ansteckende
Atmosphäre“
Die Ergebnisse veröffentlichte sie mit einer Kollegin im Buch
„Musiktherapie in Hospizarbeit und Palliative Care“. Diese Mehr-
wirkung der Musiktherapie ist ihr heute ein großes Anliegen.
„Die Atmosphäre ist das Entscheidende: Auf einer Station oder
in einem Hospiz ist sie ebenso wichtig wie die therapeutischen
Angebote selbst. Schon dass wir mit Instrumenten unterwegs
sind oder aus den Zimmern Musik erklingt, schafft eine beson-
dere, ansteckende Atmosphäre – das berichten Patienten,
Schwestern, Pfleger und Ärzte“, betont sie. „Dieser Aspekt sollte
im therapeutischen Bereich noch mehr Beachtung finden.“ In-
zwischen ist Martina Baumann als Expertin für Musiktherapie im
Palliativ-Bereich gefragt, gibt Lehrgänge, ist Gastdozentin an der
Akademie für Gesundheitsberufe und spricht auf Kongressen
über ihre Erfahrungen.
Tina Bergmann
Fünf Fragen an...
...Martina Baumann, Musiktherapeutin an der Thoraxklinik
Was kann man sich unter einer heilsamen
Atmosphäre in Krankenhäusern und Hos-
pizen vorstellen?
Ich stelle mir unter einer heilsamen Atmo-
sphäre einen Ort vor, in dem sich Mitarbei-
tende, Patienten und Angehörige mensch-
lich und in ihrer Rolle aufgehoben fühlen.
Jeder hat seine Aufgabe und fühlt sich von
einer heilsamen Atmosphäre ermutigt und
vielleicht sogar beschwingt. Eine heilsame
Atmosphäre ist für mich ein Ort, der Basis
ist für die Arbeit, die jeder zu tun hat.
Wie ließe sich eine solche Atmosphäre
schaffen?
Zum Atmosphäre schaffen gehört erst
einmal die Wahrnehmung, das heißt eine
Empathie zu entwickeln, für das, was jetzt
gerade da ist. Atmosphäre schaffen kön-
nen wir äußerlich und innerlich. Das be-
ginnt bereits bei der Architektur eines
Hauses. Aber was bringt z.B. das schöns-
te Patientenzimmer, wenn wir es nicht fül-
len mit einem guten Geist, mit Herz, Seele
und unserer Zugewandtheit? Musik kann
solch eine Zugewandtheit in Klängen, Lie-
dern und Musikstücken ausdrücken und
die Herzen der Menschen öffnen. Kolle-
gen fühlen Anklang und Resonanz, wenn
sie etwas hören, was sie „beschwingt“,
erinnert oder auch mal zum schmunzeln
bringt.
Was hält Sie nun schon so lange bei den
unheilbar Kranken?
Wenn ich mit „unheilbaren“ Kranken zu-
sammen bin, sehe ich gar nicht das „Un-
heilbare“, sondern erlebe seelische Hei-
lung und Entwicklung am Lebensende, viel
Trauer und Schmerz, aber auch Liebe, Kre-
ativität und Freiheit. Wie so viele meiner
Kollegen im Bereich der Palliative Care er-
fahre ich Sinnhaftigkeit und
Zufriedenheit in der Beglei-
tung mit schwerstkranken Menschen. Viel-
leicht führt dieser Weg nach Innen und das
ist ein guter Ort, finde ich.
Auf einer Palliativstation sind Sie mit
Trauer und Ängsten der Patienten kon-
frontiert. Wie schützen Sie sich?
Innerhalb der Arbeit ist die Musik meine
Kraftquelle und Schutz. Sie ist immer als et-
was Drittes mit im Raum und ich bin von ihr
mitgetragen, auch wenn ich für oder mit
einem Patienten spiele. Manchmal klingt in
der Trauer eines Patienten eine eigene Trau-
er an, dann fühle ich mich beschützt, wenn
ich mit einem Kollegen oder in der Supervi-
sion darüber sprechen kann. Manchmal ist
es für mich auch ein Schutz, mich für eine
längere Zeit ganz aus der Arbeit zu verab-
schieden, zu verreisen, in die Natur zu ge-
hen oder mit Freunden Musik zu machen
Was ist Ihnen an Ihrer Arbeit besonders
wichtig?
Ein gutes, gelingendes, menschliches und
professionelles Zusammenspiel mit den
Kollegen aus der Medizin, Seelsorge, Pfle-
ge, Psychologie, dem Ehrenamt, den Trä-
gern oder leitenden Personen einer Ein-
richtung. Die Tatsache, dass ich Zeit
mitbringe für die Patienten, ist mir sehr
wichtig, dafür bin ich sehr dankbar.
Die Musiktherapeutin bei ihrer Arbeit auf
der Palliativstation der Thoraxklinik.
Martin Baumann beim Neujahrsempfang
des Klinikums im Januar 2013.