Seite 8-9 - KlinikTicker Ausgabe1 M

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Klinikum Aktuell
„Speed Dating“
und revolutionäre Techniken
Physiologen treffen sich in Heidelberg und
schauen optimistisch in die Zukunft
Physiology goes clinical! Das war ein Fazit der 92. Jahrestagung
der Deutschen Physiologischen Gesellschaft (DPG), die Anfang
März unter Leitung von Professor Dr. Andreas Draguhn in Heidel-
berg stattfand. „Der Trend zur translationalen Forschung wird im-
mer deutlicher“, sagte der Direktor des Physiologischen Instituts
in Heidelberg. Nicht zuletzt gemeinsame Symposien mit Kardiolo-
gen, Psychiatern und Schmerzforschern zeigten, wie der Beitrag
der Physiologie zum Verständnis von Krankheiten an Bedeutung
gewinne. Die DPG vereinigt Wissenschaftler aus der Physiologie
und angrenzenden Gebieten, die sich mit den Mechanismen von
normalen und pathologischen Organfunktionen auf molekularer,
zellulärer und systemischer Ebene befassen.
Weiteres optimistisches Fazit der Tagung: Physiology is young!
Denn an wissenschaftlichem Nachwuchs aus Medizin und Biolo-
gie mangelt es nicht, auch wenn die ungleiche Bezahlung nicht-
klinischer Mitarbeiter verglichen mit auch klinisch tätigen Wis-
senschaftlern nach wie vor problematisch ist und Zeitverträge
wenig karriereförderlich sein können. Unter den fast 800 Teil-
nehmern in Heidelberg stellten die Studenten, medizinischen
Doktoranden und jungen Wissenschaftler die Mehrheit. Groß
war auch der Andrang beim „Speed Dating“ zur Karriereberatung
mit erfahrenen Wissenschaftlern, Klinikern und Vertretern der
forschenden Industrie.
Nervenzellen können aus- und
angeschaltet werden
Eine traditionelle Stärke der Physiologie liegt in der Entwicklung
neuer Methoden. Prominentes Beispiel ist die revolutionäre
„patch clamp“ Technik, für die der Heidelberger Physiologe Pro-
fessor Dr. Bert Sakmann 1991 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet
wurde. Damit ist eine elektrische Messung von Strömen in einzel-
nen Ionenkanälen der Zellmembran möglich. Als innovative Errun-
genschaft stellte bei der Tagung der ebenfalls mit Heidelberg eng
verbundene Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysika-
lische Chemie in Göttingen, Professor Dr. Stefan Hell, neue Metho-
den der Lichtmikroskopie im Nanometer-Bereich vor. Ihm ist es
gelungen, die Auflösung auf winzige Dimensionen unterhalb der
Wellenlänge des Lichts zu bringen, die bisher als prinzipielle Gren-
ze des Sichtbaren galt. So lassen sich in lebenden Zellen Moleküle
im Abstand von wenigen Nanometern (Millionstel Millimeter) un-
terscheiden. Dadurch können elementare Zellfunktionen mit bis-
her unerreichter Genauigkeit untersucht werden.
Weiteres Highlight der Tagung war ein Vortrag von Professor Dr.
Ernst Bamberg, Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt, zur
Optogenetik, von der viele Wissenschaftler glauben, dass sie die
Hirnforschung und die Biomedizin insgesamt revolutionieren
wird: Mit molekularbiologischen Techniken werden Zellen dazu
gebracht, lichtempfindliche Proteine zu bilden, die normalerweise
nur in Algen vorkommen. Die speziellen Eiweiße öffnen bei Belich-
tung „Löcher“ in der Zellmembran, durch die elektrische Ionen-
ströme fließen. Nervenzellen können so mit Hilfe von Lichtleitern
in der lebenden Maus gezielt an- oder ausgeschaltet werden und
ihre Rolle für das Verhalten des Tiers mit vorher unerreichbarer Si-
cherheit bestimmt werden.
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Was passiert im Mäuse-Gehirn? In den Heidelberger Laboren untersucht
die AG Draguhn rhythmische Muster elektrischer Nervenaktivität. Dazu
wird zum Beispiel das EEG von Mäusen gemessen. Mit Mikroelektroden
können elektrische Potentiale und Ströme einzelner neuronaler Netzwerke
und sogar von einzelnen Nervenzellen abgeleitet werden.
Die Bauchaorta wird versiegelt
Deutschland-Premiere in der Gefäßchirurgie:
Neue Endoprothese soll Aneurysma-Ruptur sicher verhindern
Am 4. März fand die Deutschland-Premiere
statt: Erstmals haben Professor Dr. Dittmar
Böckler und sein Team in der Klinik für Ge-
fäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie
eine neue Prothese eingesetzt, die für die
Behandlung des Bauchaorten-Aneurys-
mas einen wesentlichen Fortschritt brin-
gen könnte. Sie „versiegelt“ die Gefäß-
wand komplett; dadurch werden ein
gefürchteter Einriss des Blutgefäßes sowie
kleine Blutungen in die Schlagader verhin-
dert, wie erste Erfahrungen mit der Prothe-
se im Ausland bereits gezeigt haben.
„Beide Patienten haben den Eingriff gut
überstanden“, berichtet Professor Böckler,
Ärztlicher Direktor. Die Chirurgen konnten
dabei auf die positiven Ergebnisse von rund
50 Implantationen der neuen Prothese an
zwei Gefäßzentren in Neuseeland und Li-
tauen bauen. Die Heidelberger Klinik für
Gefäßchirurgie nimmt nun als eine von 20
Abteilungen weltweit an einer klinischen
Studie teil, die die Effektivität und die Ri-
siken der neuen Prothese klären sollen.
„Die gängigen Gefäßendoprothesen ha-
ben einige Risiken: Unmittelbar nach dem
Eingriff sind die Ergebnisse in der Regel
sehr zufriedenstellend“, so Professor
Böckler. Im Lauf der Zeit könnten diese En-
doprothesen allerdings verrutschen bzw.
das Aneurysma kann über Seitenäste er-
neut durchblutet werden, bis hin zum Ein-
riss der Aorta. Deswegen müssten Pati-
enten lebenslang beobachtet werden; bei
rund 18 Prozent der Patienten seien erneu-
te Eingriffe erforderlich.
„Prothese sitzt fest und
kann nicht verrutschen“
Die neue Nellix-Prothese der US-Firma En-
dologix soll nun diese Nachteile überwin-
den. Sie besteht aus zwei flexiblen Gefäß-
rohren (Stents aus Polyester und
Maschendraht), die mit zwei Kathetern
unter Röntgenkontrolle über die Leiste in
die Hauptschlagader (Aorta) vorgescho-
ben werden und den Blutfluss in die Bein-
arterien offenhalten. In einen Kunststoff-
sack um die beiden Stents wird
Kunststoffmasse (Polymer) gespritzt, so
dass das Volumen der Aorta bzw. des An-
eurysmas komplett versiegelt wird. „Da-
durch sitzt die Prothese im Gefäß fest und
kann nicht verrutschen“, erklärt Professor
Böckler.
Aorten-Aneurysmen finden sich vor allem
bei älteren Menschen, bleiben aber oft
lange Zeit unbemerkt, da sie keine oder
kaum Beschwerden – meist unklare
Bauch- und Rückenschmerzen – verursa-
chen. Aneurysmen können entstehen,
wenn die Gefäßwand geschwächt ist, z.B.
bei Arteriosklerose durch Bluthochdruck,
Diabetes oder bei Bindegewebserkran-
kungen. Eine familiäre Häufung wird eben-
falls beobachtet. Auch Verletzungen oder
Entzündungen können eine Aussackung
verursachen. Rund 1,7 Prozent der Frauen
und fünf Prozent der Männer über 65 Jah-
ren haben Ausweitungen der Bauchaorta
von mindestens drei Zentimetern Durch-
messer; ab 5,0 cm ist das Risiko einer Rup-
tur beträchtlich. Platzt das Gefäß, ist die
Sterblichkeit sehr hoch. Daher wird ab die-
sem Durchmesser den betroffenen älteren
Menschen ein Eingriff empfohlen.
„Wir hoffen, dass wir mit der neuen Endo-
prothese gerade älteren Patienten helfen
können, bei denen ein Eingriff bislang zu
riskant gewesen wäre“, sagt Professor
Böckler. „Folgeeingriffe werden dadurch zu-
künftig für unsere Patienten vermieden“, so
der Ärztliche Direktor der Klinik.
AT
Die Grafik verdeutlicht den Wirkmecha-
nismus der neuen Gefäßprothese: Zwei
Katheter werden unter Röntgenkontrolle
über die Leiste in den Bereich des Bau-
chaorten-Aneurysmas
vorgeschoben
(li.). Über die Katheter werden die Pro-
thesen, die aus zwei flexiblen Gefäß-
rohren (Stents) bestehen, im Aneurys-
ma platziert (mi.). Rund um die beiden
Stents, die zukünftig den Blutfluss er-
möglichen, wird in einen Kunststoffsack
eine Masse (Polymer) gespritzt, so dass
das Volumen des Aneurysmas komplett
versiegelt wird (re.).