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Genetische Diagnosen
Wenn sich Anzahl oder Struktur der Chromosomen
verändern, können Krankheiten die Folge sein. Der
Molekularbiologe Johannes Janssen analysiert im La-
bor für Zytogenetik, was in den Chromosomen über
Gesundheit und Krankheit geschrieben steht.
„Indem die Fäden sich verdicken und zugleich verkürzen entsteht
ein immer loser gewundener Korb von äußerst zierlicher regelmä-
ßiger Anordnung.“ Was der Kieler Anatom Walther Flemming 1878
erstmals beschreibt, ist eine wichtige Phase der Zellteilung. Die
Fäden, die sich „verdicken und zugleich verkürzen“, sind die Chro-
mosomen. Dass es sich dabei um die Träger der Erbsubstanz han-
delt, ahnte Flemming nicht. Wie keinem Wissenschaftler zuvor ist
es ihm jedoch gelungen, die Bestandteile der Zelle mit speziellen
Farbstoffen sichtbar zu machen. Walther Flemming gilt als Begrün-
der der „Zytogenetik“, der Wissenschaft, die veränderte Chromo-
somen identifiziert und Krankheiten zuordnet.
In Heidelberg wird das traditionsreiche Arbeitsgebiet von Profes-
sor Johannes Janssen geleitet. „Pro Jahr untersuchen wir das Un-
tersuchungsmaterial von rund 2.000 Patienten“, erklärt der Wis-
senschaftler. Zu den Materialien, die er und seine Mitarbeiter von
niedergelassenen Ärzten oder Kliniken erhalten, zählen z.B. Pro-
ben vom Fruchtwasser schwangerer Frauen. Darin schwimmen ab-
gelöste kindliche Hautzellen, die genutzt werden können, um
Chromosomen vorgeburtlich zu analysieren.
Die Mitarbeiter im Labor isolieren dazu die Zellen und regen sie
mit Stimulantien dazu an, sich zu teilen. Denn nur, wenn Zellen
sich teilen, werden die Chromosomen unter dem Mikroskop sicht-
bar. Nun folgt das „Karyogramm“: Alle Chromosomen werden foto-
grafiert, danach ausgeschnitten und ihrer Größe und Gestalt nach
sortiert. Was früher per Hand geschah, übernimmt heute der Com-
puter. Die sorgsam geordnete chromosomale Momentaufnahme
ermöglicht es, krankhafte Abweichungen zu erkennen. Sind viel-
leicht zu viel Chromosomen vorhanden? Wenn z.B. das Chromo-
som 21 nicht wie normal zwei Mal, sondern drei Mal vorhanden ist,
liegt eine Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom, vor.
Auch eine veränderte Gestalt der Chromosomen entgeht dem er-
fahrenen Auge nicht, zum Beispiel eine Verkürzung des kurzen
Arms von Chromosom 5. Dieser Verlust chromosomalen Materials,
in der humangenetischen Fachsprache „Deletion“ genannt, geht
mit dem Cri-du-chat-Syndrom, einer schweren kindlichen Entwick-
lungsstörung, einher.
Die Chromosomen werden auch mit nachgeburtlich (postnatal)
gewonnenem Proben analysiert, etwa mit Nabelschnurblut, Blut-
oder Bindegewebszellen. „In der postnatalen Diagnostik“, erläu-
tert Janssen, „prüfen wir häufig einen Verdacht auf Turner- oder
Klinefelter Syndrom“. Beide Erkrankungen entstehen, wenn sich
die Chromosomen während der Zellteilung fehlerhaft sortieren.
Der dritte Schwerpunkt im Heidelberger Labor ist die zytogene-
tische Untersuchung von Blutkrebs (Leukämien).
„Die klassische Zytogenetik ist
nach wie vor unverzichtbar.“
Chromosomale Momentaufnahme
Karyogramm eines Patienten mit chronisch myeloischer Leukä-
mie (CML). Die Translokation („Austausch von Chromosomen-
abschnitten“) bei den Chromosomenpaaren 9 und 22 ist spe-
zifisch für die Erkrankung.
Mit leuchtenden Sonden enttarnen Anna Jauch und
ihre Mitarbeiter kleinste Veränderungen des Erbguts.
Tag und Nacht läuft die automatische Auswertestation im Labor
für Molekulare Zytogenetik, ununterbrochen klassifiziert und
gruppiert sie die Kerne von Zellen und bereitet sie für die weitere
Auswertung vor. „Die Station entlastet uns sehr“, sagt die Leiterin,
Professor Anna Jauch. Schon längst aber reicht die Maschine nicht
mehr aus. Schließlich gilt es, die Untersuchungsmaterialien von
über 1.000 Patienten pro Jahr aufzuarbeiten und mit einem Ver-
fahren zu analysieren, das die Biologin in den 80er Jahren in Hei-
delberg mitentwickelt hat: die FISH-Methode, eine Art „Bodypain-
ting“ für Chromosomen.
„FISH“ ist die Abkürzung für „Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisie-
rung“. Das Wortgetüm beschreibt präzise, was die Methode zu
leisten vermag: Präparierte Sonden tragen leuchtende (fluores-
zierende) Farbstoffe zu den Regionen des Erbmoleküls DNS, die
komplementär sind, also genau zu den Sonden passen. All das
geschieht „in situ“, nicht biochemisch im Reagenzglas, sondern
unmittelbar vor Ort an den Kernen der Zellen. Das Zeichen der
erfolgreichen Liaison von Sonde und DNS – „Hybridisierung“ ge-
nannt – ist ein Leuchtsignal. „Wir haben hier in Heidelberg einen
einzigartigen Sondensatz,“ erklärt Anna Jauch. Er kann kom-
plette Chromosomen, bestimmte Chromosomenregionen oder
einzelne Gene zum Leuchten bringen und aufzeigen, ob sie sich
verändert haben.
Von der leuchtstarken Methode hörte Anna Jauch erstmals, als sie
sich bei Professor Thomas Cremer am Institut für Humangenetik
als Diplomandin bewarb. Dass man fluoreszierende Farbstoffe
nutzen könne, sei damals etwas Neues gewesen, erinnert sich die
Biologin. Als sie Thomas Cremer darauf ansprach, habe er nur
geantwortet: „Das ist die Zukunft!“ Für sie persönlich, sagt sie mit
einem Schmunzeln, habe sich seine Antwort jedenfalls als richtig
erwiesen: Über Diplom, Doktorarbeit, Habilitation und ihre täg-
liche praktische Arbeit im Labor begleitet sie das Verfahren, das
sie nach wie vor unvermindert „faszinierend“ findet.
Das Heidelberger Institut ist auf demGebiet der FISH-Analyse führend
in Deutschland. Die Methode ergänzt die klassische Zytogenetik und
wird in der vor- und nachgeburtlichen Diagnose und seit 2000
schwerpunktmäßig in der Tumordiagnostik eingesetzt. Im Unter-
schied zur zytogenetischen Methode (siehe Seite 24) braucht die
FISH-Analyse keine Zellen im Stadium der Teilung. Das erübrigt das
zeitaufwändige Kultivieren im Labor. „Mit der FISH-Analyse können
wir beispielsweise in der vorgeburtlichen Diagnostik innerhalb von
24StundendiehäufigstenTrisomienundAnomaliender Geschlechts-
chromosomen nachweisen“, erklärt Anna Jauch.
Für viele Institutionen ist das Labor von Anna Jauch ein gefragter
Partner. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit als Referenzlabor für meh-
rere klinische Studien, die derzeit zum Multiplen Myelom, einer
Krebserkrankung der Plasmazellen im Knochenmark, erfolgen. Die
Analysen sollen dazu beitragen, die Krankheit besser zu verste-
hen und erfolgreicher zu behandeln.
Bodypainting für Chromosomen
„Wir ergänzen die
klassische Zytogenetik mit
molekularen Techniken.“
Bild eines 24-FISH Karyogramms: Die Vielfarben-FISH macht es
möglich, die 46 Chromosomen des Menschen bunt anzumalen.