Seite 32-33 - Klinikticker Juli - August

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Der „Serotonin-Rezeptor Typ3“ in der
Membran von Nervenzellen ist die Aufnah-
mestation für Serotonin, ein Botenstoff,
der viele körperliche Funktionen beein-
flusst, unter anderem das Angstverhalten.
Wenn sich das Gen verändert, das für die
Konstruktion dieses Rezeptors verantwort-
lich ist, ändert sich auch das Wechselspiel
von Serotonin und seinem Rezeptor. Si-
gnale werden infolgedessen nicht korrekt
weitergeleitet, emotionale Reize nicht rich-
tig verarbeitet.
„Dies könnte eine Ursache für die Entste-
hung von Angststörungen sein, die bei Pa-
tienten mit manischer Depression eine
große Rolle spielen“, erklärt die Heidelber-
ger Humangenetikerin Dr. Beate Niesler.
Die Privatdozentin aus der Abteilung für
Molekulare Humangenetik fand das verän-
derte Gen in einer großen Studie beson-
ders häufig bei Männern, die an einer ma-
nisch-depressiven Erkrankung leiden. Bei
betroffenen Frauen konnte sie es sehr viel
seltener finden.
Die Studiendaten zeigen, dass die Genva-
riante das Erkrankungsrisiko bei Männern
um etwa 30 Prozent erhöht. Die Ergebnisse
geben auch einen Hinweis darauf, warum
Medikamente, die den Serotoninrezeptor
blockieren sollen, bei manchen Patienten
wirken, bei anderen aber nicht.
Autismus ist eine angeborene Störung der
Wahrnehmung und Informationsverarbei-
tung im Gehirn, die häufig mit verminder-
ter, selten auch mit überdurchschnittlicher
Intelligenz und Spezialbegabungen ein-
hergeht. Wissenschaftler um Professor Gu-
drun Rappold, Leiterin der Abteilung Mole-
kulare Humangenetik, haben bereits im
Jahr 2010 Veränderungen (Mutationen) im
genetischen Bauplan des sogannten
SHANK2-Gerüstproteins bei Patienten mit
autististischen Störungen oder geistigen
Behinderungen entdeckt.
Jetzt konnten sie in Untersuchungen mit
Mäusen zeigen, wie sich die die Mutati-
onen auswirken: Nervenzellen im Gehirn
bilden kein funktionsfähiges Gerüstprote-
in SHANK2, ihre Kommunikation mit ande-
ren Nervenzellen ist daraufhin gestört.
Mäuse mit derart fehlerhaften Proteinen
zeigen Verhaltensauffälligkeiten, die den
autistischen Störungen des Menschen
ähnlich sind.
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Aus der humangenetischen Forschung
Die Nachrichtendienste der Zelle
Herbert Steinbeisser und sein Team erforschen, wie
Zellen miteinander kommunizieren.
Feinste Handarbeit ist die zierliche Nadel aus Glas, die Professor
Herbert Steinbeisser auf eine komplex aussehende Apparatur ne-
ben dem Mikroskop schraubt. „Das ist eine spezielle Halterung,
die ein Zittern der Finger ausgleichen kann“, erklärt der Biologe
und führt vor, wie sich mit der winzigen Injektionsnadel unter dem
Mikroskop eine genau abgemessene Menge von Hodenhomoge-
nat zielsicher in ein Ei einbringen lässt.
Das Ei auf dem Objekträger ist transparent und mit dem Auge
sichtbar. Es misst im Durchmesser einen Millimeter und stammt
vom Krallenfrosch Xenopus laevis, dessen Embryonen sich in gro-
ßer Zahl gewinnen und leicht manipulieren lassen. „Etwa zehn
Stunden nach der Mikro-Befruchtung“, sagt Herbert Steinbeisser,
„hat sich beispielsweise eine Gastrula und nach etwa zwölf bis 17
Stunden eine Neurula gebildet.“ Beides sind wichtige Stadien in
der Entwicklung – nicht nur des Krallenfroschs, sondern auch des
Menschen. Und weil die frühen Entwicklungsprozesse in ihren
Grundzügen bei allenWirbeltieren gleich ablaufen, lassen sich Kral-
lenfrosch-Embryonen als Stellvertreter für die Entwicklung des
Menschen nutzen. „Wir nutzen die Tiere als Modell, um Gene zu
untersuchen, die die Embryogenese steuern und für Erbkrankheiten
des Menschen verantwortlich sind“, sagt Steinbeisser. Seit zehn
Jahren arbeitet er als Leiter der Sektion Entwicklungsgenetik im In-
stitut für Humangenetik; den Krallenfrosch, den er schon seit seiner
Promotion im Deutschen Krebsforschungszentrum kennt, hat der
Wissenschaftler als Tiermodell mitgebracht und damit eine neue
Möglichkeit geschaffen, humangenetische Fragen zu klären.
Im Modell Krallenfrosch versuchen Steinbeisser und seine Mitar-
beiter beispielsweise, die Nachrichtendienste der Zelle abzuhö-
ren. Einer davon ist der sogenannte Wnt-Signalweg, dem zahl-
reiche Proteine mit Kommunikationsfunktion angehören und der
sich bereits früh in der Stammesgeschichte der Lebewesen entwi-
ckelt hat. Benannt ist der Weg nach „Wnt“, einem „universellen“
Nachrichtenprotein: Es fördert die Reifung von Zellen, lässt Herz-,
Nieren- und Nervengewebe entstehen und vermittelt dem Em-
bryo, wo Kopf und Rücken liegt. Die Proteine der Wnt-Signalkette
bilden zusammen ein sehr komplexes Kommunikationsnetz. „Tre-
ten in dem zeitlich und räumlich fein abgestimmten Muster Fehler
auf“, erklärt Steinbeisser, „sind schwere Krankheiten die Folge.“
So kann bei Säuglingen ein offener Rücken und bei Erwachsenen
Darmkrebs auftreten.
Eine zweite wichtige Gruppe von kommunikativen Molekülen, mit
denen sich die Wissenschaftler der Sektion befassen, zählt zum
„IGF“-Signalweg. Er steht in engem Austausch mit dem Wnt-
Signalweg. „Wir untersuchen die Interaktion beider Wege in der
Embryogenese und bei der Differenzierung von Zellen“, erläutert
Steinbeisser. Um das Nachrichtensystem der Zelle in seiner Ge-
samtheit zu entschlüsseln, kooperieren die Forscher mit Kollegen
aus dem Institut, etwa der Molekularbiologin Gudrun Rappold,
und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen im In- und
Ausland. Beide Projekte zur Erforschung der Signalwege werden
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert;
jüngst erst entschied die DGF, den im Jahr 2008 begonnenen Ver-
bund zur Erforschung des Wnt-Signalwegs weitere drei Jahre mit
2,7 Millionen Euro zu fördern. „Ein tieferes Verständnis dieser Pro-
zesse“, sagt Steinbeisser, „ist wichtig, um neue Therapieansätze für
Krankheiten zu finden, die auf Fehlern in Signalwegen basieren.“
„Wir untersuchen die Funktion
von Genen, die sowohl die
Embryogenese steuern als auch
für erbliche Krankheiten des
Menschen verantwortlich sind.“
Die frühen Entwicklungsprozesse verlaufen in ihren Grundzü-
gen bei allen Wirbeltieren nach den gleichen Schemata ab.
Deshalb lassen sich Krallenfrosch-Embryonen ideal als Stell-
vertreter für die Entwicklung des Menschen nutzen.
Von SHOX, SHANK, ABCB4 und anderen Genen...
Das Spektrum der Forschungsarbeiten im Institut für Humangenetik ist groß. Die Wissenschaftler erfor-
schen Entwicklungsgene und Wachstumsfaktoren, die Ursachen geistiger Behinderung, Nerven-, Darm-,
Stoffwechsel-, sowie Herz- und Tumorerkrankungen. Ihre Publikationen erscheinen in internationalen
Fachjournalen. Der KlinikTicker präsentiert seinen Lesern eine kleine Auswahl der Ergebnisse, die Mit-
glieder des Instituts in den vergangenen Jahren erarbeitet haben.
Verändertes Gen erhöht bei
Männern das Risiko, eine
manisch-depressive Erkrankung
zu erleiden
Defektes Gerüstprotein in
Nervenzellen begünstigt Autismus
Serotonin-Rezeptor in der
Membran von Nervenzellen.
Nervenzellen kommunizieren in einer Zellkul-
tur: Kommt es zu Mutationen im SHANK2-Ge-
rüstprotein, ist die Kommunikation der Ner-
venzellen untereinander gestört.