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Aus der humangenetischen Forschung
sten kleinwüchsigen Kindern erfolglos
bleibt. Bei einigen Kindern aber war ein
Größengewinn von bis zu fünfzehn Zenti-
metern zu erzielen. Das verhilft ihnen
dazu, den Alltag besser zu meistern. Wäh-
rend unserer Studie stellte sich heraus,
dass alle diejenigen Kinder, die an einem
SHOX-Mangel leiden, von der Therapie mit
Wachstumshormon profitieren. Die Studie
endete damit, dass rekombinantes Wachs-
tumshormon von den Behödern zugelas-
sen wurde, um diese spezielle Kleinwuchs-
form zu behandeln. Für mich persönlich ist
das eine sehr schöne Erfolgsgeschichte,
weil sie von der Forschung im Labor bis hin
zum Patienten reicht.
Sie wurden im Laufe Ihres Forscherlebens
oftmals von Heidelberg weggelockt –
sind aber immer geblieben.
Insgesamt hatte ich drei Angebote, unter
anderem Rufe nach Berlin und Freiburg. Im
Jahr 2003 wurde der Lehrstuhl für Moleku-
lare Humangenetik in Heidelberg für mich
eingerichtet. Heidelberg ist ein hervorra-
gender Standort. Wir sind hier ja schon seit
Jahren sowohl in der Medizin wie in der Bio-
logie und Physik meist die Nummer eins in
Deutschland. Das will etwas heißen. So
eine Top-Adresse verlässt man nur ungern.
Was hat sich im Laufe der Zeit in der Hu-
mangenetik am stärksten verändert?
Was sich in extremer Weise verändert hat,
sind die Arbeitsmethoden. Verfahren, die
ich selbst noch erarbeitet und im Labor
etabliert habe, existieren heute teilweise
schon gar nicht mehr. Was sich in metho-
discher Hinsicht in den letzten zwei Jahr-
zehnten vollzogen hat, ist eine Revolution.
Methodisch gesehen leben wir heute in
einer völlig anderen Welt.
Sie haben sich zwischenzeitlich sehr kom-
plexen Forschungsfragen zugewandt.
Schon seit dem Jahr 2000 beschäftigen
wir uns mit einer For-
schungsrichtung, die mir
persönlich sehr wichtig ist.
Es geht darum, die mole-
kularen Ursachen von ko-
„Der Nukleus
wissenschaftlichen
Arbeitens ist immer
noch der einzelne
Forscher, seine Gedanken
und seine Kreativität.“
gnitiven Beeinträchtigungen aufzuklären.
Die Schwerpunkte sind geistige Retardie-
rung und Autismus.
Welche Gene haben Sie da im Visier?
Im Jahr 2010 haben wir beispielsweise
ein Gen, SHANK2, isoliert und charakteri-
siert, das in mutierter Form bei Menschen
mit niedrigem Intelligenzquotienten und
bei Patienten mit Autismus vorkommt.
Kürzlich konnten wir Mutationen des
SHANK2-Gens auch bei Schizophrenie-
Patienten nachweisen. Ob die Mutati-
onen tatsächlich eine Rolle bei Schizo-
phrenie spielen, vielleicht im Zu-
sammenspiel mit anderen Genen, kön-
nen wir derzeit noch nicht sagen.
Auch als Gutachterin sind Sie sehr ge-
fragt.
Einen beträchtlichen Teil meiner Zeit ver-
bringe ich tatsächlich damit, als Gutacherin
für nationale und internationalen Organisa-
tionen beratend tätig zu sein, unter ande-
rem seit mehreren Jahre für die EU- basier-
ten ERC Programme und viele weiteren
Organisationen. Diese Arbeit ermöglicht es
mir, dass ich über neue Wissenschaftsent-
wicklungen immer sehr rasch und gut infor-
miert bin.
Was sind aus Ihrer Erfahrung heraus die
wichtigsten Voraussetzungen für gute
Forschung?
Es braucht begeisterungsfähige Men-
schen, die sich tief in ein Thema hineinar-
beiten wollen, im Team klar kommen, aber
auch fähig sind, etwas eigenständig auf
die Beine zu stellen. Die Teamarbeit, vor
allem das heute vielbeschworene Networ-
king, ist wichtig – aber man darf es nicht
überbewerten, vor allem dann nicht, wenn
das Netzwerken mehr Zeit beansprucht als
das eigentliche Forschen. Ich sage dies,
obgleich ich die fruchtbare Zusammenar-
beit mit Kollegen von Forschergruppen,
Sonderforschungsbereichen und dem Ex-
cellenzcluster CellNetworks sowie neuer-
dings mit dem Zentrum für Herz-Kreislauf-
Forschung
und
weiteren
Instituten
außerordentlich schätze. Dadurch, dass
ich kooptiertes Mitglied bei der Fakultät
für Biowissenschaften und Mitglied des In-
terdisziplinary Center of Neuroscience
(IZN) sowie der Graduiertenschule HBIGS
bin, eröffnen sich einem ja erneut viele
Wege der Kooperation. Der wissenschaft-
liche Campus im Neuenheimer Feld bietet
ein unglaublich gutes Umfeld, von dem wir
alle profitieren. Dennoch – der Nukleus
wissenschaftlicher Arbeit ist meines Erach-
tens immer noch der einzelne Forscher,
seine Gedanken und seine Kreativität.
Was kann man zur Qualitätssicherung in
der Forschung tun?
Junge Wissenschaftler müssen sich heute
von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln, da
mittlerweile circa 70 Prozent der wissen-
schaftlichen Stellen in Deutschland befri-
stet sind – das ist dreimal so hoch wie in
England, Frankreich oder in den USA. Die-
ser Trend zur Stellenbefristung ist auch für
sehr leistungsstarke und motivierte Wis-
senschaftler zunehmend demotivierend.
Ich würde mir im Sinne der Wissenschaft
und im Sinne der jungen Menschen, die
Wissenschaft betreiben wollen, wünschen,
dass „tenure track“-Strukturen auch ver-
mehrt in Deutschland geschaffen werden
können, damit sich diese Situation bald
ändert.
Im Jahr 2010 haben Gudrun Rappold und ihr Team das
SHANK2-Gen isoliert und charakterisiert. Es befindet
sich an der Kontaktstelle zwischen Nervenzellen und be-
einflusst deren Kommunikation. In mutierter Form
kommt es u.a. bei Menschen mit Autismus vor.
50 Jahre Humangenetik
Das Symposium zum Jubiläum
21. September 2012, 10 bis 18.30 Uhr
Kommunikationszentrum im DKFZ
Weitere Informationen unter:
www.klinikum.uni-heidelberg.de
>> Kliniken und Institute
>> Institut für Humangenetik