Seite 28-29 - Klinikticker Juli - August

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Aus der humangenetischen Forschung
Frau Professor Rappold, was hat Sie dazu
veranlasst, sich der Grundlagenfor-
schung zu verschreiben?
Prof. Dr. Gudrun Rappold:
Es ist ein großes
Privileg, inhaltsbezogen und kreativ arbei-
ten zu können. Großen Einfluss hatte aber
auch, dass ich auf Forscherpersönlichkeiten
traf, die mich tief beeindruckten und in
Richtung Grundlagenforschung zogen.
Welche Forscher waren das?
Nach meinem Biologie-Studium habe ich
mich im Institut für Humangenetik für eine
Doktorarbeit beworden. Hier traf ich auf
Friedrich Vogel, den damaligen Direktor.
Auch Thomas Cremer war da, der als Medi-
ziner schon damals fachübergreifend mit
seinem Bruder Christoph Cremer, einem
Biophysiker, zusammenarbeitete. In die-
sem intellektuell anregenden und persön-
lich freundlichen Umfeld habe ich mich
außerordentlich wohl gefühlt. Mir war da-
nach klar: Die Forschung ist der richtige
Weg für mich.
Was war für Ihre persönliche Entwicklung
als junge Forscherin am wichtigsten?
Mir waren neben den inhaltlichen immer
auch die menschlichen Aspekte wichtig.
Wichtig war es für mich darüber hinaus zu
erfahren, dass man als Frau mit Familie in
der Forschung bestehen kann. In Deutsch-
land gab es damals noch wenig weibliche
Rollenvorbilder, in Großbritannien und
den USA aber sah ich, dass es mit etwas
Struktur sehr gut funktionieren kann.
Nach Ihrer Promotion arbeiteten Sie in
der Arbeitsgruppe von Howard Cooke am
MRC in der Mammalian Genome Unit in
Edinburgh, danach bei Hans Lehrach im
Europäischen Laboratorium für Moleku-
larbiologie und im Imperial Cancer Re-
search Fund in London. 1989 wurden Sie
Arbeitsgruppenleiterin im Institut für Hu-
mangentik in Heidelberg. Welche Erinne-
rungen haben Sie an diese Zeit?
Friedrich Vogel, damals noch Direktor, er-
möglichte es mir erstmals, eine eigene For-
schergruppe aufzubauen. Die erste Mitar-
beiterin, die ich einstellte, war Birgit Weiss,
meine technische Assistentin. Sie arbeitet
noch heute bei mir. Hinzu kamen zwei Dok-
toranden. Das war anfangs alles. Mit der
Zeit ist die Gruppe größer geworden und
nunmehr können wir über 200 wissen-
schaftliche Publikationen vorweisen.
Welches Ihrer vielen Forschungsergeb-
nisse ist Ihnen besonders wichtig?
Ich greife exemplarisch ein Projekt heraus,
das bis in die Gegenwart hineinreicht. Um
die 90er Jahre wurde angenommen, dass
am Chromosomenende von X und Y ein
Gen liegen könnte, das für den menschli-
chen Kleinwuchs ursächlich ist. Im Jahr
1997 ist es uns gelungen, ein Gen zu isolie-
ren, dessen veränderte Version für eine
bestimmte Form der menschlichen Klein-
wüchsigkeit verantwortlich ist. Wie sich
herausstellte, handelt es sich dabei um
ein Gen, das schon sehr früh in der Ent-
wicklung von Lebewesen benötigt wird.
Sein Name ist SHOX, die Kurzform für short
stature homeobox containing gene on the
X-chromosome. Wir haben seit der ersten
Veröffentlichung – das war im Jahr 1997 in
der Zeitschrift Nature Genetics – sehr viel
über die Biologie dieses Transkriptionsfak-
tors, seiner Regulatoren und Zielgene dazu
lernen können. Heute wissen wir auch,
dass das Gen bei rund fünf Prozent aller
kleinwüchsigen Menschen verändert ist.
Konnte diese grundlegende molekulare
Einsicht dazu beitragen, kleinwüchsigen
Menschen zu mehr Körpergröße zu ver-
helfen?
Es war schnell klar, dass es sich umGen von
großer klinischer Relevanz handelt, und wir
nahmen Kontakt zu verschiedenen pharma-
zeutischen Firmen auf. Unterstützt von ei-
ner amerikanischen Firma analysierten wir
dann das Erbmaterial von mehr als 2.000
kleinwüchsigen Kindern. Wir erhielten da-
mals DNA-Proben aus zwei Dutzend Län-
dern rund um den Globus. 50 der klein-
wüchsigen Kinder wurden in eine klinische
Studie aufgenommen, die prüfte, wann
kleinwüchsige Kinder mit einem SHOX-
Mangel von einer Behandlung mit Wachs-
tumshormon profitieren können.
Was war das Ergebnis?
Man wusste damals, dass eine Behand-
lung mit Wachstumshormon bei den mei-
Gudrun Rappold:
„Es war schnell klar, dass es sich
bei Shox um ein Gen von großer
klinischer Relevanz handelt“
Prof. Dr. Gudrun Rappold ist Direktorin
der Abteilung Molekulare Humangene-
tik. Sie erforscht genetische Störungen
des Wachstums und des Nervensystems.
Seit über 20 Jahren forscht die
Molekularbiologin Gudrun
Rappold im Institut für Human-
genetik in Heidelberg. Zahl-
reiche Gene hat sie seither
dingfest machen können, die
bei Erkrankungen des Menschen
eine Rolle spielen, unter ande-
rem Gene, die für Kleinwuchs
oder Störungen des Nerven-
systems verantwortlich sind.