Seite 6-7 - Klinikticker Juli - August

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KLINIKUM AKTUELL
Was kann man gegen
Manipulationen bei der
Organvergabe tun,
Herr Professor Büchler?
Der Skandal um manipulierte Patienten-
daten in Göttingen und Regensburg hat
der Transplantationsmedizin in Deutsch-
land schwer geschadet. Professor Dr. Mar-
kus W. Büchler, Geschäftsführender Direk-
tor der Chirurgischen Klinik, stellte sich
den Fragen des KlinikTickers.
In Göttingen und Regensburg wurden ver-
mutlich Daten manipuliert, damit mehr
Lebertransplantationen
vorgenommen
werden konnten. Was war ihre erste Re-
aktion, als sie das gehört haben?
Prof. Dr. Büchler:
Ich war erschrocken, denn
ein solches Fehlverhalten ist schädlich und
sogar unerträglich. Es schadet dem Vertrau-
en, das Patienten in uns Ärzte haben, es
schadet der Organspende, auf die so viele
Menschen dringend angewiesen sind. Und
es verunsichert unsere Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, wenn die Transplantations-
medizin unter Generalverdacht kommt.
Was haben Sie getan, um sicherzustel-
len, dass es keine Manipulationen in Hei-
delberg gegeben hat?
Wir haben uns umgehend sämtliche Daten
der letzten Jahre genau angeschaut und kei-
ne Unregelmäßigkeiten in Heidelberg fest-
gestellt. Wichtig ist aber vor allem, dass im
Heidelberger Transplantationszentrum
im-
mer mehrere Mitarbeiter – Chirurgen, Inter-
nisten und Pflegekräfte – in die Aufnahme
der Patienten in die Warteliste und die Ver-
gabe der Organe involviert sind. Zum Bei-
spiel haben Patienten, die auf eine Leber-
transplantation warten, eine größere
Chance auf ein Organ, wenn sie eine Dialy-
sebehandlung bekommen, weil sie dann
als dringlicher eingestuft werden. Hier in
Heidelberg entscheidet allein der Nephrolo-
ge darüber, ob ein Patient wegen Nierenver-
sagen dialysiert wird. Er hat die Zahlen ge-
prüft und die sind vergleichsweise niedrig.
Das Heidelberger Zentrum hat sich in den
vergangenen Jahren zum größten süd-
deutschen Transplantationszentrum ent-
wickelt. Worauf führen Sie das zurück?
Dieses Wachstum hängt ganz entschei-
dend von der Entwicklung der
Warteliste
ab. Die Zahl der Patienten, die in Heidel-
berg transplantiert werden wollen, hat in
den letzten Jahren stark zugenommen. Da
die meisten Organe direkt an die Patienten
vergeben werden, besteht hier ein direkter
Zusammenhang mit dem Anstieg bei der
Zahl der Transplantationen. Bei der Nieren-
transplantation spielt allerdings auch die
Lebendspende eine Rolle, die einen immer
größeren Anteil hat. Der wesentliche Grund
für die Zunahme der Transplantationen ist
aber die Tatsache, dass das Heidelberger
Transplantationsteam in den vergangenen
Jahren sehr stark daran gearbeitet hat, das
Vertrauen der Zuweiser in Süddeutschland
und darüber hinaus zu bekommen.
In den Medien ist das sogenannte
„Schnellverfahren“ in Verruf gerate, mit
dem Organe „an der Warteliste vorbei“
transplantiert würden. Wird dies auch in
Heidelberg praktiziert?
Ja, natürlich transplantieren wir Organe
nach dem
Schnellverfahren
. Alle Zentren
sind hier beteiligt. Allerdings nicht an der
Warteliste vorbei, sondern an Patienten
auf der Warteliste, nur nach einem ande-
ren Verfahren. Denn es kommt immer wie-
der vor, dass Organe, insbesondere die
Leber, nicht an die ersten drei auf der War-
teliste vorgesehenen Patienten vergeben
werden können. Oft hat das medizinische
Gründe, aber eine Leber kann auch nicht
länger als 16 Stunden konserviert werden.
Dann muss aber recht schnell eine Ent-
scheidung getroffen werden, wem das Or-
gan am meisten nützt, damit es überhaupt
noch verwendet werden kann. Wenn wir
solch ein Organ von
Eurotransplant
ange-
boten bekommen, schauen wir, zu wel-
chem Patienten auf der Warteliste das Or-
gan „passt“, wer am meisten davon
profitiert und treffen dann im Team eine
Entscheidung. Der Fehler war, dass in der
Vergangenheit nicht ausreichend über die
Organvergabe und ihre besonderen Regeln
kommuniziert worden ist.
Welche Maßnahmen müssen aus Ihrer
Sicht getroffen werden, damit das Ver-
trauen in die Transplantationsmedizin
wiederhergestellt wird?
Da das System nie ganz sicher vor den Ma-
nipulationen einzelner sein wird, begrüße
ich es, wenn die Universitätsklinika und die
Bundesärztekammer
unangekündigte Kon-
trollen durchführen und generell das Vier-
Augen-Prinzip landesweit eingeführt wird.
Verstöße müssen dann aber auch Konse-
quenzen haben. Die Politik und die Selbst-
verwaltung im Gesundheitswesen sind jetzt
am Zug. Ich hoffe, dass hier vernünftige und
besonnene Entscheidungen getroffen wer-
den, damit die Öffentlichkeit wieder Ver-
trauen fasst und die Patienten eine Chance
auf ein Organ bekommen. Dazu wollen wir
unseren Teil beitragen. Ich möchte hier die
Gelegenheit nutzen, um allen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern im Klinikum zu
danken, die sich auch in diesen unruhigen
Zeiten für die Organspende und Transplan-
tation am Klinikum engagieren.
Das Interview führte Annette Tuffs
Professor Dr. Markus W. Büchler, Geschäftsführender Direktor der Chirurgischen Klinik,
bei einer Operation. „Der Skandal um manipulierte Patientendaten an den Unikliniken
in Göttingen und Regensburg“, so der renommierte Chirurg, „ist schädlich und sogar
unerträglich und hat der Transplantationsmedizin in Deutschland schwer geschadet.“
Transplantationszentrum Heidelberg
Die Transplantation von Organen hat in
Heidelberg eine lange Tradition. Bereits
1967 verpflanzten Mediziner hier die
erste Niere, 1987 führte man erstmals
eine Leber- und 1989 eine Herztrans-
plantation durch. An der Transplantati-
onsmedizin in Heidelberg, wo 2011 ins-
gesamt 282 Organe transplantiert
wurden, sind zahlreiche Abteilungen
und Berufsgruppen beteiligt.
Warteliste
Patienten, die ein Organ benötigen,
werden in Wartelisten geführt. Derzeit
sind dies in Deutschland etwa 12.000
Menschen. Nicht alle, die ein neues Or-
gan benötigen, können auf eine Warte-
liste aufgenommen werden: Ist das Ri-
siko einer Transplantation zu hoch
oder sind die Erfolgsaussichten
schlecht, wird der Eingriff nicht in Be-
tracht gezogen. Nach dem Gesetz sind
Ärzte verpflichtet, Gründe für oder ge-
gen die Aufnahme auf die Warteliste zu
dokumentieren und dem Patienten
mitzuteilen. Die Zuteilung der Spender-
organe erfolgt nach festgelegten Krite-
rien an die Wartelisten-Patienten, nicht
an die Zentren. Die Vermittlungskrite-
rien sind für die einzelnen Organe un-
terschiedlich. Im Vordergrund stehen
Erfolgsaussicht und Dringlichkeit.
Eurotransplant
Die Stiftung Eurotransplant in den Nieder-
landen – seit 1967 für dieVermittlung aller
Organe in Deutschland, Österreich, den
Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Slo-
wenien und Kroatien zuständig, die ver-
storbenen Menschen entnommen wer-
den – registriert alle Patienten der
Mitgliedsländer, die auf einOrganwarten.
Durch den Zusammenschluss haben die
Patienten größere Chancen, ein immuno-
logisch passendes Organ zu bekommen
oder in dringenden Fällen sehr schnell
transplantiert zu werden. Zwischen 1967
und 2007 hat Eurotransplant 122.000
Menschen ein Spenderorgan vermittelt.
Schnellverfahren
Die Wortwahl suggeriert fälschlich,
dass Organe „schnell an der Warteliste
vorbei“ vergeben werden. Dies ist je-
doch nicht der Fall. Erst nachdem die
ersten Patienten auf der Warteliste
nicht für das Organ in Frage kommen,
wird das Organ von Eurotransplant
einem Transplantationszentrum ange-
boten. Aufgrund der Eile, die dann ge-
boten ist, handelt es sich dabei meist
um ein Klinikum in der Region des
Spenderkrankenhauses. Auf diese Wei-
se sollen problematische Organe –
meist stammen diese von alten oder
kranken Spendern – doch noch einem
Empfänger zugeteilt werden, bevor sie
nicht mehr transplantierbar sind. Ent-
scheidet sich ein Klinikum für das an-
gebotene Organ, wählt ein Team von
Medizinern einen passenden Patienten
von der Warteliste ihres Klinikums aus.
Bundesärztekammer
Wie können zukünftig Manipulationen
bei der Vergabe von Spenderorganen
verhindert und das Vertrauen der Bevöl-
kerung in die Organspende wieder her-
gestellt werden? Um diese Fragen zu
klären, trafen sich Ende August Bundes-
gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP),
Vertreter der Länder, Ärzte, Krankenkas-
sen, Kliniken sowie der Deutschen Stif-
tung Organtransplantation (DSO) und
von Eurotransplant zu einem Spitzen-
treffen in Berlin. Beschlossen wurde:
Zukünftig soll es in den Transplanta-
tionszentren auch externe Kontrollen
geben, dazu werden die Bundesländer
in den Kontrollgremien der Bundesärzte-
kammer (BÄK) und der DSO beteiligt.
Weiterhin verpflichten sich die Kliniken,
interne Kontrollen durchzuführen und
Mindestzahlen an Operationen nicht mit
Bonuszahlungen zu belohnen. Die
Bundesärztekammer (BÄK) bleibt weiter
das Spitzengremium, wenn es um die
Kontrolle der Organvergabe in Deutsch-
land geht. Außerdem kündigte Bahr wei-
tere Gespräche an, die auch zu Ge-
setzesänderungen und -erweiterungen
führen könnten.
Transplantationen in
Heidelberg im Jahr 2012
(Stand: 23.8.)
Leber:
73
(davon 3 Lebendspenden)
Niere:
100
(davon 38 Lebendspenden)
Pankreas: 11
Herz:
15