Seite 24-25 - Klinikticker November-Dezember 2011

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FORSCHUNG
Warum bekommen Men-
schen, die an einer erbli-
chen Veränderung des
roten Blutfarbstoffes Hä-
moglobin leiden, wie bei
der in Afrika häufigen
Sichelzellanämie, keine
schwere Malaria? Wis-
senschaftler um Profes-
sor Dr. Michael Lanzer
und Dr. Marek Cyrklaff
vom Department für In-
fektiologie, Parasitolo-
gie, haben dieses Rätsel
gelöst: Ein Abbauprodukt des veränderten
Hämoglobins schützt vor einem schweren
Verlauf der Malaria. Innerhalb der vom
Malaria-Erreger infizierten roten Blutkör-
perchen blockiert es den Aufbau eines
Transportsystems aus so genannten Aktin-
fasern, über das spezielle Haftproteine
des Erregers an die Außenseite der Blut-
zellen gelangen. So bleiben die befallenen
Blutzellen nicht – wie für diese Malaria-
form typisch – an den Gefäßwänden hän-
gen. Gefährliche Durchblutungsstörungen
und neurologische Komplikationen blei-
ben aus. Die Forschungsarbeit ist – vorab
online – im Fachmagazin „Science“ veröf-
fentlicht.
In den 1940er Jahren haben Forscher be-
reits entdeckt, dass die Sichelzellenanä-
mie mit ihrer charakteristischen Blutverän-
derung in bestimmten Bevölkerungsgrup-
pen Afrikas besonders häufig vorkam, die
außerdem die normalerweise besonders
schwer verlaufende „Malaria tropica“ über-
lebten. Hierbei gelangen die Malaria-Para-
siten (Plasmodien) beim Stich infizierter
Anopheles-Mücken in den Menschen, wo
sie sich zunächst in den Leberzellen ver-
mehren und dann die roten Blutkörper-
chen (Erythrocyten) befallen. Im Inneren
der Erythrocyten teilen sie sich erneut und
zerstören diese schließlich. Das nahezu
gleichzeitige Aufplatzen aller befallenen
Blutzellen verursacht die charakteristi-
schen Beschwerden wie Fieberschübe und
Blutarmut. „Wir haben erstmals einen mo-
lekularen Mechanismus beschrieben, der
die Schutzwirkung dieser Hämoglobinvari-
anten gegen Malaria erklärt“, sagt Profes-
sor Lanzer.
TB / JB
Sichelzellanämie: Schutz vor schwerer Malaria geklärt
Neues aus der
Forschung
Ein neues Forschungsprojekt zu Dengue-Fieber mit 14 Partnern in
12 Ländern wird von der Sektion Klinische Tropenmedizin am De-
partment für Infektiologie unter der Leitung von Dr. Thomas
Jänisch koordiniert. Die Europäische Union fördert IDAMS (Inter-
national Consortium on Dengue Risk Assessment, Management
and Surveillance) über fünf Jahre mit insgesamt sechs Millionen
Euro, davon gehen rund 785.000 Euro nach Heidelberg. Die For-
scher möchten unter anderem herausfinden, wie sich schwere
Krankheitsverläufe frühzeitig erkennen lassen sowie eine welt-
weite Dengue-Risiko-Karte erstellen. Das Dengue-Fieber ist die
häufigste von Stechmücken übertragene Infektionskrankheit;
weltweit leben ca. 3,6 Milliarden Menschen in Dengue-Risiko-
Gebieten. Rund 50 Millionen Menschen erkranken pro Jahr. Eine
Therapie oder Impfung gegen das Virus gibt es nicht. Vor allem
Kinder in tropischen Ländern
Südostasiens und Lateinameri-
kas sind in Gefahr, schwer an
Dengue zu erkranken oder so-
gar daran zu sterben. Reisen-
de, die sich angesteckt haben,
bringen die Infektionskrank-
heit auch nach Europa. In den
vergangenen Jahren wurden
erste Fälle einer direkten Den-
gue-Übertragung durch die so
genannte Tigermücke in Euro-
pa gemeldet.
JB
Wie lassen sich die Risiken für Rü-
ckenschmerzen durch körperliche
Aktivität verringern und vorhan-
dene Beschwerden abmildern?
Daran forschen in den nächsten
dreieinhalb Jahren die Sportor-
thopäden unter Leitung von Dr.
Nikolaus Streich gemeinsam mit
Medizinern aus Potsdam, Berlin,
Dresden, München, Hamburg
Frankfurt/Main, Bochum und
Köln. Das Projekt wird vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft
(BISp) mit insgesamt fünf Millionen Euro gefördert; allein auf Hei-
delberg entfallen dabei rund 700.000 Euro.
Rückenbeschwerden sind die Volkskrankheit Nummer eins in den
westlichen Industrieländern. „Wir wollen gesicherte Erkenntnisse
zur Wirksamkeit spezifischer Interventionsmöglichkeiten durch
körperliche Aktivität erforschen“, kündigt Dr. Streich an. Dabei ko-
operieren die Sportmediziner mit Sport- und Gesundheitssoziolo-
gen, Sportwissenschaftlern und Sportpsychologen.
sims
Studie: Sport gegen Rückenschmerzen
Heidelberger Tropenmediziner erforschen Dengue-Fieber
In roten Blutkörperchen mit verän-
derten Hämoglobinvarianten zer-
fällt das Transportsystem in kurze
Stücke (gelb). Ein gezielter Trans-
port von Eiweißen an die Oberflä-
che kommt nicht zustande. Bild:
courtesy of Science/AAAS.
In roten Blutkörperchen
mit normalem Hämoglo-
bin baut der Malaria-Erre-
ger Plasmodium falcipa-
rum ein Transportsystem
aus Aktinfasern (gelb)
auf. Darüber gelangen
Eiweiße des Parasiten –
in Transporthüllen ver-
packt – (türkis) direkt zur
Zell-oberfläche des roten
Blutkörperchens.
Bild:
courtesy of Science/
AAAS.
An der Neurochirurgischen Klinik hat eine
klinische Studie begonnen, bei der erst-
mals Krebspatienten in Deutschland mit
vermehrungsfähigen, die Krebszellen zer-
störenden (onkoloytischen) Viren behan-
delt werden. Die klinische Studie der Phase
I/IIa, für die ausschließlich Patienten mit
einem operablen Glioblastom-Rezidiv in
Frage kommen, untersucht die Sicherheit
der Virus-Therapie und hofft auf erste Hin-
weise für eine Wirksamkeit. Zum Einsatz
kommen Parvoviren: Diese können Krebs-
zellen befallen und zerstören; eine schäd-
liche Wirkung beim Menschen ist nicht be-
kannt.
Beim Glioblastom, dem bei Erwachsenen
häufigsten bösartigen Primärtumor im Ge-
hirn, liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate
bei unter fünf Prozent. „Von dem erstmals
am Menschen getesteten Therapieansatz
erhoffen wir uns eine Verbesserung der
Überlebenschancen“, erklärt Professor Dr.
Andreas Unterberg, Ärztlicher Direktor der
Neurochirurgischen Klinik. Dies wird aller-
dings noch einige Jahre dauern: Erst wenn
in der aktuellen Studie die Sicherheit nach-
gewiesen ist, wird es in einer zweiten Phase
darum gehen, die Wirksamkeit eingehend
zu erforschen.
cf
Neurochirurgen testen Therapie mit
Paroviren bei Glioblastom-Patienten
Die international renommierte Schmerzforscherin Professor Dr.
Rohini Kuner, Pharmakologisches Institut, erhält vom Europä-
ischen Forschungsrat (ERC) eine hochdotierte Förderung für Spit-
zenforscher in Europa: Der ERC Advanced Grant in Höhe von rund
zwei Millionen Euro läuft über fünf Jahre. Im Fokus des geförderten
Projektes mit dem Titel „The molecular and cellular basis of struc-
tural plasticity and reorganisation in chronic pain“ stehen moleku-
lare und zelluläre Prozesse bei chronischen Schmerzerkran-
kungen, die sich möglicherweise auch als Ansatzpunkte für neue
Therapiemöglichkeiten eignen.
Professor Kuner und ihr internationales Team gehen dabei einen
neuen Weg: Wie sind Nervenzellen miteinander verknüpft? Wie
verändern sich diese Verbindungen in den verschiedenen Stadien
von Schmerzerkrankungen, z.B. bei Verletzungen von Nerven oder
beim Wachstum eines Tumors? Und sind die neuen Verknüp-
fungen die Ursache für chro-
nische Schmerzen? Mit Hilfe mo-
dernster Mikroskopietechniken
können die Forscher funktionelle
Strukturveränderungen
inner-
halb des Nervensystems im
Mausmodell live filmen.
„Wir nutzen dabei die
Möglichkeit, in Heidelberg
interdisziplinär arbeiten
zu können“, so die Wis-
senschaftlerin. Beteiligt sind unter anderem Professor Dr. Björn
Ommer, Bildverarbeitungszentrum HCI (Heidelberg Collaboratory
for Image Processing), und Professor Dr. Thomas Kuner, Institut für
Anatomie und Zellbiologie.
JB
Europäischer Forschungsrat fördert Professor
Dr. Rohini Kuner mit rund 2 Millionen Euro
Professor Dr. Rohini Kuner,
Pharmakologisches
Institut
der Universität Heidelberg.
Professor Dr. Andreas Unter-
berg, Neurochirurgische Klinik
Dr. Nikolaus Streich,
Orthopädische Klinik.
Dr. Bridget Wills (Oxford
University Clinical Re-
search Unit in Vietnam)
und Dr. Thomas Jänisch im
Hospital for Tropical Di-
seases, Ho Chi Minh City,
Vietnam. Bild: Jänisch