Seite 6 - Klinikticker november Dezember

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KLINIKUM AKTUELL
Traurig, aber leider wahr: Jedes Jahr wer-
den in Heidelberg zwischen 300 und 400
schwere Gewalttaten angezeigt, im Rhein-
Neckar-Kreis um die 600. Und um die ein-
tausend Mal im Jahr – so die Zahlen der
Polizei – wird in Heidelberg ein Mensch ge-
ohrfeigt, geschlagen, verprügelt. Kindes-
misshandlungen, Vergewaltigungen, blu-
tige Schlägereien – alles Straftaten, bei
denen Rechtsmediziner sorgfältig und
schnell Spuren sichern, Verletzungen un-
tersuchen und dokumentieren müssen.
Und das nicht nur bei Mord und Totschlag!
Am 21. November hat das Klinikum daher
die erste Anlaufstelle für Opfer von Gewalt-
taten im Land im Rechtsmedizinischen In-
stitut eröffnet.
„Klinisch-forensische Ambulanz“ heißt der
kleine Raum im Souterrain der Rechtsme-
dizin in offizieller akademischer Sprache;
weil das ein wenig nach Pathologie klingt,
spricht die Institutsleiterin Kathrin Yen lie-
ber von einer „Gewaltambulanz“. Sie
grenzt den Begriff aber eng ein: „Bei Am-
bulanz denkt man immer an eine Klinik mit
grün gekleideten Medizinern und langen
Wartezeiten.“ Die Heidelberger Gewaltam-
bulanz funktioniert ein wenig anders: In
vier von fünf Fällen packen die Rechtsme-
diziner ihre Untersuchungskoffer und
fahren direkt in die Wohnungen, in der sich
eine familiäre Tragödie ereignet hat; sie
untersuchen mutmaßliche Täter in der Ar-
restzelle oder werden vom Jugendamt oder
der Polizei angefordert. Nur das restliche
Fünftel der Untersuchungen findet in dem
kleinen Raum des alten Klinkerbaus im Alt-
klinikum statt.
„Prinzipiell richtet sich die Gewaltambu-
lanz an alle Menschen, die von Gewalt be-
troffen sind“, erläutert Prof. Kathrin Yen,
„aber auch an Menschen, die einer Tat be-
zichtigt werden, also Tatver-
dächtige.“ Denn so wichtig
es ist, dass die Rechtsmedi-
ziner belastendes Material
bei Tätern und Opfern fin-
den: Auch entlastendes
Material wird hier gesucht.
„Im Prinzip geht es uns immer darum, he-
rauszufinden, was sich tatsächlich zuge-
tragen hat in einem Fall“.
Schnell muss es gehen
Schnell muss es vor allem gehen, damit
die Beweise noch frisch sind – oder Sub-
stanzen überhaupt noch nachgewiesen
werden können. K.O.-Tropfen etwa können
nur für kurze Zeit, etwa zehn Stunden nach
Verabreichung, zweifelsfrei im Organismus
Simpler Sturz –
oder prügelnder Gatte?
Klinikum eröffnet erste Gewaltambulanz in Baden-Württemberg
„Es geht uns immer darum,
herauszufinden, was sich
tatsächlich zugetragen hat
in einem Fall“
Professor Dr. Kathrin Yen, Ärztliche Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin
Professor Dr. Kathrin Yen, Ärztliche Direktorin
des Instituts für Rechtsmedizin, skizziert
nach einer Untersuchung genau, welche Ver-
letzungen das Opfer erlitten hat. Diese peni-
ble Dokumentation verbessert die Situation
der Opfer in späteren Strafverfahren.