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TITELTHEMA
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Wie ein Blitz
aus heiterem Himmel
Im Neurozentrum in der Kopfklinik werden Schlaganfall-Patienten
von Neurologen, Neuroradiologen und Neurochirurgen
interdisziplinär therapiert
Der Schlaganfall kam ohne Vorankündigung, wie ein Blitz aus hei-
terem Himmel. Eben noch saß Heinrich Metzger (Name geändert)
mit seiner Familie am Frühstückstisch, jetzt, wenige Stunden spä-
ter, liegt er beatmet auf der Intensivstation II in der Kopfklinik und
ringt mit dem Tod.
So wie Heinrich Metzger erleiden jährlich rund 250.000 Patienten
in Deutschland einen Schlaganfall. Etwa 1.600 davon werden in
die Kopfklinik des Klinikums eingewiesen – mit mehr oder weniger
stark ausgeprägten Symptomen. Etwa 200 bedürfen einer Be-
handlung auf der Intensivstation, die Mehrzahl der Patienten
kommt auf die Stroke Unit. „Typisch sind Halbseitenlähmungen,
herabhängende Mundwinkel, Sprach-, Schluck- und Sehstö-
rungen“, erklärt Professor Dr. Roland Veltkamp, Geschäftsführen-
der Oberarzt der Neurologischen Klinik. Sobald jemand diese
Symptome bemerkt, zählt jede Sekunde – „denn jeder Aufschub
ist gleichzusetzen mit dem Verlust von Millionen und Abermillio-
nen an Nervenzellen und der Gefahr einer späteren Behinderung“,
so Prof. Veltkamp.
Sobald der Patient in der Notfallambulanz der Kopfklinik einge-
troffen ist, beginnt die spezialisierte Behandlung: Eine Computer-
tomographie (CT) gibt darüber Auskunft, ob die Symptome von
einem Gefäßverschluss oder einer Blutung stammen (siehe >> Info:
Der Schlaganfall). Davon hängt die Therapie ab: Eine akute Blu-
tung, die sich im CT als „weißer Fleck“ zeigt, wird umgehend von
den Neurochirurgen operiert (Trepanation), um das Gehirn vom
Druck zu entlasten. Dazu dient auch eine Ventrikeldrainage, über
die sich im Gehirn aufgestautes Nervenwassers (Liquor) ableiten
lässt. Sie kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die Blutung in
die Liquorräume eingebrochen ist.
Neuartige Stent-Retriever-Systeme entfernen
den Thrombus aus dem Gefäß
Ist ein Blutgerinnsel Ursache für den Schlaganfall, kommen die
Neurologen und Neuroradiologen ins Spiel. Erreicht der Patient
innerhalb der ersten 4,5 Stunden nach Auftreten der ersten Symp-
tome die Klinik – in Heidelberg sind das immerhin 43 Prozent der
Fälle – wird er mit einem intravenös verabreichten Medikament
behandelt, das den Thrombus auflöst. Je früher diese Lysethera-
pie erfolgt, desto größer sind die Erfolgschancen. Wenn große in-
trakranielle Arterien – wie etwa die Hals- oder Hirnschlagader –
betroffen sind, kann eine relativ neue Methode zum Einsatz
kommen: Dabei schieben Neuroradiologen über die Leiste einen
Führungsdraht mit einem Katheter, ähnlich wie bei einem Herzin-
farkt, in den frischen Thrombus. Dort entfaltet sich das „Stent-Re-
triever-System“, drückt den Thrombus an die Gefäßwand und
stellt sofort wieder die Durchblutung her. Beim Entfernen des
Geräts bleibt das Gerinnsel in der Gitter-
struktur des Stents hängen und wird mit
hinaus gezogen, das Gefäß ist wieder frei.
In Heidelberg wurden im vergangenen Jahr
über 80 Patienten mit dieser Methode be-
handelt.
Pflegerische Schwerpunkte
sind Delirprophylaxe,
Vigilanzkontrolle und
Frührehabilitation
Eines haben die verschiedenen Therapien,
bei denen Neurologen, Neuroradiologen
und Neurochirurgen zusammenarbeiten,
gemein: Sie erfordern ein hohes Maß an
professioneller Pflege. Frank Bühler, Stati-
onsleitung der Intensiv II und der Stroke-
Unit, erklärt: „Bei Patienten nach Lysethe-
rapie, Thrombektomie oder Trepanation
besteht die Gefahr einer Hirnblutung. Vital-
parameter und Vigilanz der zumeist intu-
bierten Patienten müssen engmaschig
überwacht werden.“ Weitere pflegerische
Schwerpunkte sind Infektions- und Delir-
prophylaxe. Ein Delir ist ein organisches,
sich akut entwickelndes Hirnsyndrom, das
sich in Störungen von Gedächtnis, Orien-
tierung, Wahrnehmung, Psychomotorik
und Verhalten äußert. „Je mehr Zeit ver-
geht, bevor ein Delir erkannt wird, umso
schwerwiegender sind die Folgen“, berich-
tet Frank Bühler, der die Gesundheit der
Patienten entscheidend von der Qualität
der Pflege mitbestimmt sieht. „Viele Sym-
ptome, wie beginnende Bewusstseinsein-
trübung, Schluck- und Sehstörungen oder
leichte kognitive Defizite, sind nur mit viel
Erfahrung und der nötigen Beobachtungs-
gabe zu diagnostizieren. Gerade deshalb
sind spezialisierte, gut ausgebildete Pfle-
gekräfte, die ausreichend Zeit für ihre Pati-
enten haben, enorm wichtig.“ Ausreichend
Zeit und Erfahrung erfordert auch die Pfle-
ge nach dem Bobath-Konzept oder nach
kinästhetischen Gesichtspunkten.
Faszinierend findet der Fachkrankenpfle-
ger auch die Tatsache, dass die Frühreha-
bilitation von Schlaganfallpatienten be-
reits auf Intensivstation und Stroke Unit
beginnt. Dort sorgen die Pflegenden ge-
meinsam mit Medizinern, Physio- und Er-
gotherapeuten sowie Logopäden dafür,
dass die Patienten mit den bestmöglichen
Voraussetzungen den Weg in die Rehabili-
tation antreten können. Untersuchungen
konnten bereits zeigen, dass die interdis-
ziplinäre Behandlung auf der Stroke-Unit,
die mit 20 Betten zu einer der größten in
Europa gehört, Sterblichkeit und Grad der
Behinderung bei Schlaganfallpatienten
deutlich reduziert hat.
Christian Fick
Aus der Forschung
Kältetherapie für
Schlaganfall-Patienten
Einzige ursächliche Schlaganfall-Behand-
lung ist die Lysetherapie, also die Gabe eines
Medikaments zur Auflösung des Blutgerinn-
sels. Diese war bis zum Jahr 2009 nur in
einem Zeitfenster von bis zu drei Stunden
nach Symptomeintritt zugelassen. Die 2008
im New England Journal of Medicine publi-
zierte ECASS 3-Studie unter der Federfüh-
rung von Professor Dr. Werner Hacke, Ärztli-
cher Direktor der Neurologischen Klinik,
erweiterte die Zeitspanne einer Lysetherapie
auf 4,5 Stunden nach Symptombeginn und
verbesserte signifikant die Prognose betrof-
fener Patienten. Aktuelle Trends in der
Schlaganfall-Forschung sind die Thrombek-
tomie, bei der das Blutgerinnsel mit Hilfe
eines endovaskulären Verfahrens aus dem
Blutgefäß entfernt wird, sowie die Hypother-
mie. Diese Therapie, deren Nutzen derzeit in
einer großen europaweiten Studie erforscht
wird, versetzt das Gehirn des Patienten
durch Kälteeinwirkung (teilweise) in eine Art
Winterschlaf. Mit Hilfe dieser Prozedur wol-
len die Forscher die bleibenden körperlichen
Beeinträchtigungen sowie die Zahl der To-
desfälle nach einem Schlaganfall reduzie-
ren. Neurochirurgische Forschungsschwer-
punkte liegen u.a. in der Entwicklung und
Anwendung neuer Techniken zur Ausschal-
tung von Gefäßmissbildungen, die bei Rup-
tur zu einer Hirnblutung führen können so-
wie in der Begrenzung des Folgeschadens
durch frühe Erkennung und Therapie des
schweren Schädel-Hirn-Traumas durch Neu-
roprotektion.
>> Info: Der Schlaganfall
Ein Schlaganfall ist eine plötzliche Durchblutungsstörung des Ge-
hirns. Ursache ist zu ca. 85 Prozent der Verschluss einer Gehirnar-
terie durch Blutgerinnsel. In der Folge wird eine Region des Ge-
hirns nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Kommt der Patient
innerhalb von 4,5 Stunden nach Auftreten der Symptome in ein
Schlaganfallzentrum, kann die Behandlung mit einem enzymhal-
tigen Medikament erfolgen, welches das Gerinnsel abbaut und
das Gefäß wieder durchgängig macht. Zu etwa 15 Prozent und so-
mit wesentlich seltener ist eine Blutung: Eine Arterie im Gehirn
platzt und das ausströmende Blut drückt auf lebenswichtige Hirn-
areale. In diesem Fall hilft nur noch ein neurochirurgischer Eingriff,
bei dem die Schädeldecke geöffnet wird und das Blut entweichen
kann. So unterschiedlich Gefäßverschluss und Blutung auch sind,
so ähnlich sind die Symptome: Abhängig von der betroffenen Ge-
hirnregion können u.a. Taubheit, Schwäche, Schwindel, Läh-
mungen, Seh- und Empfindungsstörungen auftreten. Jeder Schlag-
anfall – vollkommen unabhängig vomSchweregrad der Symptome
– ist ein Notfall und muss umgehend in einer spezialisierten Klinik
behandelt werden. In Deutschland, wo jährlich etwa 250.000
Menschen betroffen sind, ist der Schlaganfall nach Herzinfarkt
und Tumorerkrankungen die dritthäufigste Todesursache. Zudem
stellt die Erkrankung die häufigste Ursache für erworbene Behin-
derungen und für Pflegebedürftigkeit im Alter dar.
Daten und Fakten
Stationen / Betten / Mitarbeiter:
Intensiv 1 (NCH): 12
(davon 2 Betten HNO und MKG)
Intensiv 2 (NEU): 12
(davon 3 Betten HNO und MKG)
Stroke-Unit (STWA, NEU): 20
Interdisziplinäre IMC-Station
(Anästhesie, NCH, HNO und MKG): 12
Claudia Moderow, stellvertretende Stationsleitung der Intensivstation II und der
Stroke Unit, stellt die Beatmung auf die Bedürfnisse eines Patienten ein. Dieser
musste aufgrund eines schweren Schlaganfalls intubiert werden.