Seite 28-29 - KlinikTicker Ausgabe1 M

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TITELTHEMA
„Wir sind sozusagen
die letzte Instanz“
Was muss ein guter Intensivmediziner können?
Knapp:
Ein guter Intensivmediziner muss einen guten klinischen
Blick haben. Er muss zügig erkennen können, was dem Patienten
fehlt und in Notfallsituationen schnell invasive Maßnahmen er-
greifen. Auf unserer Station ist es auch wichtig, das gesamte Spek-
trum der Medizin zu beherrschen, denn wir behandeln sowohl äl-
tere Menschen als auch Kinder und Patienten aus vielen
verschiedenen operativen Fachrichtungen. Von der Schwangeren
mit „Schweinegrippe“, der großen Mehrzahl an visceralchirur-
gischen oder polytraumatisierten Patienten bis hin zu frisch Trans-
plantierten oder Patienten, die auf ein Organangebot warten.
Gluth:
Ein guter Intensivarzt braucht viel Einfühlungsvermögen,
um mit Patienten und Familienangehörigen auch in schwierigen
Situationen gut umgehen zu können.
Kraus:
Als Krankenschwester finde ich es wichtig, vor allem einen
weitreichenden Blick zu entwickeln und über die Pflege des Pati-
enten hinaus zu denken. Man muss im Behandlungsteam zwi-
schenmenschlich gut miteinander auskommen und auch interdis-
ziplinär mit Spezialisten aus anderen Fachbereichen agieren
können.
Warumhaben Sie sich speziell für die Arbeit auf einer Intensivstati-
on entschieden?
Kraus:
Mir war es schon während der Ausbildung wichtig, Erfah-
rung im Bereich der Notfallversorgung und der Versorgung von kri-
tisch kranken Patienten zu sammeln. Ich wollte mich über die all-
gemeinpflegerischen Kenntnisse und Maßnahmen hinaus
fort- und weiterbilden können. Das hat mir die Intensivpflege sehr
gut ermöglicht, im Rahmen von Fachweiterbildungen und auch
Aufstiegsmöglichkeiten.
Knapp:
Mir macht das interdisziplinäre Arbeiten Spaß, sowohl
zwischen Ärzten und Pflegern als auch zwischen Experten ver-
schiedener Fachdisziplinen. Unsere Patienten haben nicht nur chi-
rurgische Probleme, sondern häufig auch internistische wie Lun-
genembolie, Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz. Oft betreuen wir
auch Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen, sei es Depres-
sionen oder Delir. Es macht mir Spaß, in alle Aspekte der Medizin
hineinschauen zu können.
Gluth:
Für mich war es vor allem wichtig, das Notfallmanagement
auf einer Intensivstation kennenzulernen. Die verschiedenen
Handlungs-Pathways zu kennen, zu wissen, wie man am effek-
tivsten in kritischen Situationen Hilfe leisten kann, ummit solchen
Situationen in Zukunft vielleicht auch auf einer normalen Station
routinierter umgehen zu können.
Auf einer Intensivstation herrscht ein stetiges Kommen und Ge-
hen an Patienten, lange Tag- und Nachschichten stören den nor-
malen Schlaf- und Lebensrhythmus. Wie gehen Sie mit diesen
Belastungen um? Ist Stress eher ein Motivator oder hätten Sie
es manchmal lieber etwas ruhiger?
Kraus:
Beides. Für mich ist Stress in Notfallsituationen weniger
belastend als fordernd. Er macht meine Arbeit interessant. Schwie-
riger wird es, wenn durch Krankheitsfälle Personalengpässe ent-
stehen und man zeitlich nicht mehr alle Patienten gleich gut ver-
sorgen kann. Der Schichtdienst hat mich
am Anfang nie gestört, aber mittlerweile
merke ich, dass die Nachtschichten für
mich härter werden. Ich könnte mir gut vor-
stellen, dass das in zehn oder 20 Jahren
zur Belastung wird.
Gluth:
Als Chirurg bin ich lange Schichten
und Stress aus dem OP gewohnt. Aus die-
sem Grund macht es mir aktuell nichts
aus, auch mal 12 Stunden am Stück auf der
Intensivstation im Einsatz zu sein.
Was unterscheidet aus Ihrer Sicht die Ar-
beit auf einer Intensivstation von der auf
einer normalen Station?
Gluth:
Im Gegensatz zur Normalstation ha-
ben wir durch die ganzen Maschinen eine
stetige Geräuschkulisse im Hintergrund.
Zudem kann sich der Zustand unsere Pati-
enten jederzeit verschlechtern.
Kraus:
Der gravierendste Unterschied ist
für mich, dass es nach uns keine Ebene
mehr gibt, auf die wir die Patienten für
eine bessere Betreuung noch verlegen
können. Wir sind sozusagen die letzte In-
stanz. Aus pflegerischer Sicht haben wir
einen viel engeren Bezug zu unseren Pati-
enten und deren Angehörigen. Während
man auf einer normalen Station als Familie
oft Schwierigkeiten hat, den richtigen An-
sprechpartner zu finden, laufen auf der In-
tensivstation jeden Tag viele engmaschige
Gespräche zwischen Ärzten, Pflegern und
Angehörigen.
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Intensivmedizin in der Chirurgischen Klinik
Die Station 13 IOPIS (Interdisziplinäre Operative Intensivstation, 16 Betten) in der Chirur-
gischen Klinik betreut Patienten aus den Fachdisziplinen Viszeralchirurgie einschließlich
der Transplantationschirurgie, Gefäßchirurgie, Traumatologie, Kinderchirurgie, Urologie
und Gynäkologie. Das außergewöhnliche an der Station: Sie wird von Anästhesisten und
Chirurgen gemeinsam geleitet, trägt die Bezeichnung „interdisziplinär“ im Namen also
nicht nur auf dem Papier. Die Bandbreite der behandelten Erkrankungen ist genauso groß
wie die Zahl der beteiligten Abteilungen: Ob prä- oder postoperative Überwachung nach
Organtransplantation oder aufwendiger Pankreas- oder Leber-OP, Einsatz einer Gefäßpro-
these bei Bauchaortenaneurysma oder komplizierter Eingriff bei Nieren- oder Blasentu-
mor – die Station verlangt von seinen Mitarbeitern fachübergreifendes Wissen, Flexibilität
und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterbildung.
Diese Mitarbeiter-Tugenden sind auch auf der Station 6 IMC/VTS (Intermediate Care /
Viszeralchirurgische Transplantationsstation, 24 Betten) erforderlich. Genau wie auf der
IOPIS werden dort neben einer spezialisierten intensivmedizinischen Versorgung auch
aufwändige Verfahren wie Blutreinigung per Dialyse, Hämofiltration oder Lungenunter-
stützung mittels nicht invasiver Beatmung durchgeführt. Einziger Unterschied: Während
auf der IOPIS die Patienten größtenteils maschinell beatmet sind und dann per "Weaning"
von der Beatmung entwöhnt werden, steht auf der IMC/VTS eher die Stabilisierung mit
nicht-invasiver Beatmung im Fokus. Hochqualifiziert und professionell arbeitet auch das
Pflegeteam: Kinästhetik, basale Stimulation, moderne Wundversorgung, leitlinienge-
rechtes Handeln oder die Dokumentation über ein Patientendaten-Management-System
(PDMS) fordern und fördern gleichzeitig. Ein ähnlich hohes Anforderungsprofil müssen
die Mitarbeiter auf den Stationen 12 HIS (Herzchirugische Intensivstation) und der Station
7 (Kardiochirurgische IMC) erfüllen. Dort werden Patienten vor und nach kardiochirur-
gischen Interventionen behandelt. Dazu gehören Bypass-Operationen, Eingriffe an Aorta
und Herzklappen, die Korrektur angeborener Herzfehler oder Herztransplantationen.
cf
Dr. Jürgen Knapp, Klinik für Anästhesie, Medizinstudium von
Oktober 1998 bis Dezember 2004, am Klinikum seit 2005.
„Es macht Spaß, in
alle Aspekte der Medizin
hineinzuschauen.“
Dr. Jürgen Knapp
Drei Mitarbeiter von einer Station zu einem gemeinsamen Gespräch zusammenzu-
bringen – gar nicht so einfach. Trotzdem haben sich Anästhesist Dr. Jürgen Knapp,
Chirurg Dr. Alexander Gluth und Fachkrankenschwester Nicole Kraus zwischen
ihren Schichtdiensten – Dr. Gluth hat z.B. gerade einen zwölfstündigen Nachtdienst
hinter sich – Zeit für ein Interview mit dem KlinikTicker genommen. Alle drei sind
gemeinsam auf der Interdisziplinären Operativen Intensivstation (IOPIS) in der
Chirurgischen Klinik im Einsatz und sprechen über die Besonderheiten in der
Intensivmedizin, persönliche Grenzsituationen und die Frage, wie viel Therapie
wirklich Sinn macht.