33
32
TITELTHEMA
Patient und Familie
stehen
gleichermaßen im Mittelpunkt
Familienzentrierte Intensivpflege auf der interdisziplinären
Kinderintensivstation
Einen Hinweis auf die Besuchszeiten sucht
man vor der Tür der Intensivstation der Kin-
derklinik vergeblich – es gibt nämlich kei-
ne. Anders als viele andere Stationen, auf
denen Schwerstkranke betreut werden,
steht die interdisziplinäre Kinderintensiv-
station für Besucher rund um die Uhr of-
fen. Denn hier stehen nicht nur die jungen
Patienten im Fokus, sondern auch deren
Familien. Unter dem Begriff der „familien-
zentrierten Intensivpflege“ werden die An-
gehörigen in alle wichtigen Untersu-
chungen mit einbezogen und sind bei
jeder Visite dabei. Ärzte und Pfleger ste-
hen im ständigen Informationsaustausch
mit den Eltern. „Das macht unsere Arbeits-
abläufe zwar manchmal ein wenig um-
ständlicher und langsamer, aber der Nut-
zen der vielen Familienbesuche überwiegt
deutlich“, erklärt Dr. Jochen Meyburg,
Oberarzt der Station K Intensiv am Zentrum
für Kinder- und Jugendmedizin.
Ärzte und Pflegende sind daher auf der
Kinderintensivstation an ein Arbeiten un-
ter ständiger Beobachtung gewöhnt. „Kol-
legen aus der Erwachsenenintensivmedi-
zin erleben das als eine großeUmstellung“,
so die pflegerische Stationsleiterin Eva
Rösch. „Man ist nie mit dem Patienten al-
leine, die Eltern sind immer dabei. Da-
durch schaut einem immer jemand auf die
Finger.“ Grundsätzlich gilt: Die Familien
stören nicht, sie sind erwünscht und gehö-
ren dazu. Nicht zuletzt sind sie auch für
Ärzte und Pflege wichtige Ansprechpart-
ner, wenn es etwa darum geht, die beste
Therapie zu finden. Einige Eltern bleiben
auch über Nacht bei ihren Kindern – ein
separates Elternzimmer mit Schlafmög-
lichkeiten macht dies möglich. Jüngere Ge-
schwisterkinder, die sich nach einiger Zeit
am Krankenbett langweilen würden, kön-
nen zudem im hauseigenen „Kinder-Pla-
net“ betreut werden. Stirbt ein Kind, unter-
stützen auch Psychologen und Seelsorger
die Familien in dieser besonders schwie-
rigen Situation.
Im Umgang mit ihren jungen Patienten be-
weisen die Heidelberger Experten täglich
viel Fingerspitzengefühl. „Viele Kinder
sind sehr verängstigt, wenn sie auf unsere
Station kommen“, sagt Eva Rösch. „Wir
sprechen daher immer mit unseren Pati-
enten, egal ob sie sediert sind oder nicht und versuchen, jede Be-
handlung ganz genau zu erklären.“ Das hat bisweilen auch schon
einmal zu einem eher ungewöhnlichen Abendprogramm für eine
Intensivstation geführt, erinnert sich Dr. Meyburg: „Eine Ärztin hat
einer 15-jährigen Patientin immer wieder von dem Film „Dirty Dan-
cing“ erzählt. Die Patientin kannte den Film aber nicht, also haben
wir uns nach Dienstschluss mit Popcorn zusammengesetzt und
ihn gemeinsam angeschaut.“
Die Kinderintensivstation ist auf ein breites Patientenspektrum
eingestellt. Hier werden Kinder und Jugendliche mit verschie-
densten Erkrankungen betreut – vom allerersten Lebenstag bis ins
frühe Erwachsenenalter. Die Behandlungsschwerpunkte der Stati-
on liegen vor allem in der Betreuung von Früh- und Neugeborenen,
Patienten vor oder nach einer Leber- oder Nierentransplantation,
Stammzelltransplantationen oder neurochirurgischen Eingriffen.
Viele Kinder leiden auch an angeborenen Stoffwechselerkran-
kungen, Herzfehlern oder stehen nach einer Herz-OP unter Beo-
bachtung.
Standardisierte Behandlungsmethoden gibt es trotzdem nur sel-
ten. Manche Patienten wiegen weniger als 2.000 Gramm, andere
dagegen 50 Kilogramm – jede Therapie wird somit individuell
zugeschnitten und angepasst. „Bestimmte Eingriffe, die in der Er-
wachsenenintensivmedizin selbstverständlich sind, können wir
bei Kindern nicht ohne Weiteres durchführen, weil es dafür keine
geeigneten Instrumente gibt“, erklärt Jochen Meyburg. „Eine Tra-
cheotomie können wir etwa bei einem Erwachsenen ohne Pro-
bleme auf der Intensivstation durchführen, ein Kind müssten wir
dafür einer Operation durch einen HNO-Arzt unterziehen. Daher
schöpfen wir in so einem Fall zunächst andere Beatmungsmög-
lichkeiten aus.“ Schmerzhafte oder besonders belastende Be-
handlungen bleiben den jungen Patienten nach Möglichkeit ganz
erspart, kommen sie doch zum Einsatz, dann nur unter Sedierung.
Um für jeden Patienten eine optimale Versorgung gewährleisten
zu können, kooperiert die Kinderintensivstation eng mit Spezia-
listen aus anderen Bereichen des Klinikums, wie beispielsweise
Kinderchirurgie, Hals-Nasen-Ohrenklinik, Neurochirurgie, Ortho-
pädische Klinik oder der Thoraxklinik. Manche Patienten betreuen
Dr. Meyburg und seine Kollegen auch über das 18. Lebensjahr hi-
naus – etwa wenn seltene Erkrankungen wie angeborene Herzfeh-
ler oder Stoffwechselerkrankungen vorliegen, mit denen die Medi-
ziner vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin oftmals besser
vertraut sind. Zudem helfen immer neue technische Möglichkeiten
dabei, die Versorgung der Patienten stetig zu verbessern. So kom-
men etwa im Bereich der kardiologischen Intensivbetreuung seit
zwei Jahren, ähnlich wie bei erwachsenen Patienten, auch
„ECMO“-Geräte zum Einsatz. Das sind Herz-Lungen-Maschinen,
die etwa bei Patienten mit schwerer Herzschwäche das Herz entla-
sten, indem sie seine Pumpfunktion übernehmen.
Alles in allem lässt sich in der Versorgung von schwerstkranken
Kindern daher eine positive Bilanz ziehen: Die allermeisten Pati-
enten verlassen die Kinderintensivstation in deutlich besserem
Zustand wieder.
Daniela Zeibig
„Man ist nie mit dem
Patienten alleine, die Eltern
sind immer dabei. Dadurch
schaut einem immer
jemand auf die Finger“
Eva Rösch
„Bestimmte Eingriffe, die in der
Erwachsenenintensivmedizin
selbstverständlich sind, können
wir bei Kindern nicht ohne Weiteres
durchführen, weil es dafür keine
geeigneten Instrumente gibt“
Dr. Jochen Meyburg
Daten und Fakten
Stationen / Betten / Mitarbeiter:
K-Intensiv: 20 (Kardiologie 10,
Neonatologie 5, Allgemeine Pädiatrie/
Onkologie 5)
K-Neonatologie IMC: 18
K3-Onkologie IMC: 18
Frühgeborenen Intensivpflegestation
FIPS (Frauenklinik): 10
Mitarbeiter Pflege gesamt: 154
Aus der Forschung
Schonende Langzeitsedierung für Kinder
Wie auf anderen Intensivstationen spielt auch in der Kinderintensivmedizin das Thema
Sedierung eine große Rolle. In Heidelberg wird daher unter Leitung von Dr. Jochen Mey-
burg die inhalative Sedierung für die Langzeittherapie bei schwerstkranken Kindern er-
probt. Das so genannte AnaConDa-Gerät erlaubt die Verwendung von Narkosegasen auch
außerhalb des Operationssaals. Dadurch können in der Langzeitsedierung viele langwir-
kende Medikamente eingespart werden, wodurch sich die behandelten Kinder deutlich
schneller von der Intensivtherapie erholen. Deutliche Vorteile bietet das Verfahren auch
bei Patienten mit schwierigen Atemwegen, bei denen eine kritische Extubation so besser
planbar wird. Bisher wurden insge-
samt 15 Kinder und Jugendliche am
Klinikum mit diesem für Kinder noch
innovativen Verfahren behandelt.
Umzug im Juni: Eine neue Heimat
für frühgeborene Intensivpatienten
Die intensivmedizinische Betreuung von Frühgeborenen erfolgt
am Klinikum aktuell in insgesamt drei Bereichen: Am Zentrum für
Kinder- und Jugendmedizin in der Klinik für Neonatologie, die 36
eigene Überwachungsbetten für Früh- und Neugeborene plus El-
ternbetten besitzt, auf der Station K Intensiv sowie im Perinatal-
zentrum der Frauenklinik auf der Frühgeborenen Intensivpflege-
station FIPS. Letztere verfügt über insgesamt zehn Intensivbetten,
in denen rund 100 Säuglinge mit einem Geburtsgewicht von unter
1.500 Gramm mit Hilfe von einem hoch spezialisierten Team an-
hand von familienzentrierten Therapiekonzepten betreut werden.
Derzeit im Heidelberger Stadtteil Bergheim beheimatet, ist im Juni
2013 der Umzug der gesamten Frauenklinik in einen neuen Stand-
ort neben der Neuen Kinderklinik vorgesehen. Damit wird nicht
nur zum ersten Mal die gesamte Neonatologie am Klinikum in
einem Gebäude vereint sein – der Neubau bietet auch mehr Platz
und Ruhe und damit eine noch optimalere Versorgung für die
jüngsten Patienten und ihre Familien.
Kuscheln trotz Tracheotomie und Beatmungsschlauch:
Auf der Kinderintensivstation sind Eltern und Geschwi-
ster der kleinen Patienten jederzeit willkommen.
Forschung: Das AnaConDa-Gerät erlaubt die Verwendung von Nar-
kosegasen auch außerhalb des Operationssaals. Durch die Ein-
sparung vieler langwirkenden Medikamente erholen sich die be-
handelten Kinder deutlich schneller von der Intensivtherapie.