Seite 14-15 - KlinikTicker Ausgabe1 M

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KLINIKUM AKTUELL
Morgens nach dem Aufstehen sind Pascals Gelenke steif und
schmerzen. Eine halbe Stunde vergeht, bis der zehnjährige Junge
sich normal bewegen kann. Pascal leidet an einer seltenen rheu-
matischen Erkrankung. „Rare disorders without borders – seltene
Erkrankungen ohne Grenzen“: unter diesemMotto wird 2013 inter-
national auf Schicksale wie Pascals aufmerksam gemacht. Denn
um Betroffene besser versorgen zu können, kooperieren Wissen-
schaftler und Ärzte über die Grenzen von Fachrichtungen und Län-
dern hinaus. Ein starker Knoten in diesem Netzwerk ist das Zen-
trum für Seltene Erkrankungen (ZSE) am Klinikum.
Der zehnjährige Pascal: Ein tapferer Junge
mit einer langen Krankheitsgeschichte
Schon in seinem ersten Lebensjahr wurde bei Pascal
eine seltene Erkrankung, die septische Granulomatose,
diagnostiziert. Eines von 200.000 Kindern leidet an die-
ser Erbkrankheit, bei der die Immunabwehr gestört ist.
Schwere Infektionen und Fieberschübe waren bei Pascal die Fol-
ge. Die Krankheit wurde mit einer Knochenmarkstransplantation
erfolgreich behandelt. Doch der Junge hatte wieder Pech: durch
die Transplantation entwickelte sich Rheuma, eine Komplikation,
die nur wenige Kinder trifft.
Im Februar 2010 kam Pascal mit seiner Mutter zum ersten Mal in
die Ambulanz für Kinder- und Jugendrheumatologie des Klini-
kums: Starke Schmerzen, Schwellungen und steife Gelenke in
Knien, Händen und Fingern plagten den Jungen. Seitdem wird er
von Dr. Thomas Lutz und Dr. Jürgen Grulich-Henn, den Leitern der
Kinderrheumatologie, behandelt. Regelmäßige Kontrollen sind
wichtig, denn der Krankheitsverlauf kann deutlich variieren, die
Patienten müssen oft starke Medikamente nehmen und sind an-
fällig für schwere Infekte. „Die Kinder werden in der Regel in spe-
zialisierten Zentren betreut“, sagt Dr. Thomas Lutz.
Zentrum für Seltene Erkrankungen erleichtert
Betroffenen Weg zu Diagnose und Therapie
Pascal ist ein fröhlicher Junge und meistert seine Erkrankung tap-
fer. Dank neuer Medikamente, den so genannten Biologicals, geht
es ihm besser. Aber es gibt auch Nebenwirkungen. „Ich bin oft
müde, manchmal ist mir von den Tabletten schlecht“, sagt Pascal.
Auch beim Sport muss er aufpassen: überanstrengt er sich, leidet
er oft tagelang unter den Folgen.
Glück im Unglück hatte Pascal, weil seine Erkrankung frühzeitig
erkannt und behandelt wurde. Unbehandelt führen die chro-
nischen Entzündungen zu schweren Gelenkschäden, dann drohen
schon in jungen Jahren künstliche Knie- und Hüftgelenke. Nicht
immer wird die Diagnose einer seltenen Erkrankung schnell ge-
stellt. „Oft haben die Betroffenen eine jahrelange Odyssee von
Arzt zu Arzt hinter sich“, erklärt Dr. Grulich-Henn. Hier hilft das
ZES: Patienten mit unklaren Symptomen und auch ratsuchende
Ärzte melden sich bei Dr. Pamela Okun, der Koordinatorin. Sie lei-
tet die Anfragen je nach Beschwerdebild an eines der dreizehn
beteiligten Einzelzentren weiter.
Junge Rheumapatienten profitieren von der Kooperation zwischen
Kinder- und Erwachsenen-Rheumatologie am Klinikum. Der Über-
gang in der Betreuung ist fließend. Doch Pascal hofft lieber auf die
Heilung seiner Krankheit – bei der Hälfte der Patienten klingt das
Rheuma im jungen Erwachsenenalter ab.
sm
Kontakt:
Zentrum für Seltene Erkrankungen
Dr. Pamela Okun
Tel.: 06221 / 56 4503
E-Mail: pamela.okun@med.uni-heidelberg.de
Auch Kinder haben Rheuma
Internationaler Aktionstag macht auf seltene Erkrankungen aufmerksam
Regelmäßige Kontrolle des Krankheitsverlaufs ist
wichtig: Dr. Thomas Lutz, Leiter der Kinderrheu-
matologie, untersucht per Ultraschall das Hand-
gelenk seines Patienten Pascal.
Wenn Schmerzen keine
körperliche Ursache haben
Experten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
diskutierten in Heidelberg
Der Rücken schmerzt, jede Bewegung
wird zur Qual. Ein Bandscheibenvorfall?
Nicht alle körperlichen Schmerzen haben
organische Ursachen. Bei jedem fünften
Patienten in der Hausarztpraxis finden
Mediziner mit Röntgen, Ultraschall und
Co. keine Erklärung für die Beschwerden.
Sogenannte funktionelle oder somato-
forme Störungen äußern sich zwar in kör-
perlichen Symptomen wie Kopf- oder Rü-
ckenschmerzen,
Herz-
und
Darm-
beschwerden. Dahinter steckt jedoch ein
Wechselspiel aus genetischer Veranla-
gung, sozialen Problemen und psychi-
schen Belastungen. Auf dem Deutschen
Kongress für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie vom 6. bis 9. März in
Heidelberg haben Experten die aktuelle
Versorgungssituation der Patienten, neue
Therapien und Fachweiterbildungen für
Ärzte diskutiert.
Bis Betroffene eine geeignete Behandlung
erhalten, dauert es meist drei bis fünf Jahre.
Aus Angst vor einer schweren Krankheit
drängen die Patienten auf Abklärung. Außer-
dem lassen viele Ärzte psychische Konflikte
oder soziale Kompetenten außer Acht.
Patientengespräch als
Schlüssel zum Erfolg
„Unser Gesundheitssystem finanziert jegli-
che körperliche Untersuchung, aber für ein
Gespräch fehlt es Ärzten meist an Zeit und
finanziellem Anreiz“, kritisiert Professor
Wolfgang Herzog, Tagungspräsident des
Kongresses und Ärztlicher Direktor der Klinik
für Allgemeine Innere Medizin und Psycho-
somatik. Dabei ist eine gute Kommunikation
zwischen Arzt und Patient Voraussetzung für
die richtige Diagnose. Zudem kooperieren
Patienten, die sich verstanden fühlen, bes-
ser bei der Therapie. „Das Patientenge-
spräch wurde lange Zeit unterschätzt und an
den Universitäten zu wenig und zu spät ge-
lehrt“, sagt Dr. Jana Jünger, Oberärztin in der
Medizinischen Klinik. Sie ist Initiatorin eines
Modellprojektes: in Heidelberg beginnen die
Studenten schon im ersten Semester mit
dem Anamnesetraining. Herzstück sind si-
mulierte Patientengespräche mit Schauspie-
lern. Derzeit wird ein deutschlandweites
Kommunikationscurriculum für Medizinstu-
denten nach Heidelberger Vorbild erarbeitet.
Neues Therapiemodell
lindert Beschwerden
Heidelberger
Psychosomatik-Experten
stellten außerdem ihr neues Therapiemo-
dell „speziALL“ (spezifische allgemeinme-
dizinisch-psychosomatische Kurzinterven-
tion) vor. „Das Besondere an speziALL ist,
dass Hausarzt und Psychosomatiker ge-
meinsam eine Gruppentherapie anbieten,
und zwar in der Praxis des Hausarztes“,
erläutert Dr. Rainer Schäfert, verantwort-
licher Studienarzt der Klinik für Allgemeine
Innere Medizin und Psychosomatik. Da-
durch ist die Hemmschwelle niedrig: Viele
Patienten bevorzugen die Behandlung
beim Hausarzt und lehnen eine Psychothe-
rapie ab. Bei speziALL lernen die Betrof-
fenen, welche biologischen, sozialen und
psychischen Faktoren ihre Beschwerden
auslösen. Sie tauschen sich mit Anderen
aus und üben Bewältigungsstrategien. Das
Konzept hat Erfolg: Die Teilnehmer beur-
teilten ihre Lebensqualität nach den zehn
wöchentlichen Terminen deutlich besser
und ihre körperlichen Beschwerden gingen
zurück. Auch die Zahl ihrer Arztbesuche
hat sich nach der Therapie reduziert.
sm
In Heidelberg lernen Medizinstudenten bereits im ersten Semester, wie man in einem Patienten-
gespräch auch heikle Themen wie psychische oder soziale Konflikte anspricht. Nur so können
funktionelle oder somatoforme Störungen rechtzeitig diagnostiziert werden. Patientenzentrierte
Gesprächsführung war eines der Themen beim Heidelberger Psychosomatik-Kongress.