Seite 30-31 - Klinik Ticker Ausgabe 02 Mai

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FORSCHUNG
Neues aus der
Forschung
Welche Wege nehmen hochschwangere
Frauen in Ghana in Kauf, um ihr Kind in ei-
ner medizinischen Einrichtung mit Hebam-
me zur Welt zur bringen? Welche Rolle
spielt dabei die Qualität der Einrichtung?
Wie wirken sich diese Faktoren auf die
Sterblichkeit von Müttern und Neugebore-
nen aus? Diese Fragen erforscht Dr. Sabine
Gabrysch, Epidemiologin am Institut für
Public Health, und wird dabei nun von der
Daimler und Benz-Stiftung unterstützt: Das
Stipendium für Postdoktoranden umfasst
40.000 Euro für die nächsten zwei Jahre.
Darüber hinaus wurde sie 2012 mit ihrem
Forschungsprojekt zur Mütter- und Neuge-
borenensterblichkeit in Entwicklungslän-
dern in das Margarete von Wrangell-Habili-
tationsprogramm für Frauen aufgenommen.
Im Rahmen des Förderprogramms wird ihre
Forschungsstelle zwei Jahre lang je zur Hälf-
te aus Mitteln des Landes Baden-Württem-
berg und des Europäischen Sozialfonds fi-
nanziert. Weitere zwei Jahre übernimmt die
Universität Heidelberg.
Bei 100.000 Geburten
sterben in Ghana 350 Frauen
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsor-
ganisation sterben jährlich weltweit rund
360.000 Frauen und vier Millionen Kinder
während oder nach der Geburt – viele
könnten durch fachgerechte Geburtshilfe
gerettet werden. Das Risiko ist ungleich
verteilt: Bei 100.000 Geburten sterben in
Ghana 350 Frauen, in Deutschland sieben.
In Entwicklungsländern ist es schwierig,
allen Frauen Zugang zu professioneller Ge-
burtshilfe zu verschaffen – die Ressourcen
sind knapp und qualifizierte Hebammen
und Ärzte Mangelware.
In ihrem aktuellen Forschungsprojekt unter-
sucht Dr. Sabine Gabrysch, wie die knap-
pen Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden
können. „Die Ergebnisse werden uns Hin-
weise geben, welches Angebot den Frauen
mehr entgegen kommt: Viele kleine Entbin-
dungsstationen mit eingeschränkten Funk-
tionen, die aber flächendeckend leicht er-
reichbar sind, oder wenige Geburtshäuser
mit hoher Versorgungsqualität“, so
Gabrysch. „Eventuell lässt sich ein Kompro-
miss finden, z.B. indem man in bessere
Transportmöglichkeiten investiert.“
TB
Sichere Geburt in Ghana: Außer Reichweite?
Frühgeborenes in einem großen
Krankenhaus in Ghana. Hier ist die
Versorgung besser als in den mei-
sten anderen Einrichtungen.
Viele zuckerkranke Menschen leiden unter chronischen Schmer-
zen, besonders in den Waden und Füßen. Den Mechanismus der
diabetischen Nervenerkrankung (Neuropathie) haben Wissen-
schaftler um Professor Dr. Angelika Bierhaus und Professor Dr.
Peter P. Nawroth, Ärztlicher Direktor der Abeilung Innere Medizin I,
aufgeklärt: Das Stoffwechselprodukt Methylglyoxal, das beim Ab-
bau von Zucker im Blut entsteht, bindet an schmerzleitende Ner-
venzellen und macht sie überempfindlich. Dabei gibt es einen
Schwellenwert für die Schmerzempfindung.
Erstmals wurde damit ein Behandlungsansatz identifiziert, der di-
rekt am Auslöser der Schmerzen und nicht am Nervensystem an-
greift: Im Tierversuch senkten Wirkstoffe, die Methylglyoxal abfin-
gen, die Schmerzempfindung. Die Forschungsarbeiten wurden von
der Dietmar Hopp Stiftung unterstützt; ihre Ergebnisse sind im Fach-
magazin „Nature Medicine“ veröffentlicht. „Die Ergebnisse zeigen
erstmals, dass Methylglyoxal unmittelbar das gesteigerte Schmerz-
empfinden verursacht. Das macht es zu einem Ansatzpunkt für die
Behandlung dieses Nervenleidens“, so Professor Nawroth.
Bisher keine zufriedenstellende Therapie
Bisher gibt es keine zufriedenstellenden Therapien: Verfügbare Me-
dikamente wirken auf das Nervensystem ein und machen müde,
lindern die Schmerzen aber nur bei einem Drittel der Patienten –
um bis zu 30 Prozent. Der erhoffte therapeutische Erfolg des neuen
Medikaments, das inzwischen patentiert ist, beruht auf dem neuen
Wirkmechanismus: Es richtet sich gegen das im Blut zirkulierendes
Methylglyoxal und stoppt so die Prozesse, die die Schmerzen verur-
sachen. „Wir gehen davon aus, das erste wirklich wirksame Medika-
ment gegen diabetische Schmerzen gefunden zu haben“, so der
Seniorautor des Artikels.
TB
Medikament gegen diabetische Schmerzen gefunden
Technik, die mitdenkt, den Chirurgen in seinen Entscheidungen
und Tätigkeiten unterstützt und damit die Patientenversorgung
verbessert: Dies ist das Ziel des neuen Sonderforschungsbe-
reiches (SFB/Transregio 125) „Cognition-Guided Surgery – Wis-
sens- und modellbasierte Chirurgie“, den die Deutsche For-
schungsgemeinschaft (DFG) am Klinikum zum 1. Juli 2012
einrichtet. Die Leitung hat Professor Dr. Markus Büchler, Ge-
schäftsführender Direktor der Chirurgischen Klinik, inne. Die
DFG fördert den transregionalen Forschungsverbund gemeinsam
mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Deut-
schen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zunächst für vier Jahre
mit zehn Millionen Euro. „Der SFB ermöglicht es uns, gemeinsam
mit unseren Partnern 13 Forschungsprojekte für eine zukunfts-
weisende Chirurgie zum Wohle der Patienten umzusetzen“, freut
sich Professor Dr. Markus Büchler.
Rasante technische Entwicklung im OP
Die technische Entwicklung imOperationssaal verläuft rasant: Mo-
derne Röntgenanlagen liefern dreidimensionale Bilder selbst
während der Operation. Bei minimalinvasiven Eingriffen zeigen
Kameras den Weg zum Zielgewebe. Roboter dienen als verlänger-
ter Arm des Chirurgen und ermöglichen minimale Positionsände-
rungen der Instrumente im Bauch des Patienten. Und an virtuellen
Modellen überprüfen Ärzte vor dem Eingriff das beste Vorgehen.
„Uns stehen immer leistungsfähigere Einzelsysteme zur Verfügung,
z.B. in der Bildverarbeitung und Gerätetechnik, aber bis heute ist es
nur begrenzt möglich, diese zu kombinieren“, erklärt Professor
Büchler. Und selbst kombinierte Einzelsysteme überlassen die Ver-
knüpfung der gelieferten Informationen dem Chirurgen, werten kein
Erfahrungswissen aus und können keine übergeordneten Schlüsse
ziehen. So hängt die endgültige Entscheidung, z.B. über die Schnitt-
führung bei der Entfernung eines Lebertumors und damit der Erfolg
der Behandlung in hohem Maße von der Erfahrung des Arztes ab.
„Selbst äußerst erfahrene und spezialisierte Chirurgen geraten
durch fehlende Informationen immer wieder in kritische Situati-
onen, in denen sie für den Patienten nur eine suboptimale Lösung
finden oder sogar Fehler machen“, so Professor Büchler.
Der neue Sonderforschungsbereich soll deshalb dazu beitragen,
ein technisches kognitives System zu entwickeln, das Informatio-
nen verknüpft und wissensbasiert auswertet. Hierbei fließen Da-
ten ein, die vor, während und nach der Operation gewonnen wer-
den. Das System soll so kontinuierlich den Chirurgen unterstützen
und z.B. Vorschläge für den nächsten Operationsschritt machen.
Ergebnisse stehen als Erfahrungswissen beim nächsten Einsatz
zur Verfügung. „Für Chirurgen soll es damit einfacher werden, eine
ideale Therapie für die Patienten zu finden und diese mit optima-
ler Qualität durchzuführen“, so Büchler.
Die Ärzte und Wissenschaftler aus Heidelberg und Karlsruhe bau-
en auf langjährige vielfältige Vorarbeiten auf, z.B. im Rahmen des
interdisziplinären Graduiertenkollegs „Entwicklung neuer compu-
terbasierter Methoden für den Arbeitsplatz der Zukunft in der
Weichteilchirurgie“. Hier entwickeln Doktoranden – Ingenieure,
Naturwissenschaftler und Mediziner – zukunftsweisende OP-Tech-
nologien. So haben die Nachwuchswissenschaftler ein Navigati-
onssystem entwickelt, mit dessen Hilfe der Chirurg eine computer-
gesteuerte Operationsnadel gezielt in Lebertumoren führen kann.
Die DFG fördert das erfolgreiche Programm bereits in einer zweiten
Förderperiode über einen Zeitraum von neun Jahren mit rund 8,5
Millionen Euro.
JB
OP-Technik, die mitdenkt
DFG fördert neuen Sonderforschungsbereich mit zehn Millionen Euro
Chirurg operiert mit Computer- und Roboter-
unterstützung im integrierten Operations-
saal minimal invasiv: Visionäres Ziel des
SFB/Transregios 125. Quelle: SFB/TRR 125