Heidelberg,
07
Juli
2023
|
14:28
Europe/Amsterdam

Quo vadis Pflege in der deutschen Universitätsmedizin?

Zusammenfassung

Mit dieser Frage beschäftigt sich das erste gemeinsame Pflegesymposium des Universitätsklinikums und der Medizinischen Fakultät Heidelberg am 13. Juli 2023. Professor Dr. Ingo Autenrieth, Leitender Ärztlicher Direktor des UKHD, Pflegedirektor Edgar Reisch, Professor Dr. Hans-Georg Kräusslich, Dekan der MFHD, und Pflegewissenschaftler Professor Dr. Martin Müller erklären, warum sich dringend etwas ändern muss und was die wichtigsten Handlungsfelder sind.

Beim ersten gemeinsamen Pflegesymposium des Universitätsklinikums (UKHD) und der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) diskutieren Expertinnen und Experten aus Pflegewissenschaft und -management aus Deutschland und der Schweiz „Perspektiven der Pflege in der Universitätsmedizin: Spannungsfeld zwischen exzellenter Versorgung – Forschung – Lehre – Management“. Das Symposium findet am 13. Juli 2023 am Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie in Schlierbach statt. Pressevertreter sind herzlich eingeladen. Um Anmeldung wird gebeten bis 12. Juli 2023.

Fragen zur Notwendigkeit der Akademisierung und die Herausforderungen, vor denen die Pflege in Wissenschaft, Ausbildung, Management und Praxis in Deutschland steht, beantworten Professor Dr. Ingo Autenrieth, Leitender Ärztlicher Direktor des UKHD, Edgar Reisch, Pflegedirektor des UKHD, Professor Dr. Hans-Georg Kräusslich, Dekan der MFHD und Pflegewissenschaftler Professor Dr. Martin Müller an der MFHD:

 

Deutschlandweit besteht im internationalen Vergleich Nachholbedarf in puncto Strukturierung und Einbindung der Pflege in die Universitätsmedizin. Wie ist der Stand?

Prof. Dr. Ingo Autenrieth: Grundsätzlich gibt es in Deutschland in der Pflegewissenschaft wie auch in der akademischen Bildung im Bereich Pflege großen Nachholbedarf – nicht nur in der Universitätsmedizin. Zwar gibt es einzelne Leuchttürme in Deutschland, an denen international absolut konkurrenzfähige Pflegeforschung betrieben wird und die seit Jahren die europäische Entwicklung in der Pflegewissenschaft prägen. Und es gibt Kliniken, die Strukturen und Profile in der Pflegepraxis nach internationalen Standards aufgebaut haben – mit wissenschaftlich nachgewiesenen Verbesserungen für Patientensicherheit, gesundheitliche Ergebnisse und Versorgungsqualität. Aber es gibt bisher erst wenige in die Universitätsmedizin integrierte erstqualifizierende Pflegestudiengänge. Es besteht also großes Potential, aber auch eine dringende Notwendigkeit, dass die Universitätsklinika hier vorangehen und entsprechende Strukturen aufbauen. In Zukunft sollten Medizin und Pflege immer gemeinsam gedacht werden – in Lehre, Forschung, Management und Patientenversorgung.

 

Was sind die wichtigsten Punkte, in denen die deutschen Universitätsklinika und Medizinischen Fakultäten aufholen müssen?

Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich: Aus meiner Sicht sind die Medizinischen Fakultäten mit ihren Universitätskliniken prädestiniert, um die Entwicklung in der Pflege durch eine enge Verbindung von Praxis, Lehre und Forschung entscheidend nach vorne zu bringen. Dazu brauchen wir passende Qualifikationswege vom Bachelor über den Master bis zur Promotion und Habilitation sowie Karrierepfade. Diese können sich an den Aus- und Weiterbildungen des medizinischen Nachwuchs orientieren: Man studiert Pflege und spezialisiert sich dann – analog zu den ärztlichen Weiterbildungen – an den Universitätskliniken auf einen bestimmten Bereich. So erwerben die Absolventinnen und Absolventen große Expertise für ihr Spezialgebiet – sowohl klinisch-praktisch als auch wissenschaftlich. Ihnen steht dann eine klinische, eine wissenschaftliche oder eine kombinierte Laufbahn offen. Für dieses zukunftsorientierte Konzept muss die Pflegeausbildung vollständig akademisiert sein.

 

Beim Symposium werden auch Expertinnen aus den schweizerischen Spitälern Basel und Bern sprechen. Was kann sich die universitäre Pflege in Deutschland von den Schweizern abschauen?

Edgar Reisch: In der Schweiz sind bereits seit Jahren differenzierte Aufgabenprofile für Pflegende aller Qualifikationsstufen, die in der Praxis eng miteinander, aber auch in interdisziplinären Teams zusammenarbeiten, die Regel. Dort ist auch die Pflegeforschung fester, institutionalisierter Bestandteil der Universitätsspitäler. Akademische Ausbildung, Praxis und Forschung gehen Hand in Hand und befruchten sich gegenseitig. Das zeigen internationale Rankings und das werden wir bei dem Symposium von den Kolleginnen aus der Schweiz im Detail erfahren. Wichtig ist meiner Meinung nach auch ein Umdenken in der Sicht auf die Pflege: Es darf nicht mehr darum gehen, Tätigkeiten an die Pflegepersonen zu delegieren. Sondern diese sind selbst Expertinnen und Experten für ihren Bereich und treffen auf dieser Grundlage Entscheidungen – in enger Abstimmung im interprofessionellen Team. In Bezug auf bisher ärztliche Tätigkeiten geht es um Substitution: Die Verantwortlichkeiten entsprechend qualifizierter Pflegepersonen werden ausgeweitet.

 

Warum werden die Universitätskliniken zukünftig mehr studierte und promovierte Pflegewissenschaftlerinnen und -wissenschaftler benötigen und in welchen Bereichen?

Prof. Dr. Martin Müller: Wir benötigen akademisch qualifizierte Pflegepersonen in allen drei Bereichen: Forschung, Lehre und Patientenversorgung. Die Versorgungsqualität in der Akutversorgung hängt maßgeblich von der Qualität der Pflege ab. Gleichzeitig entwickelt sich das spezifische pflegerische Wissen rasant. Wir benötigen in der Pflegepraxis daher wissenschaftlich qualifizierte Personen, die mit diesem Wissen umgehen, das heißt es beurteilen, in den Pflegealltag überführen und in der Anwendung bewerten können. Akademisch qualifizierte Pflegepersonen werden in Teams gemeinsam mit anderen in der direkten Versorgung arbeiten oder haben spezifische klinische Funktionen, z.B. auf der Intensivstation, in der Palliativversorgung oder in der Beratung von Familien. In der Lehre benötigen wir Pflegewissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die Wissen weitergeben und Lernen fördern, in Theorie und Praxis. Und in der Forschung benötigen wir hochkompetente, kommunikationsstarke und kreative Köpfe, die neue bedarfsgerechte, komplexe Versorgungsprogramme entwickeln, hochwertige Studien planen, durchführen, auswerten und publizieren. Ganz so, wie es in anderen Fächern auch ist. An der Medizinischen Fakultät Heidelberg ist man mit dem Studiengang „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung“ vor Jahren einen enorm wichtigen Schritt in diese Richtung gegangen, jetzt müssen weitere folgen.

Hinweis an die Redaktionen

Die Experten stehen im Vorfeld und beim Symposium gerne für Presseanfragen zur Verfügung. Bei Interesse melden Sie sich gerne unter: presse@med.uni-heidelberg.de

 

Programm

Flyer „Perspektiven der Pflege in der Universitätsmedizin"