Neubau Chirurgie… Interviews Individualisierte…

Individualisierte Tumortherapie ist Teamsport

Chirurgie und NCT

Gespräch mit Prof. Dr. Markus W. Büchler, Zentrumssprecher der Chirurgischen Universitätsklinik und Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, und Prof. Dr. Dirk Jäger, Geschäftsführender Direktor Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg

Rund 4.000 Patienten werden jährlich in der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg operiert. Was viele Außenstehende nicht ahnen: Die überwiegende Mehrheit – etwa zwei Drittel davon – sind Tumorpatienten. Ein wichtiger Partner der Heidelberger Chirurgie ist daher das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), das vom Universitätsklinikum gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Deutschen Krebshilfe gegründet wurde. Das NCT ist eine bundesweite Anlaufstelle für Krebspatienten, hier werden individuelle Behandlungspläne erarbeitet, die wohnortnah oder in der Heidelberger Tagesklinik durchgeführt werden können. Zentrales Gremium ist die fachübergreifende Tumorkonferenz, in der Onkologen, Chirurgen und weitere Spezialisten regelmäßig über die bestmögliche Therapie für ihre Patienten diskutieren und die nächsten Schritte planen.

Die Tumortherapie als „Teamsport“ – wie ist das zu verstehen?

Prof. Büchler:

Der Teamgedanke ist entscheidend, weil wir nur gemeinsam ein optimales Ergebnis für unsere Patienten erreichen können. Heutzutage ist fast jeder dritte Krebspatient operierbar – doch häufig ist es nicht mit einem chirurgischen Eingriff allein getan. Meist sind verschiedene Ansätze notwendig. So werden beispielsweise Tumoren, die zu groß sind oder ungünstig liegen, zunächst medikamentös oder strahlentherapeutisch verkleinert, um sie dann endgültig zu entfernen. Auch die medikamentöse Nachbehandlung, die bei vielen operierten Patienten unverzichtbar ist, obliegt den Onkologen.

Prof. Jäger:

NCT und Chirurgie sind außerdem ein Beispiel für eine besonders erfolgreiche Zusammenarbeit von Forschung und Praxis. Ein Großteil unserer Patienten – über 60 Prozent – nimmt an klinischen Studien teil. Um die damit verbundenen Forschungsfragen zu beantworten, benötigen wir Tumormaterial und entsprechende Untersuchungen. Das bekommen wir nur durch die Zusammenarbeit mit einem starken, wissenschaftlich versierten Partner wie der Heidelberger Chirurgie. Unser Ziel ist ja keine Behandlung nach Standard – wir möchten, dass echte Innovationen gelingen, und das geht nur als Team.

Enge Kooperationspartner sind Sie schon viele Jahre, doch nun rücken Sie auch räumlich näher zueinander. Welche Vorteile bringt das für die Behandlung von Krebspatienten mit sich?

Prof. Büchler:

Wir haben in der neuen Chirurgie kürzere Wege, exzellente Medizintechnik und innovative Betreuungsmöglichkeiten. Alles liegt näher beieinander, zum Beispiel befindet sich die Intensivstation direkt neben Operationssälen. Das Gebäude wurde so geplant, dass es für Patienten und Mitarbeitende bestmögliche Bedingungen bietet. Die Zimmer sind komfortabler und die Infrastruktur ist besser. Die neue Chirurgische Klinik ist ein Riesenfortschritt für alle.

Prof. Jäger:

Ein weiterer Vorteil: Kliniken und NCT sind nun über ein Tunnelsystem miteinander verbunden. Bisher mussten wir erkrankte Patienten mit dem Auto beziehungsweise mit einem Krankentransport in die Chirurgie bringen. Zukünftig können die Patienten in ihren Betten von einem Haus in das andere gefahren werden.

Was zeichnet für Sie den Heidelberger Medizincampus aus?

Prof. Jäger:

Wir behandeln mutig und entscheiden nach gründlicher Prüfung, aber schnell. Die enge interdisziplinäre Abstimmung und das Ermöglichen von schnellen Abläufen sind für die Patienten, die sich in einer psychisch stark belastenden Situation befinden, ausgesprochen wichtig. In der Behandlungsqualität zählen wir weltweit zur Spitze.

Prof. Büchler:

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sind schon ganz schön gut hier. Heidelberg hat zu Recht einen hervorragenden Ruf als Forschungs- und Behandlungszentrum in der Krebsmedizin. Das spricht sich herum und begründet den international hervorragenden Ruf dieses Standortes. Wir sind beispielsweise die größte Klinik für Bauchspeicheldrüsenchirurgie der Welt und wir sind sehr stolz darauf.

Hat sich die Bereitschaft der Patienten, an Forschungsprojekten teilzunehmen, verändert?

Prof. Jäger:

Absolut. Früher haben viele Patienten befürchtet, eine Art „Versuchskaninchen“ zu sein, wenn es um nicht zugelassene, experimentelle Therapien ging. Heute sehen wir viele Patienten, die gezielt nach Heidelberg kommen, um an einer innovativen Studie teilnehmen zu können.

Prof. Büchler:

Heutzutage haben viele Patienten ein großes Vertrauen in die moderne Krebsmedizin. Sie sind daher für neue Therapieansätze offen, die ihnen zumindest eine Chance bieten.

Im NCT wird intensiv nach neuen Therapien geforscht. Werden diese irgendwann eine operative Entfernung von Tumoren ersetzen können?

Prof Büchler:

Ich werde jetzt seit vielen Jahren immer wieder mit der Frage „Wie lange gibt es noch die onkologische Chirurgie?“ konfrontiert. Vor etwa 30 Jahren hat mich das schon etwas beschäftigt, aber in der Zwischenzeit bin ich gelassen. Bei Tumoren ist die Entfernung des Krebsgewebes immer noch eine ganz wesentliche Angelegenheit, insofern gibt es die Chirurgie noch ein paar Jahre.

Prof. Jäger:

Wir werden sicherlich bei unterschiedlichen Erkrankungssituationen mit medikamentösen, immun- oder auch strahlentherapeutischen Ansätzen effektiver werden, aber dennoch wird es ohne Chirurgie nicht gehen. Dafür möchte ich zwei Beispiele nennen: Erstens haben wir im Gegensatz zu früher immer mehr Patienten, die auch beim Auftreten von Metastasen von chirurgischen Eingriffen profitieren – eine Entwicklung, für die wir und auch die Patienten sehr dankbar sind. Und zweitens benötigen wir auch bei Anwendung neuer, ganz genau auf den Patienten zugeschnittener Therapien den Tumor, um unseren Gegner genau zu kennen. Ohne Tumorzellen ist eine individualisierte Therapie nicht möglich – und diese Zellen bekommen wir mit Hilfe der Chirurgie.

Stichwort individuelle Therapie: Wie lässt sich diese im Zusammenspiel von zwei so großen Häusern sicherstellen?

Prof. Büchler:

Das ist kein Problem, sondern eine Frage des Managements. Wenn Sie im Management gut und professionell organisiert sind, dann bekommt jeder Patient das, was er braucht. Die Kliniken müssen so aufgestellt sein, dass genügend Ärzte und Pflegende da sind.

Prof. Jäger:

Wir haben jeden Tag etwa 200 bis 240 ambulante Patienten und viele Patienten in den Tageskliniken. Trotz hoher Zahlen wollen wir patien- Prof. Dr. D. Jäger tengerechte Abläufe bieten. Das ist nicht immer einfach, aber es ist machbar, und ich finde, es gelingt uns schon recht gut.

Was sind die Herausforderungen der Zukunft?

Prof. Jäger:

Wir brauchen mehr Strukturen, die uns dabei helfen, neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung auch klinisch relevant zu machen und nicht nur im Labor zu belassen. Wir könnten dann schneller und noch professioneller agieren, auf allen Ebenen.

Prof. Büchler:

Aus meiner Sicht müssen Innovationszentren wie Heidelberg finanziell stärker gefördert werden, denn die Erkenntnisse, die wir hier heute gewinnen, können morgen allen dienen. Man sollte davon Abstand nehmen, alle Krankenhäuser in Deutschland bezüglich ihrer Finanzierung über einen Kamm zu scheren. Ein Standort wie Heidelberg müsste deutlich stärker gefördert werden, sonst können wir eines Tages international nicht mehr mithalten.

Herr Prof. Jäger, wenn Sie Ihrem „Teampartner“ Prof. Büchler drei Wünsche für den Start im neuen Gebäude erfüllen könnten – was würden Sie ihm wünschen?

Prof. Jäger:

Ich wünsche ihm, dass sich im neuen Gebäude moderne Chirurgie sehr viel besser umsetzen lässt und unsere hervorragende Zusammenarbeit noch unkomplizierter wird, damit wir gemeinsam noch eine ganze Reihe von innovativen Konzepten umsetzen können.


Heilungschance Tumorchirurgie

So unterschiedlich Tumorerkrankungen sind, so unterschiedlich sind auch die Menschen, die daran erkrankt sind. Eine Tumorerkrankung kann deswegen ganz viele unterschiedliche Anzeichen haben, manchmal auch keine oder erst sehr spät. Aus diesem Grund wurden für viele Krebserkrankungen Früherkennungsprogramme ins Leben gerufen, um einen Tumor schon zu erkennen, bevor er überhaupt Beschwerden verursachen kann. Hat sich bereits ein bösartiger Tumor entwickelt, besteht in vielen Fällen dennoch die Chance auf Heilung. Dabei ist die Operation einer der zentralen Therapieansätze. Denn durch chirurgische Entfernung des Tumors und all seiner Absiedlungen kann eine dauerhafte Heilung erreicht werden. Die Chirurgische Abteilung des Universitätsklinikums Heidelberg hat eine herausragende Expertise in der Behandlung von bösartigen Erkrankungen des Magen-Darm- Trakts und des Bauchraums. So können insbesondere Pankreaserkrankungen in dem seit 2002 gegründeten Europäischen Pankreaszentrum (EPZ) interdisziplinär auf höchstem Niveau gemäß dem aktuellen Stand der Forschung behandelt werden.

Die Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen bleibt weiterhin ein zentraler Punkt, um für jeden Patienten die beste Therapieoption zu wählen. Jede Krebsoperation ist in ein Netzwerk weiterer Therapieformen eingebunden.