NEW_LIVES: Genomic… Humangenetik

Teilprojekt Humangenetik

Genetische Poliklinik, Universitätsklinikum Heidelberg

Sequenzierung und Auswahlkriterien für Zielgene

Genomsequenzierung, also die Untersuchung aller Abschnitte des menschlichen Genoms, wird mittlerweile als diagnostischer Test für erkrankte Erwachsene und Kinder angeboten. Sie dient der Diagnosestellung besonders von seltenen erblichen Erkrankungen und ist zunehmend wichtig für die Planung der medizinischen Versorgung und Therapie. Auch bei gesunden Neugeborenen ist Genomsequenzierung und damit ein genomisches Neugeborenenscreening (gNBS) technisch möglich. Bisher gibt es keinen Konsens, welche Gene oder Erkrankungen in ein gNBS-Programm aufgenommen werden sollen.

Im Humangenetik-Teilprojekt möchten wir Kriterien für die Auswahl von Genen erarbeiten und uns dabei besonders auf die Sicherheit der genetisch basierten Vorhersage konzentrieren. Dabei spielen Faktoren wie die Sensitivität, die Validität der Gen-Krankheits-Assoziation und die Penetranz (Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mit einer krankheitsrelevanten Variante auch tatsächlich erkranken wird) eine wichtige Rolle. Die Humangenetik wird auch technische und methodische Aspekte in die Diskussion einbringen, ob eine längerfristige Datenspeicherung zur späteren bedarfsgerechten Verwendung empfohlen werden soll, oder ob eine Vernichtung der Daten aus dem gNBS z.B. aus Überlegungen zum Datenschutz vorzuziehen ist, was bei Bedarf eine Neusequenzierung erforderlich macht.

Medizinischer Nutzen – Persönlicher Nutzen

Die Verfügbarkeit einer anerkannten Behandlung ist seit der Publikation der Wilson und Jungner Kriterien eine Voraussetzung für die Aufnahme von Krankheiten in das biochemische NBS. Im genomischen Datensatz sind darüber hinaus Informationen über Krankheiten erkennbar, die zum aktuellen Zeitpunkt nicht behandelbar sind, z.B. das Auftreten einer erblichen Form der geistigen Behinderung. Dieses Wissen könnte für die Lebensplanung und weitere Familienplanung der Eltern von hohem persönlichem Nutzen sein. Es gibt Hinweise, dass für Familien die Sicherheit einer genetischen Vorhersage wichtiger ist als die medizinische Behandelbarkeit der Erkrankung. Sofern das Auftreten einer schwerwiegenden Krankheit mit hoher Sicherheit vorhergesagt werden kann, könnte eine optionale Befundmitteilung auch dann im Rahmen eines gNBS-Programms angeboten werden, wenn keine Behandlung verfügbar ist. Dies steht im Widerspruch zum Gendiagnostikgesetz in der aktuellen Form: Laut §16 ist die Genetische Reihenuntersuchung nur zulässig, wenn die Ziel-Erkrankung “vermeidbar oder behandelbar (…) ist, oder (…) vorgebeugt werden kann“. Die Vor- und Nachteile sind mit den Projektpartnern unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzeslage zu diskutieren.

Altersabhängige Penetranz

Im genomischen Datensatz sind auch Informationen über Erkrankungen erkennbar, die erst im Erwachsenenalter auftreten, z.B. eine BRCA1 assoziierte Tumordisposition. Ist eine solche Disposition in einer Familie bekannt, so sollte eine prädiktive Testung der Kinder erst nach Erreichen des Erwachsenenalters erfolgen. Gründe dafür sind z.B. das Recht auf Nichtwissen des Kindes, mögliche psychologische Nachteile durch das Wissen, sowie versicherungsrechtliche Aspekte.

Falls eine solche Disposition im gNBS nachgewiesen wird, so ist sie möglicherweise in der Familie noch nicht bekannt. Wird die Diagnose aus dem gNBS nicht mitgeteilt, so geht diese potentiell lebensrettende Information für die Familie verloren. Das Wissen über die Tumordisposition könnte für die Eltern unmittelbar medizinisch relevant sein, z.B. da es für betroffene Frauen etablierte Vorsorgemöglichkeiten gibt. Für Erkrankungen mit hoher Penetranz und Therapie- oder Vorsorgemöglichkeit könnte eine optionale Befundmitteilung auch dann im Rahmen eines gNBS-Programms angeboten werden, wenn die Erkrankung erst im Erwachsenenalter auftritt. Die Vor- und Nachteile sind mit den Projektpartnern unter Einbeziehung der Präferenzen von Familien und Betroffenengruppen zu diskutieren.

Team

Prof. Dr. Christian Schaaf

Prof. Dr. med. Christian Schaaf ist medizinischer Direktor und Lehrstuhlinhaber des Instituts für Humangenetik an der Universität Heidelberg. Er ist Facharzt für Humangenetik und erforscht die genetischen Ursachen seltener Erkrankungen. Seine Arbeit führte zur Entdeckung mehrerer neuer Krankheitsgene, und drei Krankheiten wurden nach ihm benannt: Schaaf-Yang Syndrom, Bosch-Boonstra-Schaaf Optikusatrophie Syndrom und Marbach-Schaaf Syndrom. Prof. Schaafs Arbeiten wurden mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt, darunter dem William K. Bowes Award for Medical Genetics der Harvard Medical School, dem Seldin-Smith Award for Pioneering Research der American Society for Clinical Investigation und dem Wilhelm Vaillant Preis.

Dr. med. Heiko Brennenstuhl ist Arzt und Wissenschaftler am Institut für Humangenetik der Universität Heidelberg. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und forscht an der technischen Umsetzung eines genomischen Neugeborenenscreenings. Zuvor war er in der Sektion für Neuropädiatrie und Stoffwechselmedizin für die Etablierung eines zellulären 3D-Modells zur Erforschung von Neurotransmitter-Erkrankungen und für die Validierung eines biochemischen Markers für den AADC-Mangel im Neugeborenenscreening verantwortlich. Während seiner klinischen Ausbildung hat Herr Brennenstuhl berufsbegleitend das Studium „Führung und Management im Gesundheitswesen“ absolviert und die Qualifikation Master of Business Administration erlangt.


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