NEW_LIVES: Genomic… Recht

Teilprojekt Recht

Abteilung Rechtswissenschaften, Universität Mannheim

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die Projektpartner:innen von der Universität Mannheim fokussieren sich auf die rechtlichen Rahmenbedingungen eines genomischen Neugeborenen-Screening (gNBS)-Programmes in Deutschland. Hierfür sind mehre Gesetze einschlägig: Eine zentrale Rolle spielt das Gendiagnostikgesetz (GenDG), das genetische Untersuchungen regelt. Es wird durch die Richtlinien der Gendiagnostikkommission (GEKO) konkretisiert. Spezielle Regelungen zum Neugeborenen-Screening enthält zudem die Kinder-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Beachtet werden müssen aber auch die Regelungen des Personensorgerechts, da die Neugeborenen selbst keine Entscheidungen über die Untersuchungen treffen können und daher durch ihre Personensorgeberechtigten vertreten werden. Bei Durchführung einer Genomanalyse entsteht außerdem eine sehr große Menge an höchst sensiblen Daten. Deshalb werden wir uns auch mit den datenschutzrechtlichen Aspekten eines gNBS beschäftigen.

Praktische Unzulänglichkeiten des GenDG beim gegenwärtigen Neugeborenen-Screening

Das GenDG stellt eine Reihe von Anforderungen an genetische Untersuchungen. Beim Neugeborenen-Screening ergeben sich schon jetzt praktische Probleme, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten.

Nach dem GenDG muss ein Arzt die Aufklärung vor der Untersuchung vornehmen (§ 9 Abs. 1 GenDG). Zudem ist nach dem GenDG eine genetische Beratung vor der genetischen prädikativen Untersuchung vorzunehmen (§ 10 Abs. 2 GenDG). An die Person des Beratenden stellt das GenDG strenge Anforderungen. In der Praxis wird das Neugeborenen-Screening jedoch häufig durch eine Hebamme oder einen Entbindungspfleger betreut, so dass der Arztvorbehalt nicht erfüllt wird. Auch die Mitteilung der Ergebnisse (§ 11 GenDG) darf nur durch den verantwortlichen Arzt erfolgen. Bedarf ein Befund einer unverzüglichen Intervention, ist dies sehr problematisch. Diese Probleme würden sich bei einem gNBS verschärfen.

Rechtliche Schranken für Zielkrankheiten

Das Neugeborenen-Screening stellt eine genetische Reihenuntersuchung i.S.d. §§ 3 Nr. 9, 16 GenDG dar. Zudem ist es auch eine genetische Untersuchung bei einer nicht einwilligungsfähigen Person i.S.d. § 14 GenDG. Aus dem Zusammenspiel von § 14 Abs. 1 und 2 GenDG sowie § 16 Abs. 1 GenDG ergibt sich, dass das Neugeborenen-Screening nur für sehr wenige Zielkrankheiten zulässig ist. Es darf lediglich auf solche Krankheiten gescreent werden, die schon im Kindes- oder Jugendalter auftreten werden und bei denen eine Intervention möglich und notwendig ist, um schlimme gesundheitliche Folgen zu vermeiden. Ein Screening auf andere genetische Eigenschaften, wie beispielsweise auf den Heterozygoten-Status, ist nach der aktuellen gesetzlichen Lage deshalb nicht zulässig. Diese Informationen könnten für Eltern jedoch höchst relevant sein, etwa für die weitere Familienplanung oder für das Wohl des zukünftigen Kindes. Für ein umfassendes oder zumindest weitrechendes gNBS müsste also das GenDG an einigen Stellen geändert werden.

Informationelle Selbstbestimmung, Elternrecht, Berufsfreiheit

Bei einer Änderung des einfachen Rechts setzen unsere Verfassung und insbesondere die Grundrechte Grenzen. Grundrechte sind einerseits Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, andererseits ergeben sich aus ihnen auch staatliche Schutzpflichten. Der Staat ist also verpflichtet, den Einzelnen vor Eingriffen in die Grundrechte zu schützen, die nicht von ihm ausgehen. Das geschieht zum Beispiel durch die gesetzlichen Regelungen, die genetische Untersuchungen nur unter engen Voraussetzungen zulassen.

Bei der Erweiterung des Neugeborenen-Screening-Programms auf genetische Untersuchungen würden sowohl Grundrechte der Neugeborenen als auch der Eltern und in geringem Maße der Ärzte eine Rolle spielen. In Bezug auf genetische Informationen ist hier vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf Nichtwissen der Neugeborenen von Bedeutung. Beide werden aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet. Jeder Mensch soll grundsätzlich selbst entscheiden, welche Informationen andere über ihn erlangen, aber auch, welche Informationen er über sich selbst erlangen möchte. Auf Seiten der Eltern ist zudem das grundrechtlich geschützte Recht auf Familienplanung und das Elternrecht (Art. 6 Abs. 1 GG) von Bedeutung. Auf Seiten der Ärzte kann eine Beschränkung genetischer Untersuchungen in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) oder in die Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) eingreifen.

Team

Prof. Dr. Ralf Müller-Terpitz

Prof. Dr. Ralf Müller-Terpitz studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Bonn und Genf. Nach seinem Rechtsreferendariat in Köln und New York war er zunächst als Referent in der Abteilung Recht/Regulierung des Düsseldorfer Telekommunikationsunternehmens o.tel.o. tätig. Es folgten Promotion und Habilitation am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn. 2007 übernahm er den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wirtschaftsverwaltungs-, Medien- und Informationsrecht an der Universität Passau. Seit September 2013 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Recht der Wirtschaftsregulierung und Medien an der Universität Mannheim. 2014 wurde er zum Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik (IMGB) gewählt. Seit 2015 ist er zudem Mitglied der Ethikkommissionen der Medizinischen Fakultät in Heidelberg und der Universität Mannheim. Außerdem ist er Mitglied der interdisziplinären Forschungsgruppe „Gentechnologiebericht“ am Berlin Institute of Health (BIH).

Hannah Lilly Straub studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Rennes. Das Studium schloss sie mit dem Ersten Staatsexamen und dem Maître en droit im Juli 2022 ab. Seit September 2022 ist sie Doktorandin an der Universität Mannheim bei Herrn Prof. Dr. Müller-Terpitz und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt NEW_LIVES.


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