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Behandlungsverfahren

Die Ionenstrahltherapie

Seit vielen Jahren setzen Mediziner Strahlung ein, um bösartige Tumoren zu zerstören. In der herkömmlichen Strahlentherapie arbeiten sie dabei mit Röntgen- bzw. Gammastrahlen, die aus kleinen Lichtteilchen, den so genannten Photonen, bestehen. Photonenstrahlung ist heute die am häufigsten eingesetzte Strahlenart in der Krebstherapie.

Doch es gibt Tumoren, die Photonen gegenüber fast völlig unempfindlich sind. Auch bei Tumoren, die tief im Körper liegen oder neben sehr strahlenempfindlichen Geweben oder Organen lokalisiert sind, wie z.B. Hirnstamm, Sehnerv oder Darm, stößt die konventionelle Strahlentherapie an ihre natürlichen Grenzen: Mit ihr ist es technisch unmöglich, dem Tumor eine ausreichend hohe Dosis zu verabreichen, ohne das Nachbargewebe zu schädigen.

In diesen Fällen ist die Ionenstrahlung, welche am Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) zum Einsatz kommt, deutlich überlegen. Sie wird auch Teilchen- bzw. Partikelstrahlung genannt, denn sie besteht aus hochbeschleunigten, geladenen Atomkernen.

Dazu gehören Protonen und Schwerionen:

  •  Protonen sind die positiv geladenen Kerne von Wasserstoffatomen.
  • Schwerionen sind die positiv geladenen Kerne von Atomen größerer Masse.  Sie sind deutlich schwerer als Protonen.
  • Die Schwerionen, die im HIT zum Einsatz kommen, sind Kohlenstoff-, Sauerstoff- und Heliumionen.

Das HIT ist die erste Therapieanlage an einer Klinik in Europa, an der Patienten sowohl mit Protonen als auch mit verschiedenen Schwerionen bestrahlt werden können.

Informationen zum genauen Behandlungsablauf im HIT finden Sie hier.

Ionenstrahlung erreicht auch tiefliegende Tumoren

Ionenstrahlung hat eine definierte und exakt einstellbare Reichweite. Die geladenen Teilchen werden im HIT auf über drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dann zielgenau in Richtung Tumor geschickt. Je nach Geschwindigkeit bzw. Energie können die Ionen bis zu 30 Zentimeter tief ins Gewebe eindringen. Ionenstrahlen ermöglichen also auch in der Tiefe ausreichend hohe Dosen bei gleichzeitig guter Schonung des Normalgewebes. Das zeichnet sie gegenüber Photonen- bzw. Röntgenstrahlung aus. Diese ist in einer Gewebetiefe von ca. drei Zentimetern am wirksamsten. Danach fällt die Dosis ab, weil der Strahl auf seinem Weg durch das Gewebe kontinuierlich abgeschwächt wird. Seitlich vom Tumor liegendes gesundes Gewebe wird daher belastet, und tief im Körper liegende Tumoren erhalten keine ausreichend hohe, zerstörerische Strahlendosis. Mit modernen Bestrahlungstechniken lassen sich diese Nachteile oft vermindern – aber nicht immer.

Ionenstrahlung trifft genauer

Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeiten und ihrer großen Masse durchschlagen Ionen das Gewebe wie ein Pfeil und bilden ein scharf begrenztes Strahlenbündel mit nur minimaler seitlicher Streuung. Erst ganz am Ende ihres Weges, kurz bevor sie stoppen, geben die Ionen den wesentlichen Teil ihrer zerstörerischen Energie an das Gewebe ab. Forscher nennen diesen Bereich Bragg-Peak, benannt nach seinem Entdecker William Henry Bragg (1862-1942, englischer Nobelpreisträger für Physik). „Peak“ heißt auf deutsch „Spitze“ und bezeichnet den Bereich, an dem die Strahlung ihren Spitzenwert erreicht. Danach kommt es zu einem steilen Dosisabfall auf nahezu Null.
 

Mit Ionenstrahlung können höhere Strahlendosen verabreicht werden

Ärzte und Physiker können den Therapiestrahl so steuern, dass die maximale Strahlendosis genau den Tumor trifft. Daneben und dahinter liegendes gesundes Gewebe wird kaum belastet. Mithilfe der Rasterscantechnik können viele Tausend Strahlen (Bragg-Peaks) überlagert werden, so dass Tumoren jeder Form, Größe und Tiefenlage im Gewebe millimetergenau vom Strahlenbündel getroffen werden. Weil die Strahlen so genau treffen und gesundes Gewebe verschont bleibt, schätzen Experten, dass die Strahlendosis im Vergleich zur konventionellen Bestrahlung bei einer Protonenbestrahlung um bis zu 20 Prozent und bei einer Schwerionenbestrahlung um bis zu 35 Prozent erhöht werden kann. Damit würden die Heilungschancen für die Patienten steigen.
 

Schwerionenstrahlung ist biologisch wirksamer

Zellen verfügen über leistungsfähige Mechanismen, um Strahlenschäden zu reparieren. Die Reparaturfähigkeit des bestrahlten Gewebes ist nach einer Schwerionenbestrahlung deutlich geringer als nach einer Photonenbestrahlung gleicher Dosis, denn die Schäden sind gravierender. Außerdem schädigen Schwerionen auch Tumoren, die gegenüber herkömmlicher Bestrahlung sehr widerstandsfähig sind. Das sind Tumoren, die sehr langsam wachsen, und solche, die schlecht durchblutete, sauerstoffarme Bereiche enthalten.

Verfahren und Technik

HIT ist die weltweit erste Ionentherapie-Anlage mit Intensitätsmoduliertem Rasterscan-Verfahren. Mit dieser speziellen Bestrahlungsmethode können Tumoren jeder Form, Größe und Tiefenlage im Körper mit einer niemals zuvor erreichten Präzision bestrahlt werden. „Intensitätsmoduliert“ heißt, dass der Behandlungsstrahl im Querschnitt betrachtet in mehrere Bereiche unterteilt ist, die alle eine unterschiedliche Strahlenintensität haben – ganz wie es die Strahlenempfindlichkeit des Tumors und seines Nachbargewebes erlaubt.

Geladene Teilchen lassen sich mit Hilfe von Magnetfeldern in verschiedene Richtungen lenken. Deshalb kann der Ionenstrahl während der Bestrahlung so präzise gesteuert werden. Wie weit der Strahl ins Gewebe vorstößt, hängt dagegen von seiner Energie ab: Je mehr die Teilchen im HIT beschleunigt werden, d.h. je schneller und damit energiereicher der Ionenstrahl ist, desto tiefer dringt er in den Körper ein. Am Teilchenbeschleunigersystem können 100.000 verschiedene Kombinationen der Strahlparameter eingestellt werden. So treffen maßgeschneiderte Strahlenbündel den Tumor millimetergenau und bestrahlen das gesamte Tumorvolumen. Bei der herkömmlichen Bestrahlung mit Photonen kommt die Intensitätsmodulation schon seit einigen Jahren zum Einsatz, für Ionen ist sie neu.

Mit Hilfe eines Computertomographen wird der Tumor in seinen genauen Konturen bildlich dreidimensional dargestellt und anschließend im Rechner in digitale Scheiben von jeweils etwa einem Millimeter Stärke „geschnitten“. Die Computer-Software belegt jede Tumorscheibe schachbrettartig mit nebeneinander liegenden Bildpunkten und berechnet für jeden Punkt die notwendige Eindringtiefe der Strahlung und die höchstmögliche Strahlendosis. Der intensitätsmodulierte Ionenstrahl tastet dieses Raster millimetergenau ab und verweilt so lange auf einem Punkt, bis die zuvor berechnete Strahlendosis erreicht ist. Liegen empfindliche Organe direkt am Tumor, wird an dieser Stelle mit einer geringeren Dosis bestrahlt. Für Tumorareale, die extrem widerstandsfähig gegen Strahlung sind, wählen die Ärzte eine höhere Dosis.

Zusätzlich kommt bei diesem Bestrahlungsverfahren die Online-Therapie-Kontrolle zum Einsatz. Sie gewährleistet die weltweit höchste Sicherheit bei einer Bestrahlung:

Während der Therapie werden Lage, Form und Intensität des Ionenstrahls bis zu 100.000 Mal pro Sekunde überprüft. Fünf hochauflösende Teilchendetektoren erfassen das gesamte Bestrahlungsfeld und vergleichen den Therapiestrahl mit den Vorgaben der Bestrahlungsplanung. Bei der kleinsten Abweichung stoppt die Bestrahlung innerhalb einer halben Millisekunde.

Das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eine Therapieanlage der Superlative. Eine Fläche fast so groß wie ein Fußballfeld, verteilt auf drei Stockwerke, zwei davon unterirdisch, und eine medizintechnische Ausstattung von internationaler Spitzenklasse.

Die geladenen Teilchen werden im HIT auf bis zu drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dann zielgenau in Richtung Tumor geschickt. Wie weit der Strahl ins Gewebe vorstößt, hängt von seiner Energie ab: Je mehr die Teilchen im HIT beschleunigt werden, das heißt je schneller und damit energiereicher der Ionenstrahl ist, desto tiefer dringt er in den Körper ein. Am Teilchenbeschleunigersystem können 100.000 verschiedene Kombinationen der Strahlparameter eingestellt werden. So rastern maßgeschneiderte Strahlenbündel den Tumor millimetergenau ab und bestrahlen das gesamte Zielvolumen. Die genaue Strahlführung von der Ionenstrahlquelle bis zum Patienten und den Aufbau der Beschleunigeranlage am HIT zeigt diese Grafik.
 

1 Ionenquellen: Hier werden Strahlen aus positiv geladenen Ionen erzeugt: Protonen, Kohlenstoff- und Heliumionen. Zur Gewinnung von Protonen wird Wasserstoff, zur Gewinnung von Kohlenstoffionen wird Kohlendioxid verwendet.

2 Hochfrequenzstrukturen: Hier werden die Ionen bis auf ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.

3 Synchrotron: Sechs 60°-Magneten halten die Ionenstrahlen auf einer Ringbahn. Während etwa einer Million Umläufe wird die Geschwindigkeit der Ionen auf bis zu 75 % der Lichtgeschwindigkeit erhöht.

4 Auf dem Weg zum Behandlungsraum: Der Therapiestrahl wird in Vakuumröhren von Magneten geführt und gebündelt.

5 Behandlungsraum: Der Patient wird auf einem Bestrahlungstisch mithilfe eines computergesteuerten Roboters exakt in seine Bestrahlungsposition gebracht.

6 Positionskontrolle: Mit einem digitalen Röntgensystem werden vor der Bestrahlung Aufnahmen erzeugt. Ein Computerprogramm vergleicht diese mit der Bestrahlungsplanung für die exakte Positionierung des Patienten. Durch das mobile Airo-CT-Gerät zur 3DBildgebung kann eine Lagekontrolle sowie eine Bestrahlungsadaption auch direkt im Behandlungsraum durchgeführt werden.

7 Gantry: Mit der drehbaren Strahlführung kann der Therapiestrahl im optimalen Winkel auf den Patienten gelenkt werden. Die Gantry wiegt 670 Tonnen, wovon 600 Tonnen mit Submillimeterpräzision drehbar sind.

8 Bestrahlungsplatz in der Gantry: Hier tritt der Strahl aus der Gantry aus. Zwei mitrotierende digitale Röntgensysteme ermöglichen die Positionskontrolle vor der Bestrahlung.

9 Forschungsstrahlplatz: Der eigens dafür vorgesehene Forschungsplatz macht das HIT zu einer einzigartigen Forschungsplattform für Ionenstrahlung.

Die Gantry
Der Bestrahlungsplatz in der Gantry
Virtuelle Ansicht - Durch Klick ins Bild öffnet sich eine virtuelle Ansicht. Sie können mit den Pfeiltasten oder der Maus durch die 360-Grad-Bilder navigieren.
Virtuelle Ansicht - Durch Klick ins Bild öffnet sich eine virtuelle Ansicht. Sie können mit den Pfeiltasten oder der Maus durch die 360-Grad-Bilder navigieren.

Das HIT ist die weltweit erste Schwerionentherapie-Anlage mit einer um 360° drehbaren Bestrahlungsquelle, der sogenannten Gantry. In der konventionellen Strahlentherapie mit Photonen sind bewegliche Bestrahlungsführungen schon seit Jahrzehnten sehr erfolgreich im klinischen Einsatz; auch Protonenanlagen verfügen über Gantrys. Es gibt in der Welt einige Protonen- und Schwerionenanlagen, die Heidelberger Anlage ist aber weltweit die einzige, die sowohl mit Wasserstoff- als auch mit Helium, Sauerstoff- und Kohlenstoffionen betrieben werden kann.

Gigantische Gantry
Die Gantry im HIT ist eine gigantische Konstruktion aus Stahl: Sie ist 25 Meter lang, im Durchmesser 13 Meter groß und wiegt 670 Tonnen, wovon 600 Tonnen mit Submillimeterpräzision drehbar sind. Die Gantry arbeitet sehr präzise: Der Strahl erreicht den Patienten mit bis zu drei Vierteln der Lichtgeschwindigkeit, kann bis zu 30 Zentimeter ins Gewebe eindringen und weicht dennoch höchstens einen Millimeter vom Ziel ab. 

Beliebige Bestrahlungsrichtung
Die Gantry im HIT ermöglicht eine Bestrahlung des Tumors mit Schwerionen (Kohlenstoff, Helium, Sauerstoff) und Protonen (Wasserstoff) aus beliebiger Richtung. Zusätzlich wird der roboterbasierte Bestrahlungstisch in sechs Richtungen justiert. Kombiniert man diese beiden Bewegungen, ergeben sich beliebig viele Einstrahlrichtungen für den Behandlungsstrahl. Das heißt, die Strahlenbündel der verschiedenen Einstrahlrichtungen überschneiden sich im Tumor und addieren sich nur hier zur Gesamtdosis. Hierfür wurde in die HIT-Gantry mit dem Rasterscan-Verfahren das präziseste Bestrahlungsverfahren integriert, denn es tastet den Tumor millimetergenau ab. Gesundes Gewebe wird auf diese Weise optimal geschont und erhält nur einen Bruchteil der Tumordosis. Insbesondere bei komplizierten Tumorlokalisationen in der Nähe höchst strahlenempfindlicher Organe, wie Darm oder Sehnerv, können diese durch die Wahl besonders günstiger Einstrahlrichtungen ausgespart werden.

Führende Firmen
Die Teilchenstrahltechnologie der Gantry und der gesamten Beschleuniger-Anlage wurde von der Gesellschaft für Schwerionenforschung GSI, Darmstadt, entwickelt, die Drehstruktur von der Firma MT Aerospace gebaut, die weltweit führend im Bau von Satelliten und Teleskopen ist. Die Technik am Patienten wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen Siemens-Healthcare und den Experten der HIT-Betriebs GmbH entwickelt. Heute ist ein Team von Physikern, Technikern und Software-Spezialisten in der HIT-Betriebs GmbH des Universitäts-klinikums Heidelberg für den Betrieb und die technische Weiterentwicklung verantwortlich.