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Interprofessionalität

Unterschiedliche Berufsgruppen sorgen für die optimale Patientenversorgung am UKHD. Pflegende sind täglich im Team mit Ärzten* und Therapeuten im Einsatz auf Station. Jede Profession bringt dabei ihr spezifisches Wissen und ihre Kompetenzen mit ein. Wie häufig, wenn unterschiedliche Berufsgruppen und Hierarchieebenen zusammenarbeiten, birgt dies auch Konfliktpotenzial. Im besten Fall gelingt es, sich gegenseitig immer wieder zu zeigen, dass der Beitrag des anderen wichtig ist und wertgeschätzt wird.

Wie funktioniert am UKHD die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen und welche Ansätze gibt es, um Wertschätzung und Verständnis untereinander zu stärken? Wir sprachen mit Denise Fischer, Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Orthopädischen Klinik und tätig im Bereich der Paraplegiologie (Zentrum für Querschnittgelähmte), Jana Bechler, Ergotherapeutin im Zentrum für Psychosoziale Medizin und PD Dr. Christopher Neuhaus, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Leiter der Anästhesie in der Kopfklinik.

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachformen verzichtet.

Häufig hört man davon, dass in Krankenhäusern noch sehr hierarchische Strukturen herrschen, in denen die Kommunikation auf Augenhöhe nicht immer reibungslos funktioniert. Woran liegt das?

Christopher Neuhaus: Ich denke die Gründe dafür sind vielfältig. Vieles ist sicherlich historisch gewachsen. Früher gab es dieses Bild vom Arzt als Halbgott in Weiß, der für jedes Problem eine Lösung und auf jede Frage eine Antwort hat. Dazu kommt, dass vor vielen Jahren die Pflege tatsächlich in erster Linie zugearbeitet und im klassischen Sinne teilweise ganz simple Aufgaben übernommen hat. Die schrittweise Professionalisierung der Pflegeberufe ist leider an manchen vorbeigegangen. Gerade bei der jüngeren Generation Ärzte sehe ich aber, dass dieses Denken nicht stark ausgeprägt ist. Sie erleben schließlich in ihrem Alltag, dass Pflegende in vielen Bereichen enormes Wissen und Kompetenzen haben. Ein weiterer Punkt aus meiner Sicht ist, dass die Ausbildungswege sehr diskrepant sind. Ärzte studieren sechs Jahre und absolvieren anschließend eine fünfjährige Facharztweiterbildung. Dann erst ist er oder sie eigentlich an dem Punkt, dass Entscheidungen selbst verantwortet werden. Die Pflege ist primär ein Ausbildungsberuf und etwaige Weiterbildungen oder berufsbegleitende Studiengänge sind leider häufig nicht so sichtbar.

Denise Fischer: Ich denke ein großes Problem ist es, dass leider noch häufig Unwissen darüber herrscht, wer in welchem Aufgabenbereich Kompetenzen hat. Wir in der Pflege haben enorm viel Wissen und können zum Beispiel einen Hautpilz eigenständig erkennen und behandeln oder einschätzen, welche Wundbehandlung notwendig ist. Leider sind manche Pflegende noch immer in alten Strukturen gefangen und bestehen auf die Bestätigung eines Arztes. Obwohl wir es eigentlich selbst einschätzen können und manchmal, dank unserer spezifischen Weiterbildungen, sogar mehr Erfahrung in diesen Bereichen haben als unsere ärztlichen Kollegen. Das trägt sicherlich nicht gerade dazu bei, hierarchische Strukturen in den Köpfen abzubauen. Ich wünsche mir, dass wir in der Pflege noch selbstbewusster werden und unsere berufseigenen Kernkompetenzen herausarbeiten. Bezüglich des Aspekts der Weiterbildungen habe ich es leider auch schon erlebt, dass spezielle Fachweiterbildungen kaum wahrgenommen bzw. wenig im Stationsalltag genutzt werden.

Jana Bechler: Dem schließe ich mich an. Ich habe leider auch bereits in meiner Ausbildung erfahren, dass Hierarchiedenken in den Köpfen noch sehr gefestigt ist. Dieses Denken bzw. die Werte werden meistens einfach so übernommen, weil es eben so feste Strukturen sind. Grundsätzlich habe ich auch das Gefühl, dass häufig das Wissen über Fachweiterbildungen und akademische Zusatzqualifikationen fehlt und gerade in der Öffentlichkeit eigentlich sehr spezifische Fachkompetenzen unter dem Überbegriff Pflege abgetan werden. 

Wie erleben Sie in Ihrem Alltag die Kommunikation mit den anderen Berufsgruppen?

Denise Fischer: Bei uns gibt es sehr viel interprofessionelle Visiten mit Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Psychologen, dem Sozialdienst und natürlich Ärzten. Daher ist der Austausch sehr eng und die Kommunikation gut. Schließlich muss jeder auf die Arbeit des Anderen aufbauen. Das ist bei uns etwas ausgesprochen Wichtiges und läuft zum Glück sehr gut.

Jana Bechler: Grundsätzlich ist es natürlich so, dass je mehr Patienten wir in einer gewissen Zeit visitieren, desto kürzer kommt der Austausch mit den Kollegen. Gerade auf der geschützten Station ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten sicher fühlen und jede kleine Veränderung wahrgenommen wird. Ich habe den Eindruck, dass hier ein sehr gutes Wissen darüber herrscht, was die Berufsgruppen machen. Die Kommunikation ist hier einfach wahnsinnig relevant, um Gefahren zu vermeiden oder etwaige Konflikte besser lösen zu können. Grundsätzlich führt eine entspanntere zeitliche Situation auch zu besserer Kommunikation, angenehmerem Umgang im Team und damit auch zu mehr Wertschätzung füreinander.

Christopher Neuhaus: Bei uns im OP arbeiten wir grundsätzlich sehr eng zusammen und stehen im ständigen Austausch miteinander. Seit vielen Jahren führen wir zudem Trainings durch, bei denen wir an Strategien arbeiten, um die Kommunikation im Team in Notfallsituationen unter Zeitdruck zu verbessern. Dazu gehört ganz banal die Frage, wie ich jemanden anspreche. Oder wie stelle ich sicher, dass meine Information beim Anderen ankommt und verstanden wird. Es geht auch darum, den eigenen Platz im Team und seine Rolle zu finden. Durch den Austausch schaffen wir Verständnis und können Missverständnisse vermeiden. Wir beobachten, dass spätestens, wenn es darum geht, einen medizinischen Notfall abzuarbeiten, hierarchische Grenzen verschwinden. Letztendlich geht es aber aufgrund der Arbeitsdichte und der Masse an Informationen auch immer darum, effizient zu arbeiten. Auch wenn es so zum Beispiel im Sinne eines Team-Gedankens angebracht wäre, eine gemeinsame Übergabe zu machen, gibt es eine Pflege-Übergabe und eine ärztliche Übergabe. Jede Profession für sich hat so viele Themen, die übergeben werden müssen, dass wir zeitlich gar nicht anders hinkommen würden. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, wie wir die Informationen zusammen bekommen. Das kann schon mal eine große Herausforderung sein. Aber wenn es um die Kommunikation geht, ist das davon ja unbenommen. Wir können alle vernünftig miteinander reden, dafür müssen sich alle ein bisschen anstrengen.

Sehen Sie Veränderungen in Rollenbildern und Kommunikation in der berufsübergreifenden Zusammenarbeit in den letzten Jahren?

Jana Bechler: Ja, durchaus. Und das lässt sich aus meiner Sicht vor allem auf gezielte Maßnahmen zurückführen, um die Zusammenarbeit und die Kommunikation im Team zu fördern.  Auf der geschützten Station haben wir zum Beispiel ein „Safe-Wards-Meeting“, bei dem der Austausch und die Arbeit auf Augenhöhe im Vordergrund stehen. Letztes Jahr fanden bei uns zudem viele Konzepttage statt, um Aufgabenfelder und Zuständigkeiten zu definieren. Wir haben zudem einen „Wissens-Mittwoch“ eingeführt, wo das Wissen zu bestimmten Bereichen an unterschiedliche Berufsgruppen vermittelt wird, mit dem Ziel, dieses im Gespräch mit den Patienten einzubringen und das Arbeiten Hand in Hand zu fördern.

Denise Fischer: Am UKHD haben wir eine Station, die allein von der Pflege geführt wird. Die Station Neurologie 6, der sogenannte „Innovationsraum Pflege“ wurde eigens eingerichtet, um Pflegenden die Möglichkeit zu geben, neue Ideen für Prozesse und Strukturen zu erproben. Ich denke, so ein Ansatz zeigt, dass sich hinsichtlich Rollenbildern und Wertschätzung am UKHD viel getan hat. Pflegende übernehmen mehr Verantwortung und die Professionalität wird sichtbarer. Den anderen Berufsgruppen ist heute aus meiner Sicht viel mehr als früher bewusst, dass die Pflege ganz viele Dinge selbst entscheiden kann. Am UKHD gibt es viele Weiterbildungen, bei denen besondere Zusatzqualifikationen vermittelt werden und die es möglich machen, mehr Verantwortung zu übernehmen. So macht es die Weiterbildung zur „Pain Nurse“ zum Beispiel möglich, dass der Akutschmerzdienst am UKHD hauptsächlich von der Pflege geleitet wird.

Christopher Neuhaus: Ich habe auch das Gefühl, dass sich etwas verändert hat. Wie bereits erwähnt, sehen die Ärzte natürlich, dass Pflegende durch die Fachweiterbildungen einen großen Wissenszuwachs bekommen. Dieses Wissen wird wertgeschätzt, was zur Folge hat, dass Pflegende automatisch selbstbewusster werden. Wenn wir mal ehrlich sind, gibt es ganz viele Dinge, die wir Ärzte auch nicht gelernt haben. Ich habe zwar Medizin studiert, aber wie man beispielsweise Wunden am besten versorgt, da fragen Sie wohl besser eine Pflegefachperson. Das sind ganz praktische Aspekte in der Krankenversorgung, die mit reinspielen und indirekt Auswirkungen auf Kommunikation und Rollenbilder in der interprofessionellen Zusammenarbeit haben. Generell sehe ich auch immer mehr die Bestrebung, möglichst viele Vertreter von allen Berufsgruppen in Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen, wenn es zum Beispiel um die Bettenplanung für den OP geht oder die Visite auf der Intensivstation. Das Bewusstsein darüber, dass solche Absprachen nur Sinn machen, wenn jede beteiligte Berufsgruppe ihr Wissen und ihre Bedürfnisse ein Stück weit mit einbringen kann, ist heute viel stärker vorhanden.

Seit über fünf Jahren gibt es am UKHD die Heidelberger Interprofessionelle Ausbildungsstation (HIPSTA). Dort versorgen Medizinstudierende im praktischen Jahr und Gesundheits- & Krankenpflegeauszubildende im dritten Ausbildungsjahr Patienten gemeinsam und weitestgehend eigenständig. Inwiefern kann aus Ihrer Sicht ein solches Modell die Kommunikation untereinander und das Verständnis füreinander fördern?

Christopher Neuhaus: Ich halte das für eine sehr sinnvolle Einrichtung. Beide Professionen lernen dort gemeinsam und können durch die enge Zusammenarbeit besser die Aufgaben, Probleme und Herausforderungen des Anderen verstehen. Das fördert insgesamt die Kommunikation.

Denise Fischer: Ich weiß, dass Azubis aus der Pflege auf der HIPSTA häufig das erste Mal in Interaktion mit der ärztlichen Seite treten. Sie lernen hier im Team Dinge, die ihnen in der Ausbildung häufig nicht ausreichend vermittelt werden. Auf der Station haben die angehenden Mediziner und Pflegefachpersonen die Chance, gemeinsam zu üben, Lösungen zu finden und die Konflikte des Anderen zu verstehen. Ich finde das einen super Ansatz. Dabei sind sie auch nicht komplett auf sich allein gestellt, denn es gibt ja immer Leute im Hintergrund, die anleiten und führen.

Für den Krankenhausalltag fordert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Rahmen seiner Krankenhausreform den Pflegenden mehr Verantwortung zu geben. Fördern aus Ihrer Sicht solche Schritte auch in der Praxis einen stärkeren Dialog auf Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen bzw. die Wertschätzung für den Pflegeberuf?

Denise Fischer: Ich denke, dass der Ansatz richtig ist. Auf einzelnen Stationen macht es bestimmt Sinn, dass Pflegende mehr Verantwortung übernehmen. Damit wird einmal mehr die Professionalität der Pflege nach außen sichtbar und eben auch, dass viele Dinge von der Pflege selbst entschieden werden können.

Jana Bechler: Die Frage der Verantwortung spielt hier natürlich eine ganz große Rolle. Ich finde die Idee grundsätzlich sehr gut und denke, dass dieses Vorhaben hinsichtlich Wertschätzung und Dialog auf Augenhöhe viel bringen würde. Je mehr Verantwortung jemand hat, desto stärker muss in den Dialog gegangen werden.

Christopher Neuhaus: Aus meiner Sicht ist es ein richtiger und wichtiger Schritt, die Pflege aufzuwerten und ihr mehr Verantwortung zu übertragen. Man sollte aber gut differenzieren, in welchen Bereichen das möglich ist. Es gibt Beispiele aus anderen Ländern, wo Pflegende in der Anästhesie eigenständig Narkosen durchführen und auch selbständig Anordnungen machen können. Diese Modelle funktionieren meines Wissens nach gut, bedeuten aber neben mehr Rechten auch mehr Pflichten und Verantwortung für die Pflegenden. Nicht zuletzt schafft diese Möglichkeit eine neue Perspektive, auch was die Vergütung angeht. Gerade vor dem Hintergrund des Personalmangels ist das sicherlich attraktiv und deshalb ein Modell für die Zukunft.