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Praktikum "Informationssysteme des Gesundheitswesens": SS 2008

Patienten Empowerment und elektronische Gesundheitsakten ("EHRNI")

Gegenstand und Bedeutung

E-Health ist ein modernes Schlagwort im Gesundheitswesen, aber leider auch ein Begriff, der nur schwer definiert werden kann und auch von vielen unterschiedlich verwendet wird. Die HIMSS (special interest group of the Healthcare Information and Management Systems Society) beschreibt es in ihrem ‘White Paper’ als „The application of the Internet and other related technologies … to improve the access, efficiency, effectiveness, and quality of clinical and business processes utilized by healthcare organizations, practitioners, patients, and consumers to improve the health status of patients”. Eysenbach beschreibt in [Eysenbach 2001] wie schwer es überhaupt ist, eine Definition für den Begriff zu geben. Wir wollen den Begriff im Sinne von [Haas 2006], S. 8 synonym zum Begriff der Gesundheitstelematik verwenden: „Unter dem Begriff ‚Gesundheitstelematik“ … werden alle Anwendungen des integrierten Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Überbrückung von Raum und Zeit subsummiert“.
Gesundheitstelematik ist heutzutage bereits mehr als nur ein Schlagwort im Gesundheitswesen. Auch wenn die Probleme der Informationsverarbeitung innerhalb von Krankenhäusern immer noch nicht ausreichend gelöst sind, denkt man trotzdem bereits weit über die Einrichtungsgrenzen hinaus und die Industrie entwickelt Lösungen sowohl für den so genannten sektorübergreifenden Informationsaustausch zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten, wie auch für persönliche elektronische Gesundheitsakten. Projekte zur Telemedizin, bei welchen ‚Raum und Zeit’ konkret für die medizinische Diagnose und Therapie überbrückt werden, gibt es schon seit vielen Jahren ([Grigsby and Sanders 1998]).  Beispiele sind die Teleradiologie ([Szot et al. 2004]) oder das Telemonitoring ([Pare et al. 2007]) von Patienten zu Hause.

Problematik

Innovative Technologien wie sie zur Realisierung von Projekten zur Gesundheitstelematik benötigt werden, setzen sich in der Medizin häufig nur schwer durch. Das sieht man zum Beispiel auch an dem schleppenden Verlauf des Projekts zur Einführung der Gesundheitskarte und den immer größer werden Verzögerungen der Karte, die ursprünglich für das Jahr 2006 angekündigt war.
Die Gründe für eine schlechte Akzeptanz neuer Technologien im Gesundheitswesen sind vielschichtig. Zum einen handelt es sich in der Regel um sehr sensible Daten, so dass vor einer Einführung auch immer geeignete Lösungen zur Wahrung des Datenschutzes bereitgestellt werden müssen. Darüber hinaus sind die Daten über Patienten in der Regel auch sehr umfangreich und komplex. Die interindividuelle Variabilität (es gibt keine zwei ‚gleichen’ Patienten, so wie vielleicht zwei Autos desselben Modells im wesentlichen gleich sind) und die intraindividuelle Variabilität (Laborwerte eines Patienten unterscheiden sich, wenn sie zu zwei verschiedenen Zeitpunkten erhoben werden, die wesentlichen Eigenschaften desselben Autos ändern sich nicht) müssen in allen Anwendungssystemen abgebildet werden können. Des Weiteren werden in einem Krankenhaus viele unterschiedliche Anwendungssysteme benötigt, so dass sich ein breiter Markt entwickelt hat. Die in einem Krankenhaus genutzten Anwendungssysteme sind häufig heterogen, so dass sie erst über Schnittstellen integriert werden müssen. Betrachtet man Anwendungen der Gesundheitstelematik, so kommt erschwerend hinzu, dass häufig nicht davon ausgegangen werden kann, dass in allen Einrichtungen ‚die gleiche Sprache gesprochen wird’. Liegen also Lösungen für einen einrichtungsübergreifenden elektronischen Datenaustausch vor, so kann man noch nicht davon ausgehen, dass die verwendeten Begriffe überall gleich verwendet werden (so wie wir es bereits bei dem Begriff E-Health gesehen haben). Die so genannte semantische Interoperabilität ist nach wie vor eine große Herausforderung im Gesundheitswesen.
Bei all den genannten Problemen steht zunächst einmal die Versorgungseinrichtung im Vordergrund. Diese muss effizient arbeiten können, da auch das Gesundheitswesen von Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit nicht verschont werden kann. Aber wer macht sich Gedanken darüber, wie der Patient mit den neuen Technologien umgehen wird? Wird er das Kartenterminal in der Apotheke, an dem er sich sein elektronisches Rezept anschauen kann, genauso annehmen wie einen Geldautomaten?

Motivation

Innovative Technologien im Sinne der Gesundheitstelematik werden nur Erfolg haben, wenn auch Patienten sie annehmen werden. Gerade wenn man die Diskussion um die Alterspyramide betrachtet, wird deutlich, dass der Patient sich eigenständiger an seiner Gesundheitsversorgung beteiligen muss, damit für alle eine ausreichende Qualität der Versorgung gewährleistet werden kann. Dies kann mit Patienten Empowerment umschrieben werden. Auch so ein Schlagwort, was nur schwer definiert und ins Deutsche übersetzt werden kann, was sich aber trotzdem einige Gesundheitstelematik-Projekte zum Ziel setzen. Nach [Spitalewsky 2007] ist ein empowerter Patient eine Person, die bei Vorgängen, die ihre eigene Gesundheit betreffen, mitbeteiligt ist, individuelle Verantwortung zeigt und auch fähig ist, dafür die Kontrolle zu übernehmen.  
Eine Kernanwendung, mit der sich der Patient stärker in den Versorgungsprozess einbringen kann ist die persönliche elektronische Gesundheitsakte. Diese ist im Unterschied zur krankenhausbezogen Patientenakte nicht einrichtungsbezogen, sondern patientenbezogen. Der Patient oder ein Anbieter verwaltet alle Daten die zur Gesundheit eines Patienten anfallen, nur nicht nur die Daten zu einem Krankenhausaufenthalt. Die ISO-Definition zur Gesundheitsakte ist recht komplex: „The Integrated Care Electronic Health Record is defined as a   repository of information regarding the health of a subject of care   in computer processable form, stored and transmitted securely, and accessible by multiple authorised users.

  • It has a commonly agreed logical information model which is independent of EHR systems.
  • Its primary purpose is the support of continuing, efficient and quality integrated health care and
  • it contains information which is retrospective, concurrent and prospective.”

(ISO/DTR 20514: International Organization for Standardization Draft Technical Report on EHR Definition, Scope and Context).

Wir wollen daraus die wesentlichen Eigenschaften einer Gesundheitsakte ableiten. Eine Gesundheitsakte ist:

  • patientenzentriert, das bedeutet, sie betrachtet, das Individuum (=den Patienten) als Ganzes und nicht nur einen bestimmten Fall. Dazu gehört auch, das bei manchen Anwendungen von Gesundheitsakten, die Patienten selbst Daten einträgen können, zum Beispiel im Sinne so genannter Patienten-Tagebücher (z.B. Schmerz-Tagebuch).
  • longitudinal, das bedeutet, dass auch die Daten zu länger zurückliegenden medizinischen Problemen aufbewahrt werden (Langzeitakte), idealer Weise umfasst sie das gesamte Leben des Patienten.
  • umfassend, dass bedeutet, dass die Versorgungsmaßnahmen verschiedener Anbieter gleichermaßen repräsentiert werden, so zum Beispiel auch der Verlauf und die Ergebnisse einer Physiotherapie. Sie wird bewusst als ‚Gesundheitsakte’ bezeichnet, um aufzuzeigen, dass es auch darum geht, die Gesundheit des Patienten aufzuzeigen und zu pflegen und nicht erst bei Vorliegen von Krankenheiten zu reagieren.
  • prospektiv, das bedeutet, dass sie nicht nur einen Rückblick enthält, sondern auch eine Vorschau, zum Beispiel längerfristige Therapiepläne, anstehende Vorsorgemaßnahmen oder andere Termine.

In einer Studie an der Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik in Hall in Tirol wurde im Bakkalaureats-Studium Biomedizinische Informatik ein Praktikum zum Bedarf und zur Nutzung der persönlichen elektronischen Gesundheitsakte in Tirol durchgeführt. Ein Ergebnis der Studie war, dass etwa 75% der Bevölkerung medizinische Dokumente wie Bilder, Befunde, Rechnungen und Arztbriefe zu Hause aufbewahren. Die Dokumente werden zu knapp 90% konventionell (auf Papier) gesammelt. Als verwendete Softwareprodukte zur Verwaltung von Gesundheitsdokumenten wurden Microsoft Office und Adobe Acrobat genannt. Keiner der Befragten verwaltet seine Gesundheitsdokumente über einen Online-Dienst. Dennoch befürworten über 85% der befragten Bürger eine Gesundheitsakte.
 

 

Problemstellung

Problem 1:
Es ist unklar, ob Patienten elektronische Gesundheitsakten nutzen oder nutzen wollen, um den Prozess ihrer Gesundheitsversorgung besser mit zu gestalten.

Problem 2:
Es ist unklar, ob die Ergebnisse der Untersuchung aus Österreich auf Deutschland übertragen werden können.
 

Zielsetzung

Ziele zu Problem 1:
Ziel 1.1:
Ermittlung des Ist-Zustandes der Nutzung von elektronischen Gesundheitsakten in der Bevölkerung des Rhein-Neckar-Raums
Ziel 1.2:
Ermittlung der gewünschten Funktionalitäten von Patienten gegenüber elektronischen Gesundheitsakten
Ziel 1.3:
Beurteilung des Patienten Empowerment im Hinblick auf elektronische Gesundheitsakten.

Ziel zu Problem 2:
Ziel 2.1:
Vergleich der Ergebnisse aus dem Rhein-Neckar-Raum mit den Ergebnissen aus Hall in Tirol.
 

Ergebnisse

-> siehe Projekthomepage (hier klicken)



Literatur

Eysenbach G (2001): What is e-health? J Med Internet Res, 3(2), E20.

Grigsby J, Sanders JH (1998): Telemedicine: Where It Is and Where It's Going. Ann Intern Med, 129, 123-7.

Haas P (2006): Gesundheitstelematik - Grundlagen, Anwendungen, Potenziale. Berlin: Springer, 2006.

Pare G, Jaana M, Sicotte C (2007): Systematic review of home telemonitoring for chronic diseases: the evidence base. J Am Med Inform Assoc, 14(3), 269-77.

Spitalewsky K (2007): Bewertungskonzepte für das Patientenverhalten im Umgang mit dem elektronischen Rezept der Telematikplattform in Deutschland. Universität Heidelberg, Studiengang Medizinische Informatik, Diplomarbeit.

Szot A, Jacobson FL, Munn S, Jazayeri D, Nardell E, Harrison D, et al. (2004): Diagnostic accuracy of chest X-rays acquired using a digital camera for low-cost teleradiology. Int J Med Inf, 73(1), 65-73.


 

 

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