Newsroom Events Medizin am Abend 2024 97. Reformiert oder…

Reformiert oder ruiniert: Quo vadis Krankenhaus?

Im vergangenen Sommer einigten sich Bund und Länder auf die Eckpunkte der Krankenhausreform. Warum ist sie nötig, wie geht es weiter? Professor Ingo Autenrieth, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Heidelberg, war am Donnerstagabend, 29. Februar in den Hörsaal der Kopfklinik gekommen, um sein Publikum hier auf den neuesten Stand zu bringen. Dass das Thema sperrig sei, schickte er als Warnung voraus – zur Erheiterung seiner Zuhörer: „Die Finanzierung der Krankenhäuser ist mindestens so kompliziert wie die Wissenschaft“, kündigte er an. Mit Autenrieths Vortrag kehrte die Veranstaltungsreihe „Medizin am Abend“ endlich in den Präsenzbetrieb zurück. 2013 hatten das Klinikum und die RNZ das gemeinsame Projekt aus der Taufe gehoben, wie Chefredakteur Klaus Welzel in seiner Begrüßung hervorhob. „Seither gab es 96 erkenntnisreiche Folgen“, fasste er zusammen – die letzten 30 Corona-bedingt aber ohne Publikum vor Ort. Nun ein Überblick über die Erkenntnisse der 97. Folge.

Wo drückt der Schuh?

Insolvenzen, Fachkräftemangel, zu viel Bürokratie – mit diesen Themen gerät das Gesundheitswesen oftmals in die Schlagzeilen. „Dazu kommen die Inflation, steigende Energie- und Sachkosten, eine rückständige Digitalisierung und immer mehr Patienten“, beschrieb Autenrieth die gegenwärtige Lage. Wie konnte es dazu kommen? „In den letzten zwei Jahrzehnten fand eine Ökonomisierung der Medizin statt“, kritisierte er. Das dürfe nicht sein: „Gesundheit zählt zur Daseinsvorsorge des Staates.“ Dafür bekam er Applaus des Publikums, darunter auch medizinisches und pflegerisches Personal und ehemalige Patienten. 

Wie kam es zu den Schwierigkeiten? 

Immer mehr Kliniken in Deutschland sind insolvenzgefährdet. Das habe mit der dualen Krankenhausfinanzierung und mit den 2004 eingeführten Fallpauschalen zu tun, so Autenrieth. Duale Krankenhausfinanzierung bedeutet, dass die Länder die Mittel für Gebäude und auch etwa Großgeräte bereitstellen und die Krankenkassen für Personal, Arbeitsmaterialien oder Energie aufkommen. Allerdings stellten die Länder nicht genug Geld bereit, bemängelte der Klinik-Chef. Die Folge: Krankenhäuser nutzten die Fallpauschalen zur Querfinanzierung von Investitionen. „Das ist nicht vorgesehen und nicht ausreichend“, so Autenrieth. Wenn dann noch etwa Kosten stiegen, käme die Finanzierung erst recht ins Wanken.

Was folgte aus den Fallpauschalen?

Sie sollten das Gesundheitssystem effizienter machen und den Aufenthalt in den Krankenhäusern verkürzen. Letzteres ist auch geschehen, wie der Referent anhand von Tabellen zeigte: Blieben Patienten 2004 im Schnitt 8,7 Tage, sind es seit 2017 nur noch 7,2 – dabei blieb es seither. Die Fallpauschalen hätten jedoch auch zu verfrühten Entlassungen geführt, außerdem zur Steigerung der Fallzahlen und Überdiagnostik, weil sie falsche Anreize setzten, so Autenrieth. 

Wie hilft die Reform?

Die Krankenhausreform zielt darauf ab, das Gesundheitswesen unabhängiger von ökonomischen Zwängen zu machen, die Qualität der Behandlung zu steigern und Bürokratie abzubauen. Damit habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die entscheidenden Punkte identifiziert, würdigte Autenrieth. „Es muss anders werden, damit es besser wird. Wir brauchen die Reform.“

Was tut sich bei der Finanzierung?

Fallpauschalen wird es auch weiterhin geben. Aber ab 2025 sollen sie sie nur noch 40 Prozent der Einnahmen ausmachen. Die anderen 60 Prozent sollen aus sogenannten Vorhaltebudgets stammen. Diese sollen Kliniken unabhängig von der Anzahl der Behandlungen bekommen– also etwa dafür, dass sie Infrastruktur bereithalten.

Was ändert sich noch?

Nach der Reform werden wohl weniger Krankenhäuser übrig sein, doch die Qualität ihres Angebots soll steigen. Für Patienten ist dabei auch mehr Transparenz vorgesehen. „Geplant ist ein Online-Atlas, aus dem Leistungen, Fallzahlen und Komplikationsraten hervorgehen“, sagte Autenrieth. Zuvor muss das Krankenhaus- Transparenzgesetz aber am 22. März noch den Bundesrat passieren.

Wie sieht es auf dem Land aus?

Die medizinische Versorgung außerhalb der Städte war eines der Themen, die das Publikum ganz besonders beschäftigten. Autenrieth verteidigte die Zentralisierung der Krankenhäuser. Für den ländlichen Raum gebe es Lösungen, auch mit Blick auf akute Fälle. Künftig könne man etwa Notärzte über Telemedizin in die Versorgung einbeziehen.

Text: Julia Lauer, RNZ

 

Die beliebte Reihe „Medizin am Abend“, eine Kooperation von Rhein- Neckar-Zeitung und Universitätsklinikum, kehrt in dieser Woche nach langer, coronabedingter Pause als Präsenzveranstaltung zurück. Das Publikum kann ab sofort im Neuenheimer Feld wieder live dabei sein, wenn Spezialisten der Medizin Einblicke in ihre Themen geben. Den Anfang macht am Donnerstag Klinik- Chef Ingo Autenrieth. Er wird einen Überblick zur Krankenhausreform geben. Was kann sie, was fehlt ihr? Darüber berichtet Autenrieth vorab im Interview:

Herr Professor Autenrieth, das deutsche Gesundheitssystem gilt als eines der besten Europas. Warum brauchen wir eine Krankenhausreform?

Die Reform ist überfällig, weil viele Krankenhäuser rote Zahlen schreiben. Die Struktur, wie wir sie heute haben, ist vor 80 Jahren entstanden, und sie ist überholt. Wir müssen sie anpassen an die Erfordernisse unserer Zeit. Dazu gehören die Digitalisierung und die demografischen Veränderungen. Und wir brauchen andere Abrechnungsstrukturen.

Die Reform will bei der Vergütung andere Anreize setzen als bisher...

Genau, mit der Einführung der Fallpauschalen wurde auch der Anreiz gesetzt, möglichst viele Fälle zu behandeln. Das ist ein Fehlanreiz, der mit der Reform zumindest teilweise korrigiert wird. Jetzt sollen die Krankenhäuser auch dafür Geld bekommen, dass sie Räume, Geräte und Personal vorhalten – so wie die Feuerwehr, die ja auch nicht erst in dem Moment bezahlt wird, in dem sie einen Einsatz fährt. Das ist sinnvoll. Ein spezialisiertes Haus wie unseres braucht auch besondere Fächer wie etwa Hygiene oder Virologie, die über Fallpauschalen nicht abzurechnen sind.

Bei anderer Gelegenheit haben Sie gesagt, dass Sie sich am Universitätsklinikum weiter auf die Spitzenmedizin konzentrieren wollen. Bekommen Sie denn durch die Reform auch mehr Geld für komplexe Technik, etwa für Robotik, Künstliche Intelligenz und die dazugehörige Expertise?

Das würden wir uns als eine von 34 Unikliniken wünschen. Die Vergütungsstruktur ist aber an allen Krankenhäusern dieselbe – unabhängig von unserer speziellen Expertise. Vorgesehen ist lediglich, dass wir für unsere sogenannte Koordinierungsfunktion vergütet werden, also dafür, unser Wissen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen – wie etwa während der Corona-Pandemie, als unser Chef-Virologe intensiv mit der Beratung der Ministerien und der Öffentlichkeit beschäftigt war, zusätzlich zu Forschung oder Patientenversorgung. Damit bleiben die Pläne weit hinter dem zurück, was wir uns wünschen. Die Behandlung von krebskranken Kindern oder auch etwa die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen werden nicht kostendeckend finanziert. Das muss sich dringend ändern, aber nach den bisherigen Plänen ist das nicht der Fall. Die Ausbildung von Spezialisten ist aufwendig und muss finanziert werden.

Aufgrund der Reform wird wohl bis zu einem Viertel der Krankenhäuser schließen. Inwieweit betrifft Sie das?

Wenn die Regelversorger insolvent würden, könnten auch wir an unsere Grenzen geraten. Wir müssen beispielsweise darauf vertrauen, dass wir starke Partner an unserer Seite haben, die etwa die Nachversorgung von Patienten übernehmen und qualitativ hochwertig die Versorgung der häufigen Erkrankungen durchführen, während wir die schwierigen und selteneren Krankheiten behandeln. Hier brauchen wir Planungssicherheit.

Wie kann denn eine Reform, die viele kleine Krankenhäuser in die Knie zwingt, im Interesse der Menschen sein?

Indem die Qualität stärker in den Fokus rückt als die räumliche Nähe. In Deutschland gibt es unter den insgesamt knapp 2000 Krankenhäusern viele mit weniger als 200 Betten, die nicht wirtschaftlich arbeiten können. Hier braucht es eine Zentralisierung in der Grund- und Regelversorgung. Nach der Reform wird es weniger Krankenhäuser geben, das stimmt. Aber die Häuser, die bestehen bleiben, werden über eine gute Ausstattung und gutes Personal verfügen, und sie werden in den Bereichen, in denen sie tätig sind, viele Fallzahlen vorweisen können und somit viel Erfahrung haben.

Müssen sich auch die verbleibenden kleinen Häuser spezialisieren?

Bis zu einem gewissen Grad ist ihre Spezialisierung erforderlich. Nicht jeder soll alles machen, das gilt auch in der Grund- und Regelversorgung. Außerdem sollen Krankenhäuser Verbindungen zu anderen Bereichen und zum ambulanten Sektor ausbauen oder etwa Kurzzeitpflege anbieten können, oder dass sie sich auf bestimmte Verfahren spezialisieren, etwa bestimmte Darmoperationen, Herzschrittmacher oder Hüftgelenkersatz.

Das Universitätsklinikum hat bereits kleinere Krankenhäuser gekauft, etwa das Kreiskrankenhaus Bergstraße. Denken Sie über weitere Käufe nach?

Nein, im Augenblick ist das für uns kein Thema. Wir sind sehr mit dem Verbund der Unikliniken von Heidelberg und Mannheim befasst. Daneben führen wir intensive Gespräche, um das Versorgungsnetz in Heidelberg stabil zu halten, und kooperieren auch mit kleineren Häusern, etwa durch Rotation von Personal.

Auch in Heidelberg sind zuletzt mit dem Salem-Krankenhaus und dem Sankt- Vincentius-Krankenhaus zwei Krankenhäuser in wirtschaftliche Schieflage geraten. Brauchen wir sie noch?

Wir hoffen, dass es für diese Krankenhäuser eine gute Lösung geben wird. Insbesondere das Salem-Krankenhaus ist für uns ein wichtiger Kooperationspartner in der Grund- und Regelversorgung. Wir führen intensive Gespräche mit allen Beteiligten, damit sie Heidelberg und der Region erhalten bleiben.

In Deutschland wird medizinisches Personal knapp. Macht sich das bei Ihnen schon bemerkbar?

Bei uns ist die Personalsituation noch sehr stabil. Wir bilden selbst aus und sind weithin bekannt, davon profitieren wir. Aber auch wir bekommen nicht mehr so viele Bewerbungen wie noch vor ein paar Jahren. In zehn Jahren könnte in Deutschland ein Viertel des medizinischen Personals fehlen. Die Zentralisierung der Krankenhäuser, auf die die Reform abzielt, ist daher der richtige Weg. Und in Heidelberg brauchen wir mehr bezahlbaren Wohnraum für unser Personal.

Wo muss die Reform noch nachbessern? 

Viele Ärzte verbringen ein Drittel ihrer Zeit mit Bürokratie und mit der Dokumentation von Fällen. Das ist nicht unbedingt erforderlich. Das ist eine weitere Fehlentwicklung, die bereinigt werden muss.

Als Vorstandsvorsitzender des Uniklinikums sind Sie sehr mit der Strategie Ihres Hauses befasst. Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit wenden Sie darauf auf?

Eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht nennen. Aber es ist schon ein großer Teil meiner Arbeitszeit, in dem ich mich mit der Entwicklung des Uniklinikums und mit der Stabilität des Gesundheitswesens in der Region befasse. Das umfasst natürlich weit mehr als finanzielle Aspekte. Es geht dabei auch um Berufungen und weitere personelle Fragen oder auch etwa um die Arbeitsbedingungen am Uniklinikum. Und die Frage, wie können wir zum Vorteil für alle Beteiligten die Krankenhauslandschaft in der Region so stabilisieren, dass die Patienten immer an der richtigen Stelle behandelt werden. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Impressionen des Abends

Referent

Professor Dr. Ingo Autenrieth,
Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Heidelberg

Termin

Donnerstag, 29. Februar 2024, 19 Uhr
Hörsaal Kopfklinik
Im Neuenheimer Feld 400
69120 Heidelberg
Eintritt frei