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Leukämie - Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten

Ein geschwächtes Immunsystem, dadurch immer wiederkehrende Infekte. Man fühlt sich einfach nur platt und schwach. Hinter solchen Symptomen kann sich eine Leukämie verbergen. Sprich: Blutkrebs. Wie dieser genau entsteht und was für neue Therapien es dafür gibt, erklärt Prof. Carsten Müller-Tidow, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg

Mit diesem Gespräch startet die gemeinsame Serie von Universitätsklinikum und RNZ: „Medizin am Abend – Die Interviewreihe“. Dabei geben Medizinerinnen und Mediziner Einblicke in ihr Arbeitsfeld. Da die beliebte Veranstaltungsreihe „Medizin am Abend“ im Hörsaal der Kopfklinik wegen Corona derzeit nicht stattfinden kann, möchten Uniklinikum und RNZ mit den Interviews die Wartezeit überbrücken.

Herr Professor Müller-Tidow, es gibt Orte an denen doppelt so viele Menschen an Leukämie erkranken wie an anderen. Warum ist das so?

Das hört man manchmal, zum Beispiel aus der Umgebung von Atomkraftwerken. Für einen eindeutigen Zusammenhang fehlen jedoch die Belege. Wenn seltene Erkrankungen an manchen Orten gehäuft auftreten, ist das wahrscheinlich Zufall. Daten aus den USA legen nahe, dass Umweltfaktoren eine Rolle spielen. In den meisten Fällen sind die Befunde jedoch nicht eindeutig.

Von Chemikalien weiß man, dass sie Leukämie auslösen können. Welche anderen Ursachen gibt es?

Benzol, Lacke, Pestizide und auch medizinischen Behandlungen wie die Chemo- und Bestrahlungstherapie können Leukämien zur Folge haben. In den meisten Fällen wissen wir aber nicht, woher die Krankheit kommt. Bei Rauchern ist das Risiko leicht erhöht, aber nicht so stark wie bei anderen Krebserkrankungen. Leukämie kann jeden treffen, der Lebensstil spielt nur eine geringe Rolle. Ein Risikofaktor ist hohes Alter, aber auch das trifft auf viele andere Krebserkrankungen zu.

Bei anderen Krebserkrankungen wächst bösartiges Gewebe, bei Leukämie nimmt die Zahl der weißen Blutkörperchen zu. Inwieweit ist das vergleichbar?

Eine Besonderheit der Leukämie ist, dass sich die Krankheit nicht an einem Ort abspielt. Die weißen Blutkörperchen bewegen sich überall im Körper. Und so muss man auch, je nach Typ der Leukämie, den ganzen Körper behandeln. Anders als bei anderen Krebserkrankungen nutzen wir bei der Leukämie keine Chirurgie und auch nur selten Bestrahlung.

Wie funktioniert die Behandlung stattdessen, mit Stammzelltherapie?

Chemotherapien und Stammzellentransplantationen kommen in vielen Fällen zum Einsatz. Standard ist die Behandlung mit Infusionen und Tabletten. Die Medikamente, die dabei eingesetzt werden, sind zunehmend besser geworden.

. . . weil sie weniger Nebenwirkungen hervorrufen?

Die modernen Medikamente sind viel besser verträglich – auch weil die unterstützende Therapie das Ziel verfolgt, Nebenwirkungen komplett zu verhindern. Aber sie sind auch effektiver als früher, weil sie gezielter wirken. Es gibt vier Hauptformen der Leukämie. Bei einer Form, der sogenannten chronischen myeloischen Leukämie, wurde schon vor 20 Jahren ein Medikament entwickelt, welches das Gen, das die Erkrankung verursacht, gezielt ausschaltet. Dies hat zu einer dramatischen Verbesserung der Prognose geführt. In ähnlicher Weise versucht man nun, auch bei den anderen drei Leukämieformen die fehlregulierten Gene ausfindig zu machen und mit Medikamenten anzugreifen.

Forschen Sie selbst auch in diesem Bereich?

Quelle: Philip Benjamin/UKHD

In unserer Klinik liegt der Fokus neben gentherapeutischen Ansätzen auf zelltherapeutischen Behandlungsformen. Unsere Arbeit im Bereich der Zelltherapie kann man sich so vorstellen, dass wir gesunde weiße Blutkörperchen mit Greifarmen ausstatten, mit denen sie die bösartigen weißen Blutkörperchen erkennen und unschädlich machen. Sie passen wie Schlüssel und Schloss zusammen, sodass andere, gesunde Zellen nicht angegriffen werden und die Behandlung sehr zielgerichtet erfolgt. Wir programmieren die Körperzellen also gewissermaßen so, dass sie das tun, was wir möchten.

Zum Forschungsbereich Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie

 

Das ist ein neues Verfahren. Wenden Sie es denn schon an?

Es kommt sogar schon routinemäßig zur Anwendung. Dennoch arbeiten wir weiter daran, diese Behandlungsform – sie ist als Car-T-Zelltherapie bekannt – weiter zu verbessern. Wir hoffen, dass wir so einen Mechanismus finden, um noch mehr Patienten heilen zu können.

Bei Kindern sind die Heilungschancen viel besser als bei Erwachsenen. Wie erklärt sich das?

Bis zu 90 Prozent der Kinder mit Leukämie können geheilt werden. Bei diesen Leukämien funktioniert die Biologie anders. Die Leukämiezellen haben andere genetische Merkmale, die oft besser auf die Therapie ansprechen.

Wie sind denn die Aussichten von Erwachsenen, gesund zu werden?

Im Wesentlichen gibt es zwei chronische Formen, mit beiden kann man oft jahrelang ohne nennenswerte Beeinträchtigung leben. Es gibt wirksame Medikamente – und manchmal geht es sogar ohne. Akute Formen muss man sofort behandeln, sie sind bedrohlich.

Das Uniklinikum sprach kürzlich davon, dass Patienten aus Sorge vor Corona wegbleiben. Erleben Sie das auch?

Leukämiepatienten sind besonders gefährdet durch das Coronavirus. Aber wenn sie akut krank sind, ist eine Behandlung dringend notwendig. Die Covid-19-Patienten sind in einem anderen Bereich untergebracht, die Patientensicherheit steht für uns an erster Stelle. Wenn es nicht dringend ist, sind wir aber gerne bereit, die Dinge auch auf anderem Weg zu klären, telefonisch zum Beispiel oder auch per Video.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Quelle: Philip Benjamin/UKHD

Prof. Dr. med. Carsten Müller-Tidow
Ärztlicher Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg