Newsroom Events Medizin am Abend 2022 85. Zahnerhaltung

Mit guter Pflege gemeinsam alt werden

20 Millionen Bakterien haben wir im Mund. Gegen die schädlichen von ihnen kämpfen wir zweimal täglich mit der Zahnbürste an. Wieso wir damit auch beispielsweise Bluthochdruck oder Diabeteserkrankungen vorbeugen, erklärt Professorin Diana Wolff im Rahmen der Interviewserie „Medizin am Abend“. Sie arbeitet als Zahnärztin, Wissenschaftlerin und ist Ärztliche Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum.

Frau Prof. Wolff, Sie sind Spezialistin für Zahnerhaltung. Warum ist es so wichtig, kranke Zähne nicht einfach zu ziehen?

Kranke Zähne können sich zwar auf unsere gesamte Gesundheit negativ auswirken, aber zugleich sind eigene Zähne wichtig für eine hohe Lebensqualität. Sie ein Leben lang zu erhalten, ist uns deshalb eine Herzensangelegenheit. Dazu gehört, Erkrankungen vorzubeugen und früh und schonend zu behandeln. Man muss auch nicht immer gleich bohren.

Sondern?

Karies beispielsweise ist eine komplexe Erkrankung der Mundhöhle, bei der nach mehreren Jahren ein Loch im Zahn entstehen kann. Wenn die Zusammensetzung der Mikroorganismen aus der Balance gerät, kann sich der Zahnbelag ansäuern und die Zahnoberfläche auflösen. In einem frühen Stadium können kariösen Läsionen wieder heilen, indem Calcium und Phosphat mit Hilfe von Fluorid wieder eingebaut werden. Gelingt das nicht, kann es helfen, die kariöse Läsion zu versiegeln. Und wenn am Bohren kein Weg vorbeiführt, ist es wichtig, möglichst viel Zahnsubstanz zu erhalten.

Und bei Wurzelbehandlungen: Ist auch ein toter Zahn besser als ein Implantat?

Wenn Keime in das Wurzelkanalsystem einwandern, können sie eine Entzündung an der Wurzel auslösen. Nach der Wurzelkanalbehandlung ist es, als hätte der Zahn eine Füllung – nur eben im Wurzelkanal. Er ist also nicht tot, sondern im restaurierten Zustand. Das spricht für den Erhalt: Denn solange Zähne keine Entzündungen aufweisen, sind sie nicht schädlich.

Entzündungen im Mund können mit diversen Erkrankungen im Körper zusammenhängen. Wie kommt es dazu?

Bakterien und Entzündungsstoffe können über die Blutgefäße aus der Mundhöhle in den ganzen Körper gelangen. Sehr ungünstig ist: Parodontitis tut häufig über viele Jahre nicht weh, sodass sie oft unbemerkt bleibt. Und wenn Chirurgen verkalkte Schlagadern oder entzündete Herzen untersuchen, entdecken sie manchmal Keime, die nachweislich aus dem Mund stammen. Entzündungen im Mund können auch Autoimmunerkrankungen wie etwa Rheumatoide Arthritis verschlimmern. In einer unserer Studien hatten Patienten mit früher rheumatoider Arthritis schon deutlich mehr Entzündung und Knochenabbau als die Kontrollgruppe. Allerdings sind hier kausale Zusammenhänge noch nicht belegt.

Gibt es auch Fälle, in denen Ursache und Wirkung klar sind?

Beim Diabetes kennen wir die Zusammenhänge schon sehr genau. Wer an Diabetes leidet, sollte sich deshalb unbedingt engmaschig zahnärztlich betreuen lassen, um eine wechselseitige Verschlimmerung der Erkrankungen zu vermeiden. In einer eigenen Studie an meiner vorherigen Wirkungsstätte in Tübingen konnten wir zeigen, dass Schwangerschaftskomplikationen häufiger sind, wenn Frauen an parodontalen Entzündungen der Mundhöhle leiden. Insofern ist es sinnvoll, bei Kinderwunsch vor der Schwangerschaft eine zahnmedizinische Untersuchung und gegebenenfalls Behandlungen durchführen zu lassen.

Aus der aktuellen Studie zur Mundgesundheit in Deutschland geht hervor, dass sich Munderkrankungen ins höhere Alter verschieben. Haben Sie Tipps für Senioren?

Die Mundhygiene wird mit zunehmendem Alter anspruchsvoller – insbesondere, wenn Sehfähigkeit und manuelle Geschicklichkeit nachlassen. Doch auch der Speichelfluss nimmt mit dem Alter und aufgrund der Einnahme von Medikamenten ab, die Vorliebe für weichere und süßere Lebensmittel nimmt zu. Zwei Drittel der Senioren haben Paradontitis, und auch Wurzelkaries ist ein großes Problem. Senioren brauchen eine regelmäßige zahnärztliche Begleitung – ungefähr so, als gingen sie zum Friseur. Kontrollen, personalisierte Anleitung, Unterstützung der häuslichen Mundhygiene und professionelle Zahnreinigungen mit verkürzten Abständen, etwa alle acht bis zwölf Wochen, können sinnvoll sein.

Zweimal täglich Zähneputzen und die Reinigung der Zahnzwischenräume lautet die gängige Empfehlung zur Prophylaxe. Stimmen Sie zu?

Ja. Aber mindestens genauso wichtig wie die Häufigkeit ist die Systematik beim Putzen. Zweimal täglich putzen hilft nicht dort, wo ich bestimmte Bereiche vergesse. Leider schafft es kaum einer, und da nehme ich mich nicht aus, perfekt die Zähne zu reinigen. Deswegen bitten wir unsere Patienten und Patientinnen, ihre Hilfsmittel mitzubringen und mal vorzumachen, wie sie Zähne putzen. Dann optimieren wir ganz individuell die Putztechnik und -systematik.

Spielt es eine Rolle, ob man Zahnpasta mit Aminfluorid oder einem anderen Fluorid wählt?

In Laborversuchen zeigt Aminfluorid Vorteile beim Kariesschutz. Deswegen sind Produkte mit anderen Fluoriden aber nicht schlechter: Hauptsache, die Zahnpasta enthält Fluorid. Es wird an der Zahnoberfläche gebunden und schützt bei einem Säureangriff. Es gibt allerdings auch Fluoridgegner, die Alternativen empfehlen. Aber für ihre Warnungen gibt es keine Evidenz. Fluorid ist der Goldstandard in der Kariesprophylaxe.

Die ayurvedische Medizin empfiehlt Öl zur Mundhygiene. Was sagen Sie dazu?

Mit Mundziehölen habe ich persönlich keine Erfahrung, die wissenschaftliche Evidenz dafür ist limitiert. Aus eigenen Studien mit Fokus auf ernährungswissenschaftliche Aspekte in der Zahnmedizin wissen wir aber, dass ein hoher Anteil von Omega-Drei-Fettsäuren in der Nahrung Entzündungen in der Mundhöhle hemmt. Insofern spricht nichts gegen die Praxis des Ölziehens.

Vorhin sagten Sie, dass Sie Ihren Patienten manchmal beim Zähneputzen über die Schulter schauen. Kann man denn auch mit den üblichen Anliegen zu Ihnen ans Klinikum kommen?

Wir nehmen uns nicht nur schwerwiegender zahnmedizinischer Probleme an, unsere Tür ist offen für alle Patientinnen und Patienten, und das unabhängig von der Art der Versicherung. Eine Besonderheit ist, dass unsere Studierenden der Zahnmedizin in den letzten zwei Studienjahren selbst behandeln. Dabei ist aber niemand Versuchskaninchen: Wir Ärzte beaufsichtigen jeden Schritt, und es gibt eine hohe Qualitätssicherung.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Referentin

Prof. Dr. Diana Wolff
Ärztliche Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde