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Von wegen reine Kopfsache

Neurochirurgen operieren am ganzen Körper – „Medizin am Abend“ mit Professor Sandro Krieg: „OP-Mikroskop als Arbeitspferd“

Da geht man regelmäßig zum Hausarzt, zum Zahnarzt, zum Frauenarzt oder auch zum Urologen. Mit Neurochirurgen andererseits bekommt man es nicht so schnell zu tun. Oder etwa doch? „Aus dem Freundes- und Bekanntenkreis kenne ich viele, die einen doch irgendwann brauchen – leider“, sagte Professor Sandro Krieg. Am Donnerstag fand die jüngste Ausgabe von „Medizin am Abend“ statt, der gemeinsamen Vortragsreihe von Rhein-Neckar-Zeitung und Universitätsklinikum, und Krieg war in den nahezu voll besetzten Hörsaal der Kopfklinik gekommen, um sein Fach vorzustellen.

Im Schnelldurchlauf zeigte er auf, was ein Neurochirurg so alles macht. Die Bandbreite ist groß, sie reicht quasi von Kopf bis Fuß. Und so kam Krieg nicht nur auf die Behandlung von Hirntumoren, Bandscheibenvorfällen oder Karpaltunnelsyndromen zu sprechen, sondern auch auf einige „exotische Sachen“. Hier nannte er beispielhaft die Verabreichung einer Gentherapie direkt ins Gehirn bei kindlichem Parkinsonismus, einer extrem seltenen Erkrankung, bei der ein wichtiges Enzym fehlt. Oder auch die Operation eines offenen Rückens bei einem Fötus noch im Mutterleib. „Wir sind die einzigen, die am ganzen Körper operieren“, sagte Krieg.

Bei ihren Eingriffen arbeiten Neurochirurgen mit vielen weiteren Disziplinen zusammen, etwa der Anästhesie, der Radiologie und der Pathologie. Und sie setzen viel Technik ein, um eine möglichst große Sicherheit für ihre Patienten zu schaffen. „Das Bewusstsein sitzt im Kopf, hier muss viel erhalten bleiben“: Auf diese Herausforderung hatte der Anästhesist Professor Markus Weigand schon in seiner Begrüßung hingewiesen, und Krieg ging darauf näher ein. Mit reichlich Bildmaterial illustrierte er seine Ausführungen. „Das ist unscharf, weil ich Sie schonen wollte“, kommentierte er die Abbildungen jedoch mitunter.

50 bis 80 Prozent der Tumoren im Gehirn wüchsen in funktionstragenden Arealen, erklärte der Neurochirurg – und damit in jenen Bereichen, die beispielsweise für Bewegung, Sprache oder das Sehen zuständig sind. Um zu verstehen, wie das jeweilige Gehirn organisiert ist, stimulieren die Mediziner einzelne Neuronengruppen und testen die Funktionen. Mithilfe von MRT-Aufnahmen fertigen sie Bilder des Gehirns an, wichtige Bereiche erscheinen blau, gelb oder pink eingefärbt. So kartieren sie das Gehirn individuell, und das bereits vor dem Eingriff.

Sechs Stunden dauern Tumoroperationen im Gehirn in der Regel, im schnellsten Fall hat Krieg solch einen Eingriff auch schon mal in einer Stunde 45 Minuten geschafft. Der Blick durchs Mikroskop sorgt währenddessen für größtmögliche Genauigkeit. „Das OP-Mikroskop ist unser Arbeitspferd. Darunter operieren wir fast alles“, führte er aus. Für die millimetergenaue Orientierung kommt schon lange computergestützte Navigation zum Einsatz. „Sie stellt sicher, dass wir das Richtige finden.“

Die Neurochirurgie ist ein nahezu rein akademisches Fach. Sprich: Niedergelassene Neurochirurgen sind eine Rarität, in Heidelberg gibt es momentan nur noch eine einzige Praxis. Und dennoch: Dass viele Menschen mit diesem Fach Erfahrung haben, zeigte auch die Diskussion im Anschluss. So berichtete beispielsweise eine Frau mittleren Alters, nach einem schweren Verkehrsunfall vor acht Wochen am Uniklinikum operiert worden zu sein. Sie erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma. Auch wenn sie bis heute unter dem Verlust ihres Geruch- und Geschmackssinns leidet, sagt sie: „Ich bin froh, am Leben zu sein.“ Auch ein älterer Herr erzählte die Geschichte seiner Behandlung. „Anfang Dezember habe ich mir den Hals gebrochen. Nun sitze ich hier und habe keine Schmerzen. Ich habe acht Schrauben im Nacken und kann fast alles machen – nur Holz hacke ich nicht mehr.“

Info: Die nächste Folge: „Der gestörte Schlaf: Was steckt dahinter? Was hilft?“ ist das Thema von Prof. Felix Herth und Dr. Mavi Schellenberg am Donnerstag, 20. März, um 19 Uhr in der Kopfklinik, Im Neuenheimer Feld 400.

Beitrag: Julia Lauer, RNZ

Neurochirurg Prof. Sandro Krieg: “Bei Operationen muss man genau wissen, was man tut – Erkrankungen und Eingriffe können Persönlichkeit beeinflussen”

Die Persönlichkeit des Menschen hat ihren Sitz im Gehirn. Wer hier operiert, braucht eine besonders ruhige Hand. Sandro Krieg ist Professor für Neurochirurgie im Neuenheimer Feld – und für ihn gehören diese Eingriffe zum Berufsalltag. Fragen an den nächsten Referenten von „Medizin am Abend“, der gemeinsamen Vortragsreihe von Rhein-Neckar-Zeitung und Universitätsklinikum.

Herr Prof. Krieg, ist die Hirnchirurgie die Königsdisziplin unter den schneidenden Fächern?
So formulieren es nur Nicht-Mediziner. Jedes Fach in der Medizin hat seine Komplexität. Eine Besonderheit des Gehirns ist, dass verletztes Gewebe nicht mehr heilt. Das erklärt womöglich den Ursprung dieses Begriffs.

Wie gefährlich sind die Operationen, die Sie vornehmen?
Das ist wie in anderen Fächern auch: Es kommt darauf an, um welchen Eingriff es sich handelt. Wenn Tumoren im oder am Bewegungszentrum oder am Hirnstamm liegen, muss man genau wissen, was man tut. Heidelberg hat besondere Expertise darin, auch solche Tumoren zu entfernen – in der Regel geht alles gut. Dafür sind wir bekannt.

Sie selbst operieren 600-mal im Jahr an Gehirn und Wirbelsäule. Gehen Sie die Eingriffe da gelassen an oder gibt es Operationen, bei denen Sie nervös sind?
Dass einen nichts mehr aus der Ruhe bringt, erfordert Erfahrung. Aufgeregt bin ich nicht, sondern sehr konzentriert, und das oft über mehrere Stunden hinweg.

Helfen Ihnen Roboter, um bei Gehirn-Operationen ganz präzise zu sein?
Noch nicht, aber bald. In diesem Jahr werden wir einen Roboter bekommen. Er kann zum Beispiel die passgenaue Ausrichtung von Schrauben vorschlagen, wenn wir an der Wirbelsäule operieren.

Von der Neurologie heißt es, es sei eine Wissenschaft vor allem der linken Gehirnhälfte. Gilt das auch für die Neurochirurgie?
Nö. Wir sind überall – und das nicht nur bezogen aufs Gehirn, sondern auf den ganzen Körper. Bei einem Morton-Neurom beispielsweise operieren wir an Nerven im Vorderfuß, bei einem Karpaltunnelsyndrom am Handgelenk. Doch in der Tat sind Eingriffe an der linken Gehirnhälfte oft komplexer. Dort befindet sich beispielsweise das Sprachzentrum. Wir achten bei unseren Operationen sehr auf die Funktionen, weshalb wir unsere Patienten vor dem Eingriff kartieren.

Sie gucken also, wie das jeweilige Gehirn funktioniert, weil das nicht in allen Fällen gleich ist?
Genau, wir schauen, welche Funktionen den OP-Bereich umgeben. Das unterscheidet sich zwischen den Menschen, und auch ein Tumor kann Funktionen des Gehirns reorganisieren.

Beschäftigen Sie auch Veränderungen der Persönlichkeit Ihrer Patienten, sei es infolge der Erkrankungen oder des Eingriffs?
Ja, Tumoren im Gehirn zum Beispiel können umliegendes Gewebe vergiften, was die Persönlichkeit beeinflusst. Nach der Entfernung des Tumors können sich die Fähigkeiten von Patienten also verbessern; man darf natürlich nichts kaputtmachen. Dass wir bei Krebsoperationen besonderes Augenmerk auf die Funktionen des Gehirns legen, gehört zu unseren Schwerpunkten in Heidelberg. Und auch das Gemüt kann sich verändern. Gerade heute Morgen sagte mir eine Frau, ihr Mann sei nicht mehr der, den sie geheiratet habe. Das hängt mit seinem Tumor zusammen, der den Hormonspiegel kontrolliert.

In welchen Fällen sind Ihre Patienten während der OP bei Bewusstsein?
Hauptsächlich dann, wenn wir Tumoren im Bereich des Sprachzentrums operieren. Wir lokalisieren es zwar vor dem Eingriff. Um aber ganz sicherzugehen, dass wir es nicht schädigen, hemmen wir während der Operation einzelne Areale mit Reizstrom und stellen den Patienten Aufgaben. Können sie die Aufgaben lösen, zeigt uns das, dass das Areal verzichtbar ist.

Oft setzen Sie Dinge ins Gehirn ein, um Probleme zu lösen: Mit Kissen an den Nerven stoppen Sie den Gesichtsschmerz, mit kleinen Geräten unterbinden Sie Schmerzsignale ans Rückenmark. Können Sie umkehrt Leiden auch herausoperieren?
Kommt drauf an. Bei Epilepsie können wir den Bereich, in dem die Hirnschädigung vorliegt, in manchen Fällen herausoperieren. Dann ist die Ursache der Anfälle beseitigt. Bei anderen Epilepsie-Patienten können wir ein Implantat einsetzen, das die Anfälle unterdrückt. Im Gegensatz dazu können wir Schmerzen nie herausoperieren. Bei Tumorpatienten mit chronischen Schmerzen suchen wir gemeinsam mit den Kollegen aus der Onkologie nach der besten Lösung. Eine Möglichkeit kann sein, eine Pumpe einzubauen, die ganz langsam Opioide gegen die Schmerzen ans Rückenmark abgibt.

Wie sieht das Gehirn aus, wenn Sie es operieren?
Die Windungen sind sehr individuell, wenn auch weniger als beim Fingerabdruck, und es ist von Gefäßen durchzogen. Es handelt sich insgesamt um eine wacklige Substanz. Deshalb darf der Sauger, mit dem man während der Operationen Sekrete beseitigt, auch nicht zu stark eingestellt sein – damit man ja nichts wegsaugt.

Info: Sandro Krieg spricht am Donnerstag, 20. Februar, um 19 Uhr im Hörsaal der Kopfklinik, Im Neuenheimer Feld 400, über „Hirntumoren, chronische Schmerzen, Wirbelsäule – Neurochirurgie als Innovationstreiber“.

Beitrag: Julia Lauer, RNZ

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Quelle der Bilder: Hendrik Schröder/UKHD

Referent

Prof. Dr. Sandro Krieg, Geschäftsführender Direktor der Neurochirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg