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Die "schnelle Hüfte"

Der Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks zählt zu den häufigsten Eingriffen in Deutschland überhaupt – meist steckt Gelenkverschleiß am Hüftgelenk dahinter, mitunter aber auch eine erblich bedingte Fehlstellung oder auch Unfälle mit Knorpelschäden. Tobias Renkawitz, Professor für Orthopädie am Heidelberger Universitätsklinikum, erklärt im Rahmen der Interviewreihe „Medizin am Abend“, in welchen Fällen ein künstliches Hüftgelenk sinnvoll ist und wie die OP möglichst schonend vonstattengeht.

Das Hüftgelenk ist eines der Gelenke, das am häufigsten ausgetauscht wird. Manche meinen, es wird zu oft ersetzt. Ist das so, Herr Professor Renkawitz?

Gemessen an der Zahl der Einwohner wird das Hüftgelenk in Deutschland tatsächlich häufiger ersetzt als zum Beispiel in England. Allerdings haben die Menschen hierzulande auch einen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung. Entscheidend ist die Frage: Muss ein künstliches Gelenk sein? Es ist empfehlenswert, hier eine Zweitmeinung einzuholen. In der Orthopädischen Universitätsklinik in Schlierbach bieten wir dafür auch eigene Expertensprechstunden an.

Wie stellen Sie fest, ob die Operation sein muss?

Wir operieren kein Röntgenbild, deshalb ist es nie alleine ausschlaggebend, sondern nur im Zusammenspiel mit einer Untersuchung und einem ausführlichen Gespräch. Ich frage Patientinnen und Patienten, wie lange sie ohne Schmerzen laufen können, wann und wie häufig sie Schmerzen haben und ob sie Schmerzmittel nehmen. Wichtig ist auch, was sie sich wünschen. Und erst wenn konservative Behandlungswege wie Krankengymnastik und entzündungshemmende und schmerzlindernde medikamentöse Therapien ausgeschöpft sind, stellt sich die Frage, ob man zum Skalpell greift, um das Gelenk zu ersetzen.

Sie haben ein Operationsverfahren mitentwickelt, das Sie „die schnelle Hüfte“ nennen. Was hat es damit auf sich?

Das bedeutet, dass Patienten, die morgens ein neues Gelenk eingesetzt bekommen, nachmittags schon mit der Physiotherapie beginnen können. Ich orientiere mich bei der Auswahl von Therapieverfahren am Patientennutzen, und wir sind ganz begeistert von den Vorteilen, die diese OP-Technik den Patientinnen und Patienten bringt.

Erklären Sie doch bitte noch etwas genauer, wie das funktioniert.

Beim Zugang zum Hüftgelenk durchtrennen wir keine Muskeln, der Blutverlust ist äußerst gering. Wir nutzen eine anatomische Muskellücke, durch die wir das Implantat einsetzen. Wir kontrollieren mit einem speziellen mobilen Röntgengerät, dass es präzise platziert ist. Den Schmerz bekämpfen wir schon während der Operation dort, wo er entsteht, mit einem speziellen Schmerzmittel. Das Ganze funktioniert nur mit einem eingespielten Team, viel Routine und Experten verschiedener Berufsgruppen wie Anästhesisten und Physiotherapeuten und engagiertem Pflegepersonal.

Sie haben dieses minimalinvasive Verfahren an der Universitätsklinik Regensburg entwickelt und dafür den „Medizin-Oskar“ erhalten, eine wichtige wissenschaftliche Auszeichnung in der Medizin. Ist diese Technik heute Standard?

Wir haben viele Kollegen, auch aus dem Ausland, die zu uns kommen, um sich dieses Verfahren anzueignen. Es ist aber nicht für Kliniken geeignet, die diesen Eingriff nur selten vornehmen, denn diese Technik setzt ein gewisses Maß an Spezialisierung voraus.

Und in Heidelberg?

In der Orthopädie in Schlierbach ist das Verfahren Standard. Bevor Corona kam, hatten wir mehr als tausend Gelenkersatzoperationen im Jahr. Derzeit setzen wir Kunstgelenke etwas seltener ein, da die Nachbehandlungen in den Rehaeinrichtungen momentan coronabedingt eingeschränkt sind. Gleichzeitig unterstützen wir in der Pandemie die Kraftanstrengung des Universitätsklinikums im Neuenheimer Feld mit Personal.

Tüfteln Sie schon an einer neuen OP-Technik?

Mich beschäftigt, wie Operationen an Knie- und Hüftgelenk noch sicherer und noch präziser werden und wie es gelingt, die Haltbarkeit von Implantaten zu verlängern. Die computergestützte Navigationstechnik ist hier vielversprechend. Daneben engagiere ich mich in unserer Fachgesellschaft für die evidenzbasierte Medizin und beschäftige mich auch mit der kritischen Frage nach dem Nutzen vieler Verfahren in der Orthopädie und Unfallchirurgie. Darauf aufbauend erarbeiten wir Handlungsempfehlungen und neue Leitlinien für Ärztinnen und Ärzte.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Univ.-Prof. Dr. med. habil. Tobias Renkawitz
Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg