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"Einsamkeit schlägt auf Herz und Magen"

Einsamkeit schlägt nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf Herz und Magen – so lassen sich die Erfahrungen zusammenfassen, die Hans-Christoph Friederich als Professor für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum gemacht hat. Im Rahmen der Interviewreihe „Medizin am Abend“ erklärt er, warum Kontakt zu Anderen so wichtig ist, was Corona mit den Menschen macht – und was nachweislich gegen Einsamkeit hilft.

In England gibt es ein Ministerium gegen Einsamkeit, und im Februar zog Japan nach. Sollten wir die Bekämpfung der Einsamkeit auch zur Chefsache machen, Professor Friederich?

Ja, Einsamkeit stellt ein zunehmendes gesundheitliches Problem dar. Etwa zehn Prozent der Menschen erleben sich als einsam, nicht alle sind sozial isoliert. Vor allem im Alter, aber auch bei den 18-29-Jährigen, ist Einsamkeit häufig. Die Pandemie hat das Problem verschärft. 

Was bringt uns denn dazu, uns einsam zu fühlen?

Soziale Isolation ist der größte Risikofaktor. Einsamkeit spielt sowohl im ländlichen Bereich als auch in Großstädten eine Rolle – das zeigt, dass nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität von sozialem Kontakt entscheidend ist. Wir fühlen uns immer dann einsam, wenn entweder die gewünschten sozialen Kontakte fehlen oder die vorhandenen Beziehungskontakte als nicht befriedigend erlebt werden – etwa weil es uns an der Fähigkeit zur Gestaltung von erfüllenden Beziehungen mangelt.

Corona hat das Problem mit den Ausgangssperren und den Kontaktbeschränkungen verschärft. Laut der sogenannten Nako-Gesundheitsstudie haben Ängste und Depressionen seither deutlich zugenommen, vor allem bei jungen Frauen. Wie erleben Sie das?

Die psychischen Folgen sozialer Isolation zeigen sich rasch. Das haben wir bei Menschen in häuslicher Quarantäne untersucht, die zuvor positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Knapp die Hälfte gab an, gestresst zu sein. Insgesamt zeigten 14 Prozent der Befragten Symptome von Depressionen, neun Prozent von Angststörungen. Damit war ihr Anteil etwa doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Gegen Ende der Quarantäne entwickelten sich die Symptome meist wieder zurück.

Das liegt sicher daran, dass die Menschen zu Beginn der Quarantäne Angst vor dem Ausbruch einer weitgehend unbekannten Krankheit hatten.

Ein weiterer Faktor ist die Befürchtung, andere anzustecken. Welcher Faktor im Einzelfall entscheidend war, lässt sich nicht so genau sagen.

Sie beschäftigen sich mit den Verbindungen zwischen Psyche und Körper. Inwiefern hat sich die Pandemie auf Ihren Stationen bemerkbar gemacht?

Seit Beginn der Corona-Zeit haben sich mehr Patienten bei uns vorgestellt, und vor allem Essstörungen haben deutlich zugenommen. Wir sehen mehr schwere Verläufe, bei denen junge Frauen ihr vorheriges Gewicht um ein Drittel oder die Hälfte reduzieren. Das massive Untergewicht führt zu einer Verlangsamung der Herzfrequenz und geht regelmäßig mit Elektrolytverschiebungen einher, das ist lebensgefährlich.

Wie erklären Sie sich den Zusammenhang?

Die Corona-Pandemie hat bei einigen jungen Menschen zu einem Gefühl von Verunsicherung und Angst vor einem Kontrollverlust über das eigenen Leben geführt. Das Erwachsenwerden ist ohnehin eine von Unsicherheit geprägte Phase, Corona verstärkt diese Erfahrung. Die Magersucht und die damit verbundene Kontrolle über Essen, Gewicht und Figur gibt den Betroffenen am Anfang der Erkrankung ein Stück Sicherheit im Leben zurück. Die Erkrankung begünstigt jedoch die soziale Vereinsamung. Auffällig ist auch, dass sich die Problematik nach vorn verlagert hat. Wenn magersüchtige Frauen zu uns kommen, sind sie normalerweise 24, 25 Jahre alt. Jetzt sind sie deutlich jünger, sie sind 18 oder 20 Jahre alt. 

Würden Sie so weit gehen, Einsamkeit als Krankheit zu betrachten?

Das kann man durchaus so sehen. Einsamkeit nimmt nicht nur auf die psychische, sondern auch auf die körperliche Gesundheit großen Einfluss. Dies lässt sich besonders eindrücklich am „Verwitwungseffekt“ aufzeigen. Stirbt bei einem älteren Ehepaar einer der beiden Partner ist die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb von bis zu sechs Monaten auch der andere Partner verstirbt, um das Fünffache erhöht. 

Vor ein paar Jahren war in der „Zeit“ zu lesen, dass es für die Gesundheit förderlicher ist, Freunde in der Nähe zu haben, als das Rauchen aufzugeben. Trifft es das?

Es gibt zahlreiche große Studien zu diesem Thema. Sie zeigen im Ergebnis, dass im Vergleich von Risikofaktoren für die Gesundheit – wie etwa Umweltverschmutzung, Bewegungsmangel, Alkohol- und Nikotinkonsum – die Einsamkeit an der Spitze steht.

Wie genau wirkt sich die Einsamkeit denn auf den Körper aus?

Einsamkeit ist ein Stressor, der mit einer Veränderung des vegetativen Nervensystems, des Immunsystems sowie der Stresshormone einhergeht. Trotz dieser Erkenntnisse sind die genauen molekularbiologischen Mechanismen der Schädigung an den Organen noch weitestgehend ungeklärt. Wie sich das Zusammenspiel auf molekularbiologischer Eben gestaltet, erforschen wir am Beispiel des Broken-Heart-Syndroms.

Das ist das Phänomen, bei dem man an Liebeskummer sterben kann.

Der Verlust eines geliebten Menschen und der damit verbundene seelische Schmerz können dazu führen, dass die linke Herzkammer aussackt und sich die Herzform verändert. Das Herz verliert Kraft beim Pumpen, Herz-Rhythmus-Störungen und Herzstillstand können die Folge sein. Im Tierexperiment versuchen wir, noch genauere Erkenntnisse zu gewinnen.

Wie häufig ist das Broken-Heart-Syndrom?

In der Notambulanz weisen zwei bis vier Prozent der Menschen mit Thoraxschmerz ein Broken-Heart-Syndrom auf. Es sind mehr Frauen als Männer betroffen. Die Patienten sind im Mittel 67 Jahre alt – bei breitem Altersspektrum. 

Das klingt schrecklich. Gibt es irgendetwas, das bei alledem Hoffnung macht?

Sofern Menschen unter Einsamkeit leiden, sollten sie Hilfe in Anspruch nehmen. Aus Untersuchungen wissen wir, dass Psychotherapie um ein Vielfaches effektiver ist bei Einsamkeitserleben als beispielsweise Kontakte in sozialen Medien zu suchen. Häufig führen ungünstige Muster der Beziehungsgestaltung zu wiederkehrenden und frustrierenden Kontaktabbrüchen. Die Betroffenen sind meinst blind für diese Muster, so dass es sinnvoll ist, im Rahmen einer Psychotherapie diese Beziehungsmuster zu identifizieren und zu bearbeiten.

 

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Prof. Dr. Hans-Christoph Friederich
Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg