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Angeborene Herzfehler

Es ist vor allem der Medizintechnik zu verdanken, dass Ärzte Kindern mit angeborenem Herzfehler vielfach gut helfen können. In welchen Fällen das gelingt und welche Untersuchungen schon in der Schwangerschaft sinnvoll sind, erklärt Matthias Gorenflo, Professor für Kinderkardiologie am Universitätsklinikum, im Rahmen der Interviewserie „Medizin am Abend“.

Herr Professor Gorenflo, Sie sind Kinderkardiologe. Unterscheiden sich angeborene von erworbenen Herzproblemen?

Ja, sie unterscheiden sich. Schlechte Zahnhygiene zum Beispiel kann eine Entzündung der Herzinnenhaut nach sich ziehen, und in der Folge geht die Herzklappe kaputt. Erworbene Herzerkrankungen wie diese nehmen zu. Ein angeborenes Herzproblem hat man oder man hat es nicht. Es wird nicht erworben. Manchmal allerdings wird es erst im Alter von 50 oder 60 Jahren erkannt. Ein Loch in der Vorkammer zum Beispiel.

Es kommen mehr Kinder mit Herzfehlern zur Welt, als man vielleicht denkt: ein Prozent der Neugeborenen. Was sind die häufigsten?

Am häufigsten ist das gerade erwähnte Loch im Herzen, genauer: im Bereich zwischen den Pumpkammern, das macht ein Drittel der Fälle aus. Auch Löcher im Vorkammerbereich gibt es häufig oder etwa auch Verengungen der Lungenschlagader und Hauptschlagaderklappe.

Können Sie diesen Kindern helfen?

Ja, aber das heißt nicht, dass alle Kinder geheilt werden können. Ein Loch im Herzen kann meist verschlossen werden, und das Kind ist geheilt. In anderen Fällen kann die moderne Medizin das Problem mildern, aber nicht beheben, sodass das Kind mit einer chronischen Krankheit leben muss.

Von Kindern mit angeborenem Herzfehler erreichen heute 90 Prozent das Erwachsenenalter. Worauf geht das zurück?

Das liegt ganz klar an der Medizintechnik. Vieles lässt sich mit Kathetern behandeln, während nur in manchen Fällen offen operiert werden muss. Wir haben auch hervorragende Verfahren zur Diagnostik, sodass wir uns beispielsweise mit Echo-Technik beim Ultraschall innerhalb von fünf Minuten ein gutes Bild vom Herzen machen können.

Bei Herzkathetern handelt es sich um dünne Schläuche, die durch den Körper geschoben werden und am Herzen allerhand reparieren können. Wofür setzen Sie sie ein?

Herzkatheter kommen vielfach zum Einsatz: Mit ihrer Hilfe können wir beispielsweise darauf reagieren, wenn die beiden Hauptschlagadern am Herzen vertauscht sind. Wenn man das nach der Geburt nicht zügig behandelt, wird es lebensgefährlich. Wir nutzen Katheter aber auch etwa, um ein Loch im Herzen zu verschließen, um zu enge Gefäße mit Stents zu erweitern oder um die Lungenschlagader in der Peripherie zu erweitern.

Wie vertragen Säuglinge diese Eingriffe?

Sie vertragen sie gut. Anders als bei Erwachsenen setzen wir solch einen gerade einmal 1,2 bis 1,5 Millimeter dicken den Katheter nicht im Arm, sondern in der Leiste ein. Dazu verwenden wir lokale Betäubung. Im Gegensatz zu einer offenen Operation können wir hier auf eine Vollnarkose und auf die Intubation verzichten, sodass das Verfahren sehr schonend auch für kleinste Kinder ist.

An der Uniklinik bieten Sie pränatale Diagnostik zur Erkennung von Herzfehlern an. An wen richtet sich das Angebot?

Deutschland ist gesegnet mit Fehlbildungsschallern, und zwar flächendeckend. Das können nicht nur wir am Uniklinikum, das gibt es auch in niedergelassenen Praxen. Trotzdem wird dieses Angebot nicht so gut genutzt. Als schwangere Frau braucht man dafür eine Überweisung, was eine Hürde darstellt, dabei sollten das aus meiner Sicht alle werdenden Mütter in Anspruch nehmen. Jeder dritte Fall von vertauschten Hauptschlagadern am Herzen ist vor der Geburt nicht bekannt. Eventuell stirbt das Kind aus diesem Grund.

Wie zuverlässig kann man Herzfehler damit vor der Geburt bestimmen?

Vertauschte Hauptschlagadern lassen sich im Fehlbildungsschaller sicher feststellen. Ein Loch im Herzen ist etwas schwieriger zu erkennen, aber hier ist nach der Geburt keine solche Dringlichkeit geboten. In Frankreich beispielsweise ist die vorgeburtliche Kontrolle besser geregelt als in Deutschland. Hierzulande wird routinemäßig nur überprüft, ob das Herz des Kindes vier Kammern hat.

Gibt es das eigentlich auch schon, dass man Herzfehler des Kindes schon im Mutterleib behandelt?

An spezialisierten Zentren wurde auch schon die Hauptschlagader von Föten im Mutterleib gesprengt. Aber das gibt es noch nicht in der Breite, sondern nur im Rahmen von wissenschaftlichen Studien.

Sie haben kürzlich vor einem Mangel an Medizinprodukten für die kleinsten Patienten gewarnt, etwa vor dem von Kathetern. Wie ernst ist die Lage?

Sehr ernst. Die Europäische Union hat die regulatorischen Hürden für die Zulassung von Medizinprodukten verschärft. Hintergrund war der Skandal um Brustimplantate. Eigentlich sollen diese Regulatorien die Sicherheit von Medizinprodukten erhöhen. Nun befürchten aber gerade wir Kinderkardiologen, dass sich Hersteller von wenig nachgefragten Nischenprodukten wie Kinderherzkathetern oder Kinderherzschrittmachern vom Markt zurückziehen, weil die Zulassung dieser Produkte mit zu großen Hürden verbunden ist.

Gibt es Kinder, die deshalb nicht versorgt werden können?

Noch nicht, aber wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird das der Fall sein. Vor drei Jahren gab es noch drei Hersteller von Kinderherzkathetern um notfallmäßig Vorkammern bei Neugeborenen zu vergrößern, jetzt nur noch einen. Wenn die Medizintechnik nicht mehr verfügbar ist, müssen die Kinder offen operiert werden. Die Uhr läuft, aber die Berliner Politik reagiert auf unsere Warnungen nicht. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte folgte reichlich spät dem französischen Beispiel und hat unter Druck Sonderzulassungen für Herzkatheter erwirkt. Aber das ist nicht das einzige Medizinprodukt, das wir für Kinder brauchen. Wir laufen Gefahr, Schiffbruch zu erleiden.

Die Deutsche Herzstiftung sieht bei angeborenen Herzfehlern weiterhin dringlichen Forschungsbedarf. Worin besteht er?

Wir brauchen dringen Erkenntnisse zum Herzmuskel. Wenn er an Kraft verliert, kann man ihn kaum ersetzen. Wünschenswert wäre, eine Herzinsuffizienz auch bei Kindern besser behandeln zu können. Und wir müssen daran arbeiten, Lungengefäße um Wachstum zu bringen. Wenn sie das nicht tun, ist eine Versorgung bei einem sogenannten „Einkammerherz“ nur schwer möglich. Es ist zu hoffen, dass die Forschung hier bald weiter ist.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Referent

Professor Matthias Gorenflo
Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler