Newsroom Events Medizin am Abend 2020 69. Demenz

Demenz

Mit dem Gedächtnis verlieren Demenzpatienten einen Teil ihres Selbst. Robert Christian Wolf, Professor für Psychiatrie am Heidelberger Universitätsklinikum, erklärt im Rahmen der Interviewreihe „Medizin am Abend“, warum eine frühe Diagnose sinnvoll ist und was sich gegen das Vergessen tun lässt.

Herr Professor Wolf, Ginkgo-Präparate, Champignons im Essen oder Sudoku-Rätsel – all das soll gut fürs Gedächtnis sein. Kann man einer Demenz so vorbeugen?

Zur Prävention ist viel geforscht worden, aber überzeugend ist die Datenlage bei all diesen Beispielen nicht. Höhere Bildung, lebenslanges Lernen und Aktivität im Allgemeinen – auch körperliche – haben einen vorbeugenden Effekt. Das hängt mit der Plastizität des Gehirns zusammen. Und es gibt eine ganze Reihe von Risikofaktoren, die beeinflussbar sind. Übergewicht, Bluthochdruck, Altersdiabetes und das Rauchen begünstigen Demenzen.

Als Ursachen werden auch Umweltverschmutzung und Bakterien im Mund diskutiert. Was ist damit?

Luftverschmutzung kann wohl mit zum Entstehen beitragen, gemeinsam mit weiteren Faktoren. Auch Depressionen erhöhen das Risiko, gleiches gilt für soziale Variablen. Isolation spielt auch eine Rolle, gerade bei Demenzen im Alter.

Auch jüngere Menschen können an Demenzerkrankungen leiden. Hat das andere Gründe?

Etwa zwei Prozent der Menschen unter 65 Jahren leiden an demenziellen Erkrankungen. Das liegt zum Teil an Erkrankungen, die bekannt und häufig genetisch bedingt sind. Doch für andere Demenzen im vergleichsweise jüngeren Lebensalter fehlen viele Erkenntnisse.

An der Psychiatrischen Klinik in Heidelberg gibt es eine Gedächtnisambulanz. Was machen Sie dort?

Wir bieten Diagnostik und Behandlung an, wenn kognitive Leistungen – meist des Gedächtnisses – nachlassen. Diesen Zustand beschreibt man als Demenz. Über deren Ursache ist damit aber noch nichts gesagt. Wir prüfen deshalb, was dahintersteckt: Oft sind es Krankheiten wie Alzheimer, aber in etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle lässt sich die Demenz mit anderen Krankheiten erklären, etwa mit Vitaminmangel, Stoffwechsel- oder Gefäßerkrankungen.

Wenn andere körperliche Leiden ausgeschlossen werden können: Wie stellen Sie fest, ob jemand aus Schusseligkeit oder aufgrund einer Alzheimer-Krankheit im Frühstadium immer mal wieder etwas vergisst?

Das ermitteln wir mit standardisierten Tests, die jeweils für bestimmte Altersgruppen gelten. Schusseligkeit alleine reicht nicht für eine Demenz, deshalb prüfen wir auch etwa die Aufmerksamkeit, Sprachvermögen, Problemlösungskompetenz und räumliche Vorstellungskraft. Bildgebende Verfahren wie MRT oder PET helfen bei der Ursachenforschung. Man kann sehen, ob es in bestimmten Bereichen des Gehirns bereits zu Volumen- oder Aktivitätsveränderungen gekommen ist, und auch eine Nervenwasser-Untersuchung kann Aufschluss darüber geben, ob eine Alzheimer-Erkrankung vorliegt. Wenn man kognitive Veränderungen an sich feststellt, sollte man sich frühestmöglich an einen Facharzt wenden.

Die Erinnerung zu verlieren, ist schlimm, und es gibt kein Medikament, das die Krankheit wirksam bekämpft. Ist das zeitige Wissen darum für Ihre Patienten nicht eher eine Last?

Das Gegenteil ist der Fall, ich erlebe oft, dass Betroffene sehr entlastet sind, nachdem sie bei uns waren. Nach einer umfangreichen Diagnostik erhalten sie auch Therapieempfehlungen, mit denen sie aktiv gegen die Krankheit vorgehen können. Denn das Fortschreiten von Alzheimer lässt sich deutlich verlangsamen, wenn man das Problem frühzeitig angeht: mit Medikation, Logopädie und Ergotherapie, Bewegungstraining oder nonverbalen Behandlungsformen wie Musik- und Aromatherapie. Und es lässt sich an der Lebensqualität arbeiten. Dass man wenig tun kann, stimmt also nicht. Ein therapeutischer Nihilismus ist hier nicht angemessen.

Aber es gibt kein Medikament, das die Krankheit heilt. Woran liegt das? Es ist schon mehr als 100 Jahre her, dass Alois Alzheimer Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn einer verstorbenen Demenz-Patientin fand.

Es wird daran gearbeitet, eine Immunreaktion anzuregen, die die Ablagerungen im Gehirn im richtigen Maß entfernt, allen voran die des Proteins Beta-Amyloid. Es laufen dazu auch klinische Studien, deren Ergebnisse abzuwarten sind. Ich bin zuversichtlich, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren Medikamente oder auch eine andere Form der Immunisierung gibt, die die Krankheit aufhalten können.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Prof. Dr. med. Robert Christian Wolf
Leitender Oberarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg