Newsroom Events Medizin am Abend 2022 87. Herzschwäche

Die vielen Gesichter einer Herzschwäche

Ein gesundes Herz pumpt pro Minute etwa fünf Liter Blut durch den Körper. Bei einer Herzschwäche gelingt das nicht mehr. Die Folge: Organe und Muskeln erhalten nicht genügend Sauerstoff. Im Rahmen der Interviewserie „Medizin am Abend“ erklärt Norbert Frey, Professor für Kardiologie am Heidelberger Universitätsklinikum, welche Ursachen hinter der Herzschwäche stecken können, wie sie sich bemerkbar macht und welche Therapien es gibt.

Herzschwäche ist die häufigste Ursache für einen Krankenhausaufenthalt. Mit welchen Symptomen kommen die Patienten zu Ihnen, Herr Professor Frey?

Es gibt drei wichtige Anzeichen von Herzschwäche. Die Patienten haben Luftnot bei Belastung, sie haben Wasseransammlungen vor allem in den Beinen, weil ein schwaches Herz das Wasser im Körper nicht wegpumpt, und sie berichten von einem Knick in ihrer Leistungsfähigkeit. Allerdings müssen nicht alle Symptome gleichzeitig vorliegen, sodass eine Herzschwäche häufig erst spät erkannt wird.

Das heißt, Patienten mit Herzschwäche kommen in der Regel nicht als Notfall?

Notfälle gibt es auch – etwa weil Wasser in die Lunge gelangt, was sehr gefährlich ist. Die Herzinsuffizienz sollte man ernstnehmen. Über alle Stadien betrachtet, beträgt die Überlebensrate nach fünf Jahren 50 Prozent. Das entspricht der Überlebensrate vieler Tumorleiden oder liegt sogar noch darunter. Uns Kardiologen betrübt, dass die Herzschwäche so wenig ernst genommen wird. Dabei kann schon ein einfacher Bluttest beim Hausarzt Aufschluss geben: Liegt der sogenannte BNP-Wert im Normbereich, schließt das eine Herzschwäche aus. Es ist wichtig, das Problem früh zu erkennen und zu behandeln – auch wenn viele Patienten denken, dicke Beine und Atemnot gehören zum Alter dazu.

Jeder zehnte Mensch in Deutschland, der älter als 70 ist, hat chronische Herzschwäche. Ist der größte Risikofaktor das Alter?

Sagen wir so: nicht direkt. Die drei größten Risikofaktoren sind Herzerkrankungen wie etwa ein überlebter Herzinfarkt, andere Krankheiten wie ein schlecht behandelter Bluthochdruck, erst recht wenn er mit Diabetes einhergeht, und es gibt nicht selten genetische Gründe für eine Herzschwäche, dann sprechen wir von der Kardiomyopathie.

Spielt die Ursache eine Rolle für die Behandlung?

Die medikamentöse Therapie ist in allen Fällen ähnlich. Wir sprechen von den „fantastischen vier“, das sind vier Medikamentengruppen, die parallel zum Einsatz kommen. Das ist die Basistherapie. Zusätzlich behandeln wir ursächlich. Bei einer koronaren Herzerkrankung etwa versuchen wir, die Durchblutung zu verbessern. Bei der Eiweißspeicher-Erkrankung Amyloidose, die unter anderem das Herz befällt, geben wir ein Medikament, das die Bildung von Plaques verhindert. Bei genetischen Ursachen können wir das Genom noch nicht ändern, wenngleich das in Zukunft sicher auch möglich wird.

Ein Schwerpunkt in Heidelberg ist die Ursachenforschung. Ist das wissenschaftlich eine Herausforderung?

Durchaus. Wir machen zum Beispiel Kernspin-Aufnahmen vom Herzen oder entnehmen Herzgewebe. Anhand der Analyse dieser stecknadelkopfgroßen Proben können wir die molekularen Ursachen besser verstehen und zum Beispiel spezielle Kardiomyopathien erkennen oder chronische Entzündungen des Herzmuskels feststellen.

Gibt es Fälle, in denen die Ursache komplett zu beheben ist, sodass die Herzschwäche vorübergeht?

Ein nicht behandeltes Vorhofflimmern, das über Wochen hinweg zu einem Puls von 150, 160 oder 170 führt, kann eine Herzschwäche bedingen. Bei diesem Beispiel kann man mit Medikamenten oder durch Verödung die Ursache gut behandeln, sodass die Medikamente später zumindest reduziert werden können. Aber die meisten Patienten müssen sich auf eine dauerhafte Medikation einstellen, wenn sie ihr Leben verlängern wollen. Davon muss man sie häufig erst überzeugen: weil sie sich schnell besser fühlen und weil es meist ein ganzer Berg an Medikamenten ist, den sie nehmen sollen. Und je höher der Berg ist, desto eher schrecken sie davor zurück.

Während die Zahl der Erkrankungen steigt, sinkt die Zahl der Todesfälle. Das heißt, es gibt Erfolge bei der Behandlung?

Ja. Das liegt unter anderem daran, dass sich das Therapieprinzip der vier Basismedikamente zunehmend durchsetzt. Lange wurde die Kombination aus Beta-Blockern, SGLT2-Hemmern, Aldosteron-Antagonisten und sogenannten Arnis zu zögerlich eingesetzt. Erst im vergangenen Jahr nahm die europäische Fachgesellschaft diese Kombination in die neuen Leitlinien auf. Daneben haben sich auch OP-Techniken verbessert, etwa Schrittmachersysteme oder Katheterverfahren zur Abdichtung der Herzklappen – ein schwaches Herz leiert aus, dann werden die Klappen undicht. Auch dass sich der Lebensstil der Menschen zum Guten verändert, vermindert die Sterblichkeit.

Kann man denn durch Prävention Einfluss auf die Herzschwäche nehmen?

Diabetes erhöht das Risiko einer Herzschwäche und er ist häufig eine Folge des Lebensstils, insofern kann man eine gesunde Lebensweise auch zur Vorbeugung der Herzschwäche empfehlen. Aber bei der genetischen Variante gilt das nicht, denn bisher kann man den erblichen Faktor nicht ändern. Es gibt deshalb schlanke, sportliche 20-Jährige, die auf eine Herztransplantation angewiesen sind.

Und wie sieht es mit Sport aus, wenn die Herzschwäche schon festgestellt wurde?

Früher dachte man, man solle bei diagnostizierter Herzschwäche auf der Couch sitzen bleiben und das Herz schonen. Davon sind wir abgekommen. Heute empfehlen wir Ausdauertraining, aber moderat und zunächst unter ärztlicher Begleitung. Oft hilft nach dem Krankenhaus-Aufenthalt eine Reha, in der das erlernt wird.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Referent

Prof. Dr. Norbert Frey
Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie