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Neurochirurgie bei chronischen Schmerzen

Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischen Schmerzen. Manchen von ihnen kann eine Operation helfen. Andreas Unterberg, Professor für Neurochirurgie am Heidelberger Universitätsklinikum, erklärt im Gespräch mit der RNZ, wie das funktioniert und in welchen Fällen das sinnvoll ist.

Herr Professor Unterberg, bei Schmerzbehandlung denkt man an Spritzen und Tabletten. Wie funktioniert es, Schmerzen wegzuoperieren?

Mit Operationen lassen sich eine ganze Menge von Leiden behandeln, wir nutzen verschiedene Verfahren. Es gibt beispielsweise eine chronische Schmerzerkrankung, die Trigeminusneuralgie, wobei Patienten an attackenartigen Schmerzen im Gesicht leiden. Oft suchen sie den HNO-Arzt, den Neurologen und den Zahnarzt auf, dabei gibt es auch eine hervorragende Operation, die ihnen helfen könnte. Der Schmerz entsteht, indem eine Arterie am Gehirn an den Nerv klopft. Bei der Operation wird eine Art Kissen zwischen Arterie und Nerv geklemmt. Das unterbindet den Schmerz.

Ist das eine häufiger Eingriff?

Wir operieren das in Heidelberg 20 bis 25 Mal jährlich und sind damit eines der größten Zentren in Deutschland. Die Nachfrage ist nicht so hoch. Vielfach nehmen die Patienten lebenslang Medikamente, die aber oft Nebenwirkungen haben, sodass eine Operation eine Überlegung wert wäre. Ein anderes operatives Verfahren bei diesem Krankheitsbild wäre, die Nerven zu veröden, sodass der Schmerz nicht weitergeleitet werden kann. Aber wenn Nerven verödet werden, leidet die Sensibilität, und das versuchen wir zu vermeiden. Weil die Verödung keine Vollnarkose erfordert, kann jedoch auch sie in manchen Fällen sinnvoll sein.

Bundesweit gibt es mehr als drei Millionen chronische Schmerzpatienten. Wie vielen von ihnen könnte der Griff zum Messer helfen?

Einigen tausend mit Sicherheit. Das Behandlungsspektrum der operativen Schmerztherapie ist groß, es umfasst auch Durchblutungsstörungen der Beine, Angina-Pectoris-Schmerz oder Rückenschmerzen infolge von Tumoren, Traumata oder Operationen. In diesen Fällen setzen wir ausgewählten Patienten kleine Geräte ein, die Schmerzen mit elektrischen Impulsen ans Rückenmark bekämpfen.

Sie pflanzen also ein Gerät ein, das dauerhaft im Körper bleibt und Signale gegen die Schmerzen sendet?

Wir implantieren es in die Bauchdecke oder in die Gesäßregion. Es ist über Kabel mit einer Elektrode in der Nähe des Rückenmarks verbunden, die Signale abgibt. Das Verfahren heißt Neuromodulation, es funktioniert im Prinzip wie ein kleiner Schrittmacher, aber die Signale richten sich nicht ans Herz, sondern ans Rückenmark.

... weil dort der Schmerz sitzt?

Der Impuls für Schmerz kann überall entstehen, an Organen, in Gelenken, auf der Haut. Über Nervenfasern gelangt er ins Rückenmark, dann ins Gehirn. Erst wenn der Impuls dort ankommt, empfinden wir Schmerz. Mit den Signalen ans Rückenmark unterbrechen wir die Weiterleitung. Bei zwei Dritteln der Patienten funktioniert das gut.

Aber das ist auch aufwändig. Ist dieser Eingriff daher immer letzte Wahl?

Ziemlich. Bei gewöhnlichen Rückenschmerzen im Alter etwa würde man das nicht machen. Man braucht einen freien Saal, Operationszeit, und allein der Neurostimulator kostet etwa 25 000 Euro, das setzt auch erfolgreiche Verhandlungen mit den Krankenkassen voraus.

Und wie steht es ums Risiko? Ist eine OP am Rückenmark nicht gefährlich?

Die Elektrode sitzt auf dem Rückenmarkschlauch in Höhe der Brustwirbelsäule. Ich habe noch nicht erlebt, dass da eine Verletzung entstanden wäre, und wir nehmen diesen Eingriff an unserer Klinik 50 bis 70 mal im Jahr vor. Es besteht eher ein gewisses Risiko für eine Infektion, da ein Fremdkörper eingesetzt wird.

Helfen Ihnen im OP Roboter für die nötige Präzision?

Was die Schmerzbehandlung betrifft, können Roboter im Gehirn millimetergenau Sonden zur Schmerzbehandlung einsetzen. Solche Roboter gibt es schon, aber in Heidelberg träumen wir im Moment noch davon. Bei unserer letzten Auslandsreise vor Corona haben wir uns jedoch einen in Baltimore angesehen.

A propos Corona: Was bedeutet das Virus für Ihre Klinik?

Wir haben etwa 15 Prozent weniger Patienten als vor Corona. Viele sorgen sich und verschieben ihre Termine. Dabei wäre es auch in ihrem Interesse, früher zu uns zu kommen. In der Neurochirurgie hatten wir es bisher erst einmal mit einer Patientin zu tun, die an Covid-19 erkrankt war. Wir haben sie gleich bei der Aufnahme isoliert, sie wurde trotzdem operiert. Mit Erfolg: Denn so konnten wir verhindern, dass sie querschnittgelähmt sein würde.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Weitere Informationen im Internet

Quelle: Philip Benjamin / UKHD

Prof. Dr. med. Andreas Unterberg
Geschäftsführender Direktor der Neurochirurgische Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg