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Sportverletzungen

Zwei Millionen Menschen in Deutschland verletzen sich jedes Jahr beim Sport, am häufigsten an Beinen und Füßen. Im Rahmen der Interviewserie „Medizin am Abend“ erklärt Tobias Renkawitz, Professor für Orthopädie am Heidelberger Universitätsklinikum, was sich bei verletzten Fußballern in der Bundesliga bewährt hat, was man bei Knorpelverletzungen tun kann – und warum Jogger besser kleinere Schritte machen.

Professor Renkawitz, merken Sie als Orthopäde an der Zahl der Sportverletzungen, dass der Winter vorbei ist?

Ja – für den Frühling sind Verletzungen an Sehnen und Bändern sowie Knorpelüberlastungen typisch. Diese Strukturen passen sich nach der Winterpause langsamer als die Muskulatur an die Bewegung an. Im Sommer, wenn viele Sportler intensiver trainieren, haben wir es öfter mit Verletzungen der Muskulatur zu tun, das reicht von Muskelverhärtungen bis zu Muskelfaserrissen.

Sie waren früher Teamarzt in der Bundesliga. Wie lässt sich denn eine Überlastung von einen Muskelfaserriss unterscheiden?

Eine Zerrung spürt man selbst an der Verhärtung und am Schmerz. Das ist ein wichtiges Warnsignal, man sollte pausieren. Ein erfahrener Sportorthopäde kann ertasten, ob der Muskel beschädigt ist. Deshalb haben Fußballclubs auch immer einen Mannschaftsarzt dabei, der erkennt, wann man einen Fußballer aus dem Spiel nehmen muss.

In einem Interview hielten Sie es mal mit einem Ratschlag von Klaus Eder, dem langjährigen Physiotherapeuten der Nationalmannschaft. Er empfiehlt, Verletzungen mit Eiswasser zu behandeln. Kann man dabei auch etwas falsch machen?

Man sollte aufpassen vor Erfrierungen und deshalb stark gekühltes Wasser, aber kein Eis verwenden. Eders Tipps kann man sich mit der Formel „Pech“ gut merken. Die Buchstaben stehen für Pause, Eiswasser, Kompression beziehungsweise Druckverband und Hochlage des Beins. Die Kühlung wirkt einer Einblutung entgegen und mindert zudem die Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen.

Kann man noch mehr aus dem Profisport lernen?

Die Grundprinzipien sind im Amateurbereich dieselben. Der Fußballverband Fifa empfiehlt beispielsweise das Präventionsprogramm „Fifa 11“ zur Vorbeugung von Kreuzbandrissen auch für Hobbysportler. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir: Wenn das Knie bei der Landung nach einem Sprung zu einer Innendrehung neigt, die Beine also in eine X-Stellung kommen, ist das Risiko für eine Kreuzbandverletzung erhöht. Mit dreimal 30 Minuten Training wöchentlich lässt sich die Rate von Kreuzbandrissen nachweislich halbieren. Junge Frauen sind hier übrigens stärker gefährdet als Männer.

Es gibt auch Sportschuhe, die durch ihre Form eine leichte X-Stellung der Beine ausgleichen sollen. Funktioniert das genauso gut?

Einlagen können – etwa beim Joggen – den Fuß unterstützen und Verletzungen im Fuß- und Sprunggelenkbereich vorbeugen. Bei einer Fehlstellung der Füße beim Laufen ist aber ein Gesamtkonzept sinnvoll.

Wann helfen Einlagen noch?

Zum Beispiel bei einem Fersensporn, wobei die Sehnenplatte unter der Fußsohle schmerzt. Manchmal liegt eine Fußfehlstellung vor, und eine orthopädische Einlage kann hier gegensteuern. Bei Gel-Einlagen aus dem Handel, die den Lauf beim Joggen abfedern sollen, ist aber Vorsicht geboten. Denn sie können den Fuß auch destabilisieren, vor allem bei eher niedrigem Körpergewicht, und Verletzungen so sogar begünstigen.

Wenn wir mal beim Joggen bleiben: Ist gelenkschonendes Laufen auch eine Frage der Technik?

In der Sportwissenschaft gibt es Diskussionen zur Schrittfrequenz, und 180 Schritte pro Minute gelten als Goldstandard. Dabei geht es darum, mit welcher Stelle des Fußes man auf dem Boden aufkommt. Denn wenn die Schritte sehr groß sind, landet man auf der Ferse, und das belastet sowohl Ferse als auch Knie. Die Schrittfrequenz bietet eine Möglichkeit, den Lauf zu kontrollieren.

Ein Sprichwort besagt: Wer langsamer läuft, hat mehr von der Strecke. Ist es auch schonender für den Körper?

Die Belastung bei Ausdauerläufen und Sprints ist einmal kontinuierlich, einmal eher stoßartig. Aber beiden ist gemeinsam, dass Verletzungen durch ein Missverhältnis zwischen der Belastbarkeit von Binde- und Stützgewebe und der Belastung entstehen. Ein Abwechseln der Geschwindigkeiten, insbesondere zwischen aerobem und anaerobem Tempo, ist für das Training sogar durchaus empfehlenswert. So lässt sich die Ausdauer steigern.

Sie engagieren sich in Ihrem Fach für die evidenzbasierte Medizin, wollen also wissen, was erwiesenermaßen hilft. Nutzen Bandagen etwas, die manche Läufer ums Kniegelenk tragen?

Läufer haben häufig Knieprobleme, oft sind Bänder oder Knorpel überlastet. Wissenschaftlich ist nicht belegt, dass Bandagen und Kinesiotapes die Kniegelenke schützen. Aber oft sind diese Dinge Gefühlssache, und zumindest schaden sie auch nicht. Bei Schmerzen sollte man aber immer eine sportorthopädische Untersuchung in Anspruch nehmen, um die Ursache zu finden und ein Problem nicht zu vergrößern.

Was kann man denn vorbeugend tun, um Gelenke zu schützen?

Wichtig ist, nach einer Pause nicht zu ambitioniert einzusteigen und ein Ausgleichstraining zu nutzen, das beugt Verletzungen vor. Läufern empfehle ich Schwimmen oder Aquafitness. Aber auch nach größeren Verletzungen gibt es heutzutage Methoden, mit denen sich ein Gelenkersatz umgehen lässt, etwa die Knorpelzelltransplantation, deren Wirksamkeit wir untersuchen.

Wie funktioniert das?

Das ist Hightechmedizin, die wir einsetzen können, wenn der Knorpel im Knie verletzt ist. Das erleben wir häufig bei Fußballspielern und auch bei Läufern. Wir entnehmen gesunde Knorpelzellen aus dem Knie und lassen sie in einem Speziallabor vermehren. Die Membranen können wir minimalinvasiv ins Gelenk einbringen. Dieses Verfahren ist etabliert. In Schlierbach machen wir das viele Male im Jahr, und Profi- und Freizeitsportler können davon profitieren.

Referent

Prof. Tobias Renkawitz
Vorstandsmitglied, Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie
Ärztlicher Direktor, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am UKHD