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Bei Rheuma ist der Ärztemangel extrem

Prof. Lorenz bei „Medizin am Abend“: Therapien reichen von Cortison bis zu CAR-T-Zellen

„Katastrophal“ nannte Prof. Hanns-Martin Lorenz die Versorgungssituation der Rheumakranken, denn es gibt viel zu wenige Fachärzte. Lorenz ist Professor für Rheumatologie am Uniklinikum Heidelberg. Auch die Zuhörer der gemeinsamen Veranstaltung „Medizin am Abend“ von Universitätsklinikum und Rhein-Neckar-Zeitung führten ähnliche Klagen und nutzten eifrig die Gelegenheit, dem Experten ihre persönlichen Gesundheitsprobleme vorzutragen. Fragen an die Mediziner zu stellen, wenn man selbst unsicher ist – das ist der große Bonus der im Jahr 2013 begonnenen Vortragsreihe im Hörsaal der Kopfklinik. Mit viel Leidenschaft und ebenso viel Humor hielt Lorenz die Zuhörer in seinem Bann.

Es gibt zu wenig Rheumatologen, weil die Krankenhäuser zu wenig Weiterbildungsstellen anbieten, wie Lorenz sagte. Sie verdienten ihr Geld lieber mit Operationen. Dabei meinten auch Gesundheitspolitiker und Mediziner im Gemeinsamen Bundesausschuss, dass zehn Prozent der niedergelassenen Internisten Rheumatologen sein müssten. Aktuell, so Lorenz, seien es fünf Prozent in Baden-Württemberg, und die Hälfte der Rheumatologen sei bereits über 60 Jahre alt. Landesminister Manne Lucha wisse Bescheid – und leugne den Mangel dennoch. „Das ärgert mich total“, sagte Prof. Lorenz. Bei Erkrankungen von Kindern, bei der Palliativmedizin und phasenweise auch bei Mangelversorgung wie bei Rheuma dürfe man sich nicht vom Kostendruck leiten lassen, forderte er.

Warum das so wichtig ist, erklärte er auch. Denn wenn – wie bei Rheuma – das Immunsystem gesunde Zellen angreift und körpereigenes Gewebe beschädigt, muss schnell gehandelt werden. „Wenn das Immunsystem lernt, den eigenen Körper anzugreifen, kriege ich das nie wieder weg.“ Die Rheumatologen sprechen von einem Zeitfenster von zwölf Wochen für den Beginn einer Therapie, später wird die Prognose schlechter. „Frühdiagnosen sparen Medikamentenkosten, das zahlt sich total aus“, unterstrich Lorenz. Wie er vorrechnete, trifft das auch auf die teuren Biologika zu.

Die Diagnostik allerdings ist für die Ärzte ein Puzzlespiel. Lorenz hätte gerne bessere Biomarker zur Verfügung, die dann mithilfe Künstlicher Intelligenz interpretiert werden könnten. Gelenkschmerzen, die in der zweiten Nachthälfte schlimmer werden, sprächen jedenfalls für entzündliches Rheuma. Und Entzündungen seien auch immer ein Risikofaktor für Herzinfarkte und Schlaganfälle.

Bei der Behandlung wird jetzt mit der CAR-T-Zell-Therapie experimentiert. Doch noch beginnen die meisten Patienten mit Cortison. (Lorenz: „Cortison ist toll, aber das giftigste aller Medikamente.“) Seit 1987 helfe Methotrexat dabei, Cortison einzusparen, doch 50 Prozent der Patienten seien auch damit nach fünf Jahren erwerbsunfähig, sagte Lorenz. Später kamen die Biologika dazu, monoklonale Antikörper, die die Entzündungshormone binden können, und JAK-Hemmstoffe, die einen Signalweg in der Zelle blockieren, sowie bispezifische Antikörper, wie sie vor allem in der Krebsimmuntherapie eingesetzt werden. Von den CAR-T-Zellen, spezifisch hergestellten therapeutischen Killerzellen, erwartet Hanns-Martin Lorenz für die Zukunft einiges. „Mein Ziel ist immer: Raus aus dem Cortison,“ erklärte er, warnte aber davor, es zu schnell abzusetzen („Hausärzte tendieren dazu.“) Immer seien Patienten auch mit Kalzium und Vitamin D zu versorgen, damit die Nebenwirkungen von Cortison gesenkt werden könnten.

Hintergrund

  • Zur Prävention von Rheuma hatte Prof. Lorenz einige Tipps parat: „Nie rauchen“, riet er dem Publikum – denn das Immunsystem reagiert darauf.
  • Infektionsprophylaxe ist insbesondere im Erkrankungsfall wichtig. Keine Angst vor Impfungen, vor allem im Alter, wenn das Immunsystem schwächer wird (Gürtelrose, Covid-19, Pneumokokken, FSME). Das Virus ist das Problem, nicht die Impfung.
  • Bewegung ist sowieso immer zu empfehlen, und die Kontrolle des Cholesterinspiegels kann Herzinfarkten vorbeugen. Keine Angst vor Statinen, riet Prof. Lorenz. Auch Blutdruck und Blutzucker sollte man im Auge behalten.
  • Cortison ist auf längere Sicht nicht ratsam. Auch sogenannte nicht-steroidale Antirheumatika, wozu auch Schmerzmittel wie Ibuprofen zählen, sollte man nicht länger einnehmen.

Info: Infektionskrankheiten sind das Thema von Prof. Claudia Denkinger bei nächsten „Medizin am Abend“ am Donnerstag, 24. Juli, um 19 Uhr.

Beitrag: Birgit Sommer, RNZ

Die Rheumatologie profitiert von innovativen Behandlungen – Prof. Hanns-Martin Lorenz: Politik muss Engpässen in der Versorgung dringend entgegenwirken

Mehr als zwei Prozent der Menschen leiden an entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Hanns-Martin Lorenz ist Professor für Rheumatologie am Heidelberger Universitätsklinikum und Referent der nächsten Folge von „Medizin am Abend“, der Vortragsreihe von RNZ und Universitätsklinikum. Ein paar Fragen vorab.

Rheuma umfasst ein ganzes Bündel an Erkrankungen: Bei welchen Beschwerden sollte man an Rheuma denken?
Das häufigste klinische Zeichen von „Rheuma“ ist die Arthritis, also die Gelenkentzündung. Die Gelenke schmerzen vor allem nachts, sind heiß, rot, geschwollen oder auch schwer beweglich am Morgen. Viele andere Entzündungszeichen können bei „Rheuma“ aber auch auftreten, die sich an praktisch allen Organen des Körpers manifestieren. Das eine Rheuma gibt es also nicht.

Wenn man Symptome bei sich feststellt: An wen wendet man sich?
Der erste Ansprechpartner ist die Hausärztin, das hat auch die Bundesregierung gerade bekräftigt. Sie vermittelt dann weiter: Bei Arthrose geht es zum Orthopäden, bei allen entzündlichen Erkrankungen zum Rheumatologen.

Allerdings gibt es kaum Rheumatologen. Ist das kein schöner Beruf?
Doch, es ist der schönste Beruf von allen! Kliniken verdienen aber heute mehr Geld in anderen Fächern der Medizin, die durch den ökonomischen Druck immer mehr wachsen. Die Bevölkerung braucht aber auch Kollegen der sprechenden Medizin wie Kinderärzte, Psychiater, Diabetologen und Rheumatologen. Die Politik muss jetzt unbedingt eine Bedarfsplanung für Weiterbildungsstellen aufsetzen, die sich an der Häufigkeit
von Erkrankungen in der Bevölkerung orientiert und an der Wirtschaftlichkeit. Das ist die Kernaufgabe der Gesundheitspolitik! Andere Länder wie Frankreich oder die skandinavischen Länder machen das mit gutem Erfolg.

Wie genau kommt es zu den Engpässen in der Rheumatologie?
Die Weiterbildung findet vor allem in den Krankenhäusern statt. Wir haben viele Bewerbungen, aber nicht genug Stellen. Hier ist der Flaschenhals. Die Politik sollte den Krankenhäusern Vorgaben für Weiterbildungsstellen in mangelversorgten Gebieten machen. In ganz Baden-Württemberg haben wir aktuell nur 56 niedergelassene Rheumatologen statt der 100, die der Gemeinsame Bundesausschuss fordert. Und von den 56 sind 27 über 60 Jahre alt!

Können Sprechstunden per Video zumindest etwas Abhilfe schaffen?
Es wäre grandios, wenn man das über die Kassen abrechnen könnte. Das geht aber noch nicht. Es würde uns entlasten und die Versorgungsnot lindern.

Bei Rheuma greift das Immunsystem körpereigenes Gewebe an. Weiß man eigentlich, warum?
Tatsächlich kennen wir die Mechanismen der Entzündung, aber nicht den Auslöser. Frauen sind öfter betroffen. Eine Hypothese ist daher, dass die Erkrankung mit den Immungenen auf dem zweiten X-Chromosom zusammenhängt, was das weibliche Immunsystem leichter aktivierbar macht.

Wie vielen Patienten kann die Medizin heutzutage helfen?
Bei fast allen Patienten können wir früher oder später die Entzündung gut kontrollieren, will heißen: Die Patienten fühlen sich wohl, der Entzündungsmarker CRP ist im Blut nicht mehr nachweisbar, und sie müssen kein Kortison mehr einnehmen.

Was ist mit den anderen Patienten?
In unserem Fach tut sich viel. Es gibt neue Ansätze, die ganz neue therapeutische Möglichkeiten auch für diese Patienten eröffnen. Sie haben damit die Aussicht auf eine dauerhafte Kontrolle der Krankheit.

Wie funktionieren die neuen Therapien?
Um das zu verstehen, muss man wissen, dass die Entzündungsreaktion im Lymphsystem oder im Knochenmark entsteht, auch wenn sie sich etwa an den Gelenken niederschlägt. Die etablierten Medikamente erreichen diese Lymphgewebe aber nicht. Neu ist eine Therapie, bei der Gen-modifizierte T-Lymphozyten die eigenen B-Lymphozyten, die an der Entzündung beteiligt sind, abtöten. Bei systemischem Lupus Erythematodes zum Beispiel, einer rheumatischen Autoimmunerkrankung mit potenziell schwerem Verlauf, gibt es erste
sehr gute Daten auch über eine längere Nachbeobachtungszeit.

Wird diese Behandlung oft eingesetzt?
Bisher kommt diese Therapie – eine sogenannte CAR-T-Zell-Therapie – nur für Patienten infrage, denen auf anderem Weg nicht zu helfen ist. Die Behandlung muss oft nur einmalig erfolgen, kostet aber 160.000 bis 240.000 Euro. Dafür verspricht sie aber auch, sehr effizient zu sein.

Seit wann werden rheumatische Erkrankungen so behandelt?
Diese Art von Therapie wurde ursprünglich zur Behandlung von Erkrankungen des Blutes entwickelt, zur Anwendung kommt sie dort seit etwa zehn Jahren. In der Rheumatologie wird damit seit etwa vier Jahren gearbeitet.

Die Therapie ist also wirklich brandneu.
Ja, und es gibt noch innovativere Entwicklungen in unserem Fachgebiet in Form künstlicher Antikörper, die gleichzeitig an B- und T-Lymphozyten binden, sodass die so aktivierten T-Lymphozyten die schädlichen B-Lymphozyten auch im Lymphgewebe abtöten können. Diese Behandlung kam weltweit erst bei einer Handvoll rheumatologischer Patientinnen zur Anwendung, unter anderem auch aus unserer Ambulanz. Die Effekte sind beeindruckend.

Was wissen Sie bei diesen neuen Behandlungen über die Nebenwirkungen?
Weil diese Medikamente in anderen Disziplinen schon länger eingesetzt werden, sind uns die möglichen Nebenwirkungen bekannt. Da wir aber viel geringere Dosen geben als die Kollegen, sind sie bei Rheuma-Patienten besser verträglich. Der Langzeiteffekt kann aber natürlich noch nicht abgeschätzt werden.

Glauben Sie denn, dass Rheuma bald heilbar ist?
Heilung ist ein großes Wort! Das Immunsystem, das die Erkrankungen verursacht, tauschen wir ja mit keiner Therapie aus, sodass die Grundlage für ein Wiederauftreten der Erkrankung trotz bester Therapie bestehen bleibt. Und wann kann man von Heilung sprechen? Wenn sich die Krankheit vier Jahre lang ohne Behandlung nicht bemerkbar gemacht hat? Diese Frage beschäftigt uns derzeit auf Fachkongressen.

Info: „Volkskrankheit Rheuma: Von der richtigen Diagnose zur wirksamen Therapie“ ist das Thema von Prof. Lorenz am Donnerstag, 26. Juni, um 19 Uhr in der Kopfklinik, Im Neuenheimer Feld 400.

Beitrag: Julia Lauer, RNZ

Impressionen des Abends