Newsroom Events Medizin am Abend 2025 112. Neue und alte…

Das „Knochenbrecherfieber“ ist in Südeuropa angekommen

Prof. Claudia Denkinger zu alten und neuen Infektionskrankheiten – Wie der Klimawandel Gefahren weckt – Fortschritt mit Nachteilen

Die Menschheit, die in den vergangenen Jahrzehnten einige Infektionskrankheiten in den Griff bekam, steht vor neuen gesundheitlichen Herausforderungen. Und zu denen trägt sie kräftig bei mit Klimawandel, Krieg, Migration und Einschränkung von Biodiversität. Wie das genau aussieht, sagte Prof. Claudia Denkinger, die Leiterin der Infektions- und Tropenmedizin am Heidelberger Universitätsklinikum, bei der gemeinsamen Veranstaltung „Medizin am Abend“ von Klinikum und RNZ im Hörsaal der Kopfklinik. Sie nahm neue und alte Infektionskrankheiten in Deutschland in den Blick und stieß auf großes Interesse der Zuhörer.

> Klimawandel: Da es um 1,5 Grad wärmer sei als in vorindustrieller Zeit, komme es zu einer anderen geografischen Verbreitung etwa der Asiatischen Tigermücke, die für sporadische Ausbrüche des Dengue-Fiebers verantwortlich sei, erklärte Denkinger. „Sie braucht eine Dauermindesttemperatur von zehn bis elf Grad und kann sich in Deutschland gut etablieren.“ Die Expertin erwartet eine Ausbreitung sogar bis Norwegen und Schweden. Für einen Ausbruch der Viruserkrankung braucht es allerdings ein paar Voraussetzungen, etwa, dass ein infizierter Mensch nach Europa kommt, dass es hier Zwischenwirte und Brutstätten für die Mücken gibt. Dengue, das „Knochenbrecherfieber“, das starke Muskel- und Gelenkschmerzen verursachen könne, sei in Portugal, Italien und Frankreich angekommen.

Die Gelbfiebermücke, so Denkinger, könne sich dagegen nicht so gut an Frost anpassen. Aber auf der Krim, in Ägypten und auf Madeira habe sie bereits Dengue-Ausbrüche verursacht. Durch Vogelmigration sei das West-Nil-Fieber 2018 nach Deutschland gekommen. Und das Auftauen der Permafrostböden habe ein 30 000 Jahre altes Virus zum Leben erweckt und Milzbranderreger freigesetzt, die bei Rentieren Todesfälle verursacht hätten. Auch Pilze würden durch den Klimawandel zu menschlichen Pathogenen, etwa, wenn Hitzestress Mutationen auslöse. Ihr Beispiel: Candida auris, 2009 erstmals beschrieben, wird in Kliniken auf der ganzen Welt gefunden.

> Einschränkung der Biodiversität: Abholzung, Verstädterung und das Eindringen des Menschen in unberührte Ökosysteme bringen Mensch und Wildtiere enger zusammen. HIV und Ebola sind Beispiele von Virus-Infektionen bei Tieren, die bei Menschen ankamen.

> Globalisierung und Migration: „Deutschland ist sehr reisefreudig und divers, ein Viertel der Bürger hat einen Migrationshintergrund“, erklärte Claudia Denkinger. „Mit der Mobilität kommen Viren und Bakterien, auch lange vergessene Erreger.“ Polio gehört dazu, eine fast ausgerottete Erkrankung, die aber letztes Jahr in Afghanistan und Pakistan auftrat. In Deutschland wurden Viren im Abwasser nachgewiesen, aber wegen der Herdenimmunität der Bevölkerung durch die Polio-Impfung gab es keine Krankheitsfälle.

Im Falle der Masern warnte Prof. Denkinger vor der nachlassenden Impfbereitschaft: Für die Herdenimmunität sei eine Impfquote von 95 Prozent erforderlich. 2024 kam es in Deutschland zu 645 Masern-Fällen bei Kindern. Bei Tuberkulose werden weltweit jährlich 1,25 Millionen Todesfälle gezählt. In Deutschland, so Prof. Denkinger, gebe es Anstiege der Infektionszahlen im Kontext von Krisen und Migration, zunehmend kämen auch komplexe Fälle – etwa mit Resistenzen gegen Medikamente oder Kombinationen mit HIV oder Hepatitis.

> Kriege: In Kriegen sterben Menschen an Verletzungen und Infektionen. Schuld daran sind nach den Worten Denkingers neben der Zerstörung der Hygieneinfrastrukturen auch Resistenzen, weil der Einfachheit halber von Ärzten breit wirkende statt speziell ausgesuchter Antibiotika gegeben würden.

> Der menschliche Fortschritt: Operationen etwa für eine neue Hüfte oder einen Herzschrittmacher bieten oft einen Angriffspunkt für Infektionen, erklärte die Wissenschaftlerin. „Erreger setzen sich gerne auf Implantaten fest oder verursachen einen Biofilm auf Fremdmaterial, der schwer zu diagnostizieren ist.“

> Was tun? Claudia Denkinger empfahl Impfungen, normale Hygiene und im Infektionsfall FFP2-Masken. Die Regentonne im Garten sei mit einem Netz zu überspannen, Untersetzer für Topfpflanzen sollten mindestens einen Tag in der Woche trocken sein, damit sich die Asiatische Tigermücke nicht darin vermehren könne. „Was in Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis getan wird, damit sich die Tigermücke nicht ansiedelt, ist beachtlich“, lobte Denkinger die kommunalen Initiativen. Und beim Arzt sollten Patienten durchaus nachfragen, ob ein Antibiotikum für ihre Erkrankung wirklich notwendig sei.

Info: Die nächste Veranstaltung „Medizin am Abend“ ist am 18. September, 19 Uhr. Prof. Svenja Taubner, Direktorin des Instituts für Psychosoziale Prävention, spricht über „Mental gesund aufwachsen – was können Eltern und Großeltern für Kinder tun?“

Beitrag: Birgit Sommer, RNZ

Bisher wurde nur eine einzige Infektionskrankheit ausgerottet – Prof. Claudia Denkinger: Menschengemachte Probleme begünstigen Verbreitung von Erregern

Infektionskrankheiten sind eine ständige globale Herausforderung – und das Forschungsthema von Claudia Denkinger, Professorin für Infektionsmedizin am Heidelberger Universitätsklinikum. Wie geht es bei der Krankheitsbekämpfung voran, worauf müssen wir uns einstellen? Fragen an die nächste Referentin von „Medizin am Abend“, der gemeinsamen Veranstaltungsreihe von RNZ und Uniklinikum.

Covid, Dengue, Affenpocken: Schon seit den 1970er-Jahren ist von der Rückkehr der Infektionskrankheiten die Rede. Wie dramatisch ist die Situation, Frau Prof. Denkinger?

Der Klimawandel und die Reduktion der Biodiversität – zwei menschengemachte Probleme – begünstigen, dass der Mensch sich immer neuen Erregern aussetzt. Und aufgrund von Flugverkehr und Migration können sich ehemals lokale Krankheiten immer weiter ausbreiten. Zugleich erschweren Antibiotikaresistenzen die Behandlung. Wir haben es also mit vielen Herausforderungen zu tun.

Entstehen denn auch ganz neue Krankheiten?

Ja, denn die Erreger passen sich an. Pilze etwa kommen immer besser mit den steigenden Temperaturen zurecht. Das hat zur Folge, dass sie nun auch den menschlichen Körper besiedeln und dort Infektionen hervorrufen können.

Kam das schon vor?

Candida auris, ein Hefepilz, ist ein höchst ansteckender Erreger. Rückblickend weiß man, dass die ersten Fälle 1996 aufgetreten sind, auch am Uniklinikum bekamen wir es schon mit ihm zu tun. Er kann verschiedene schwere Infektionen hervorrufen, das reicht bis hin zu einer Blutvergiftung. Die Erkrankungen sind schwer zu behandeln. Noch dazu kann sich der Erreger über die Kontamination von Flächen leicht ausbreiten.

Wie entscheidet sich, ob eine Krankheit lokal begrenzt auftritt oder zur Pandemie wird?

Erkrankungen, die symptomfrei verlaufen können, begünstigen eine weite Verbreitung. Vor allem ist aber entscheidend, um welche Art von Erreger es sich handelt und wie er weitergegeben wird. Pandemierelevante Erreger werden üblicherweise über die Atemluft übertragen. Auch lebende Organismen können bei der Übertragung eine Rolle spielen – man denke an die Tigermücke.

Das ist die Mücke, der wir mittlerweile auch in Heidelberg begegnen und die Dengue und das Westnil-Fieber überträgt?

Ja, die Asiatische Tigermücke hat sich hier etabliert und kann 26 Viren übertragen. Für Dengue zum Beispiel hat sie jedoch bisher nie größere Ausbrüche verursacht, unter anderem weil sie nicht nur Menschen als Wirte nutzt, sondern auch beispielsweise Hunde und Kühe. Das mag zwar eklig klingen, kommt uns aber bei Dengue zugute, denn damit endet die Übertragung. Eine andere Tigermücke, die Ägyptische, ist gefährlicher für uns, sie verursacht viel größere Ausbrüche von Dengue. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie sich in Heidelberg ansiedeln wird, beträgt schon bei den heutigen Temperaturen und klimatischen Voraussetzungen bis zu 50 Prozent.

Bisher wurde nur eine einzige Infektionskrankheit beseitigt: die Pocken. Der letzte Fall trat 1977 in Somalia auf. Warum ist die Liste der Erfolge so kurz?

Die zweite Erkrankung, die man ausrotten wollte, war die Kinderlähmung. Aber das Beispiel zeigt: Es gelingt uns nicht einmal dann, wenn wir wirksame Impfstoffe haben. Dass das Vorhaben bisher gescheitert ist, ist vor allem politischer Instabilität und Kriegen geschuldet. In Pakistan und Afghanistan tritt die Krankheit bis heute auf. Ein weiteres Problem hier ist die Zirkulation von Impfviren, die auch bei Nicht-Geimpften in seltenen Fällen eine Erkrankung auslösen können. In Deutschland wurden diese zuletzt im Abwasser nun wieder nachgewiesen.

In der Nachkriegszeit sollte der Begriff der Weltgesundheit zum Ausdruck bringen, dass in einer globalisierten Welt die Krankheit des einen schnell die Krankheit aller sein kann. Wie laufen die Bemühungen, die globale Gesundheit voranzutreiben?

Eine ganze Zeit lang lief es sehr gut. Aber nicht nur die Skepsis der Gesellschaft gegenüber Gesundheitsprogrammen ist zuletzt gewachsen, auch die politische Entwicklung gibt Grund zur Sorge. Bisher kam viel Geld aus den USA, etwa für Programme zur Krankheitsüberwachung. Gerade bricht hier vieles zusammen.

Sie selbst arbeiten zur frühen Diagnostik von Krankheiten. So soll deren Ausbreitung auch in armen Ländern eingedämmt werden. Wie läuft es dort?

Wir haben beispielsweise dazu gearbeitet, die Selbst-Tests bei Covid oder auch bei Tuberkulose voranzubringen. Auch in diesem Bereich waren die USA bisher der weltweit wichtigste Geldgeber. Donald Trump hat die öffentlichen Gelder dafür zusammengestrichen, die Gates-Stiftung ist auf einmal fast allein auf weiter Flur als amerikanischer Geldgeber für globale Gesundheit.

Haben wir denn von Corona etwas bei der Pandemie-Bekämpfung gelernt?

Durch schlecht gemanagte Corona-Programme haben wir gute Entwicklungen teils verbrannt und bei der Impfbereitschaft viele Menschen verloren. Positiv ist, dass sich bei Testung, Diagnostik und Impfstoff-Entwicklung einiges getan hat. Positiv sehe ich auch den Pandemievertrag, den die Weltgesundheitsorganisation WHO durchgeboxt hat. Er besagt, Kontingente von Impfstoffen an Länder ohne Impfstoffproduktion zu geben. Das ist ein Beitrag dazu, künftig stärker an einem Strang zu ziehen – denn Viren und Bakterien kennen keine Grenzen.

Wo müsste man noch ansetzen?

Die Europäer und die Länder, die von globaler Entwicklung profitiert haben, müssen internationale Organisationen weiter unterstützen. Und wir müssen uns um den Zustand des Planeten kümmern. Davon profitieren auch wir.

Von der Spanischen Grippe ist bekannt, dass sie dort besonders stark wütete, wo die Menschen isoliert lebten. Besteht angesichts der Globalisierung und vieler Begegnungen denn auch die Chance, dass wir uns gegen viele Krankheiten immunisieren?

Grundsätzlich ja. Beim Grippe-Virus, das sich ständig verändert, wird das wahrscheinlich ein Stück weit zutreffen, aber trotzdem verändert sich das Virus manchmal so stark, dass die akkumulierte Immunität nicht ausreicht. Aber es werden andere Erkrankungen auf uns zukommen, mit denen wir es noch nicht zu tun bekamen. Eine umfassende Immunisierung ist nicht möglich. Und gerade durch die konstante Interaktion von Mensch und Umwelt und dadurch, wie wir diese verändern, wird es auch immer neue oder veränderte Erreger geben.

Info: Claudia Denkinger spricht am Donnerstag, 24. Juli, um 19 Uhr im Hörsaal der Kopfklinik, INF 400, zum Thema „Neue und alte Infektionskrankheiten in Deutschland – Spannungsfeld Mensch, Umwelt und Mikroben“.

Julia Lauer, RNZ

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Fotos: Hendrik Schröder/UKHD

Referentin

Prof. Dr. Claudia Denkinger,
Leiterin der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg