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Gefäßerkrankungen

Sie können zu Schlaganfälle, Herzinfarkten und Amputationen führen: Gefäßerkrankungen. Dittmar Böckler, Professor für Gefäßchirurgie am Heidelberger Universitätsklinikum, erklärt im Rahmen der Interviewreihe „Medizin am Abend“, wieso Stress die Gefäßwände schädigt, an wen sich Angebote zur Früherkennung richten und was für Eingriffe an der Halsschlagader bei wachen Patienten spricht.

Omega-Drei-Fettsäuren sollen gut für die Gefäße sein. Was kann man noch für seine Gefäße tun, außer einen Schuss Leinöl ins Müsli zu geben, Herr Professor Böckler?

Vieles. Diese Fettsäuren sind sicher gesund, sie sind übrigens auch in Gemüse und Fisch enthalten. Auch regelmäßige Bewegung ist wichtig sowie die Kontrolle von Gewicht und Blutdruck. Es gibt aber Faktoren, die man nicht beeinflussen kann, dazu zählen die genetische Veranlagung, Geschlecht und Alter. Männer leiden bis zu zehnmal häufiger an Gefäßerkrankungen als Frauen. Und für die Gefäße haben wir leider kein Calgonit, das sie reinigt.

Die Gefäße sind wichtig, weil sie Blut und Sauerstoff durch den Körper zu den Organen transportieren. Was genau lässt sie enger werden?

Wenn Gefäße geschädigt werden - zum Beispiel durch Bluthochdruck oder auch durch das Rauchen - kommen Zellen herbei und übernehmen die Reparatur. Die Nebenwirkung ist, dass sie Abfall hinterlassen. Es entsteht eine Entzündung mit abgebauten toten Zellen, Thrombozyten und Stoffen wie Cholesterin in der Gefäßwand. So werden die Gefäße enger. Weil sich auch Kalzium ablagert, sprechen wir von Gefäßverkalkung.

Auch psychische Faktoren wirken sich aus. Woran liegt es, dass Stress seine Spuren an den Gefäßwänden hinterlässt?

Stress belastet in erster Linie das Herz, schädigt aber auch allgemein die Gefäße. Bei Stress steigt der Blutdruck. Das kann zur Folge haben, dass ein Teil aus der Gefäßwand herausbricht – so ähnlich wie beispielsweise eine Kachel im Bad. Stress kann auch dazu führen, dass sich Gene in der Gefäßwand verändern. Ganz verstanden ist dieser Prozess noch nicht.

Können sich Gefäße erholen, wenn man mit dem Rauchen aufhört?

Der einmal angerichtete Schaden für die Gefäße bleibt, aber es lohnt sich trotzdem, das Rauchen aufzugeben: Es reduziert das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall um ein Vielfaches.

Manche nennen Gefäßerkrankungen auch „stille Mörder“. Ist das berechtigt?

Es sterben doppelt so viele Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie an Krebs. Die Krux ist, dass sich die Gefäßverengung oft lange nicht bemerkbar macht.  Das Gefäß wird immer enger, bis zu 90 Prozent, und ein Gerinnsel kann dann die bleibende Öffnung verschließen. Diese akute Durchblutungsstörung ist sehr gefährlich, sie führt beispielsweise zu Amputationen der Beine, zu Schlaganfällen und Herzinfarkten, und auch wenn der Darm nicht durchblutet wird, muss zügig operiert werden, sonst endet es tödlich.

Gibt es nichts, was auf Gefäßerkrankungen hinweist?

Wer beim Gehen bereits nach kurzen Strecken Schmerzen in der Wade bekommt, sollte sich unbedingt untersuchen lassen. Es könnte ein Hinweis auf die Schaufensterkrankheit sein, die Patienten beim Laufen immer wieder wie bei einem Bummel innehalten lässt, weil nicht genug Blut bei den Muskeln ankommt. Wir untersuchen in diesen Fällen nicht nur Beine, sondern auch Hals-, und Bauchschlagader mittels Ultraschall. Auch weitere Spezialisten wie Kardiologen ziehen wir hinzu. Sie untersuchen die Herzkranzgefäße. Arztpraxen und Kliniken bieten auch Screenings an, noch ehe Beschwerden auftreten. Diese Angebote richten sich insbesondere an Menschen über 60, und an jene mit Bluthochdruck, an Diabetiker und aktive und ehemalige Raucher.

Wenn man also rechtzeitig und nicht als Notfall zu Ihnen kommt: Wie sieht die Behandlung aus?

Das ist vom Einzelfall abhängig. Manchmal reicht es schon, täglich 100 Milligramm Aspirin zur Blutverdünnung zu nehmen, häufig braucht es Blutfettsenker und Blutdruckmedikamente, die aber oft Muskelschmerzen als Nebenwirkung haben. Wir reinigen Gefäße operativ oder dehnen sie mit Ballons oder Stents.

Ihr Spezialgebiet sind Operationen an der Halsschlagader, deren Verengung für viele Schlaganfälle verantwortlich ist. Wie gefährlich ist der Eingriff?

Die Zeit des Risikos ist in der modernen Gefäßchirurgie vorbei. Die meisten Chirurgen in Deutschland nehmen diesen Eingriff unter Vollnarkose vor, hier am Universitätsklinikum operieren wir in neun von zehn Fällen mit örtlicher Betäubung. Wir klemmen das Gefäß ab, reinigen es, und nähen es wieder zu – mehr als 200-mal im Jahr.

Örtliche Betäubung: Das bedeutet, Ihre Patienten sind wach.

Genau, sie können während der Operation mit uns sprechen. Das ist auch gut für uns, so wissen wir, dass ihr Gehirn mit Blut versorgt ist, denn ist ein Eingriff gegen die Zeit. Wenn Patienten munter sind, beruhigt uns das auch. Eine hervorragende Narkoseabteilung macht das heute möglich.

Kommt diese OP auch zur Vorbeugung in Betracht?

Bei ausgewählten Patienten nehmen wir sie durchaus vor, um Schlaganfällen vorzubeugen. Fünf Prozent der Schlaganfälle sind tödlich, 25 Prozent hinterlassen bleibende Schäden, das Risiko der OP ist also vergleichsweise gering. In der Heidelberger Gefäßchirurgie sind Komplikationen selten, sie treten bei weniger als einem Prozent der Operierten auf.

Auch Covid-19 greift die Gefäße an. Kann man die auch ausputzen?

Covid-19 ist keine reine Lungenerkrankung: Auch die Blutgerinnung wird aktiviert, und Gefäßwände sind oft entzündet. Akute Gefäßverschlüsse putzen wir aus. Mit Medikamenten können wir Blutgerinnseln, Thrombosen und Embolien vorbeugen. Aber nicht nur Covid-Patienten können zu einem Notfall für Gefäßchirurgen werden, sondern auch diejenigen, die aus Angst vor Corona erst gar nicht zu uns kommen. Derzeit haben wir mehr Notfälle und mehr Amputationen als sonst zu verzeichnen – viel sicherer wäre es, uns rechtzeitig aufzusuchen.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Prof. Dr. med. Dittmar Böckler
Ärztlicher Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg