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Intelligenz und Sozialverhalten – sind wir genetisch vorbestimmt?

Steht alles, was uns ausmacht, in den Genen, oder lässt der Bauplan des Lebens auch Gestaltungsspielraum zu? Welche Rolle spielen Umweltfaktoren? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Humangenetiker Professor Dr. Christian Schaaf bei Medizin am Abend am 13. November 2019.

Die direkt nach der Geburt des kleinen Vincent an einem Blutstropfen durchgeführte Genomanalyse offenbart alles: die weitere Entwicklung des Jungen, Besonderheiten und Krankheiten wie Kurzsichtigkeit und Anfälligkeit für Herzschwäche bis hin zu Todesursache und Sterbealter von rund 30 Jahren. Diese dystopische Zukunft, in der jeder Mensch allein über seine genetische Ausstattung definiert wird, zeichnete 1997 der Science-fiction-Film „GATTACA“. Die damals befürchtete genetische Vorherbestimmtheit bestätigte sich wissenschaftlich zum Glück nicht: Heute ist klar, dass die Umwelt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf hat, wie wir uns entwickeln, wie unsere Anlagen zur Ausprägung kommen. Auf der anderen Seite kann ein einziger Schreibfehler in einem wichtigen Gen den Unterschied zwischen einer gesunden Entwicklung und geistiger Behinderung ausmachen.

Professor Dr. Christian Schaaf, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg, hat sich auf die Erforschung der genetischen Hintergründe von Entwicklungsstörungen, geistiger Behinderung und Autismus spezialisiert. Bei Medizin am Abend am Mittwoch, 13. November 2019, wird er über den Einfluss der Gene und den Beitrag der Umwelt auf menschliches Verhalten und kognitive Fähigkeiten sprechen, sowie die Möglichkeiten und Grenzen der humangenetischen Diagnostik vorstellen. Der Vortrag beginnt um 19 Uhr im Hörsaal der Kopfklinik, Im Neuenheimer Feld 400. Universitätsklinikum und Rhein-Neckar-Zeitung laden alle Interessierten herzlich ein.

„Gene sind keine Einbahnstraße“

Wenn es um die Frage geht, in wie weit Verhaltensmuster, Intelligenz oder auch psychische Erkrankungen genetisch vorbestimmt sind, werfen Wissenschaftler gerne einen Blick auf Menschen mit identischer genetischer Ausstattung, die unter unterschiedlichen Bedingungen aufgewachsen sind: eineiige Zwillinge, die aus welchen Gründen auch immer als Kind getrennt wurden. Denn je stärker der Einfluss der Gene, desto ähnlicher entwickeln sich die getrennten Zwillinge auch unabhängig voneinander. Das Ergebnis dieser Zwillingsstudien kann beruhigen: „Wir sind nicht komplett genetisch determiniert: Die Umwelt bietet ein Fenster der Möglichkeiten, in dessen Rahmen sich die individuelle Entwicklung abspielt und Erbanlagen variiert werden können“, sagt Prof. Schaaf. Als Mediziner sieht er darin vor allem die Chance, auch bei ungünstigen Voraussetzungen noch therapeutisch gegensteuern zu können. Insbesondere die kognitiven Fähigkeiten z.B. bei Kindern mit geistigem Handicap lassen sich in einer gewissen Spannbreite durch eine optimale Förderung günstig beeinflussen. Auf der anderen Seite kann ein Kind mit guten Anlagen durch fehlende Förderung, Isolation oder traumatische Erfahrungen weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben und unter sehr ungünstigen Bedingungen sogar eine autistische Störung entwickeln.  

Das meist schwere Erkrankungsbild einer Autismus-Spektrum-Störung wird bei rund 70 bis 80 Prozent der Betroffenen durch Veränderungen im Erbgut verursacht. Bei anderen psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen wie Depression, Angststörung und ADHS ist der Beitrag der Gene mit bis etwa 20 Prozent eher gering, wie Prof. Schaaf in seinem Vortrag ausführen wird. Ob eine solche Störung bzw. Erkrankung auftritt, liegt vermutlich an der Summe von günstigen und ungünstigen genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen, die beim Einzelnen individuell zusammenspielen. „Gene sind keine Einbahnstraße – sie werden maßgeblich von sozialen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst“, so der Humangenetiker.

Große Fortschritte in humangenetischer Diagnostik

Wird Verhalten, Intelligenz und geistige Gesundheit irgendwann mit gentechnischen Methoden modifizierbar sein? „Eher nicht“, vermutet Schaaf: „Im menschlichen Gehirn sind rund 16.000 Gene aktiv. Es sind derzeit an die 1.000 Gene bekannt, deren Veränderungen bei geistigen Behinderungen eine Rolle spielen. Das Zusammenspiel all dieser Faktoren ist geradezu einschüchternd komplex – die Folgen gezielter Veränderungen lassen sich zum heutigen Stand nicht absehen.“

Große Fortschritte hat dagegen in den letzten Jahren dank neuer Erkenntnisse und Methoden die humangenetische Diagnostik gemacht: „Im Bereich der geistigen Behinderungen finden wir heute bei rund der Hälfte der betroffenen Kinder eine Ursache“, erklärt der Mediziner. „Zwar bringt dieses Wissen in den meisten Fällen keine unmittelbare Verbesserung der Symptome, für die Eltern aber meistens eine enorme Erleichterung: Eine Diagnose zu haben hilft vielen mit Vorurteilen und sogar Anfeindungen besser zurecht zu kommen. Denn nein, sie haben nichts falsch gemacht oder ihr Kind schlecht behandelt. Der Krankheit liegen genetische Ursachen und biologische Prozesse zu Grunde und nicht Fehler in der Erziehung.“

Impressionen des Abends

Termin

Mittwoch, 13. November, 19 Uhr
Hörsaal Kopfklinik
Im Neuenheimer Feld 400
Eintritt und Parken frei.

Referent

Prof. Dr. Christian Schaaf
Geschäftsführender Direktor des Instituts für Humangenetik, Direktor der Abteilung Humangenetik

Audiobeitrag

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