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„Gut zu hören, beugt Demenzen vor“

Anders als die Augen sind die Ohren immer auf Empfang. An der Universitätsklinik beschäftigt sich Peter K. Plinkert, Professor für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, unter anderem mit Schwerhörigkeit. Im RNZ-Gespräch erklärt er, warum die Menschen in Namibia besser hören als hier, was bei der Wahl des passenden Hörgeräts zu beachten ist – und warum unser Gehirn Schaden nimmt, wenn das Hören beeinträchtigt ist.

Sie beschäftigen sich mit Schwerhörigkeit, Herr Prof. Plinkert. Was denken Sie, ist die Lärmbelastung in Heidelberg für unsere Ohren noch erträglich?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Unser Innenohr wird geschädigt, wenn wir langfristig einem Geräuschpegel von mehr als 85 Dezibel ausgesetzt sind. An einer stark befahrenen Straße oder bei einer Tätigkeit in Handwerk oder Industrie kann das auch in Heidelberg der Fall sein.

Als leiseste deutsche Großstadt gilt München. Aber selbst dort ist das Hörvermögen der Menschen in Mitleidenschaft gezogen: Es ist durchschnittlich um zwölf Jahre gealtert. Gibt es denn überhaupt noch Menschen, die richtig gut hören?

Dafür, dass das Hörvermögen nachlässt, sind zwei Dinge verantwortlich: unser Alter und die Lautstärke, die uns in unserer Gesellschaft überall begegnet. Aus Untersuchungen ist bekannt, dass wir in den Industrienationen alle schlechter hören als die Menschen beispielsweise in Namibia. Dort nehmen die Menschen höhere Frequenzen besser wahr als wir.

Die Augen kann man schließen, aber die Ohren sind immer auf Empfang. Können wir ihnen irgendetwas Gutes tun?

Privat und beruflich können wir versuchen, die Lärmexposition zu minimieren. Ein Knackfrosch zum Beispiel, dieses Kinderspielzeug, kommt auf 120 Dezibel und ist damit lauter als ein Motorrad. Gerade kurze Töne empfinden wir als weniger laut, deshalb unterschätzen wir schnell die Lärmbelastung, die von ihnen ausgeht.

Gerade Ältere behaupten, sie hören doch gut – und schalten den Fernseher einfach auf maximale Lautstärke. Wie bekommt man sie zum Arzt?

Das ist tatsächlich ein Problem, das zeigen auch die Zahlen: In Deutschland leben 13 Millionen Schwerhörige, aber nur fünf Millionen Hörgeräteträger. Die altersbedingte Schwerhörigkeit kommt schleichend, viele gehen nicht zum Arzt.

Dabei heißt es, das solle man schleunigst tun. Warum ist Zeit ein kritischer Faktor?

Durch fehlende akustische Stimulation muss der Mensch mehr Hörarbeit leisten, das strengt an, und irgendwann schaltet er ab. Im Gehirn geht das mit einem Abbau der Synapsen einher. Deshalb ist es wichtig, früh zu handeln. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Gut zu hören, beugt Demenzen vor.

Was genau ist eigentlich gemeint, wenn es heißt: Im Alter lässt das Hörvermögen nach? Gilt das für alle Töne oder nur für bestimmte Frequenzen?

Zunächst sind es die hohen Frequenzen, die nicht mehr gut wahrgenommen werden. Aber das Problem schreitet fort, bis irgendwann auch mittlere und tiefe Töne nicht mehr gut gehört werden.

Auch ein Tinnitus plagt viele Menschen. Kann eigentlich auch beides zusammenkommen: Schwerhörigkeit und Tinnitus?

Ja, und das ist nicht einmal so selten. Denn auf dem Boden des Hörschadens entwickelt sich beides: dass wir die realen Töne schlechter hören und dass sich Ohrgeräusche verselbständigen und wir Töne hören, die es nicht gibt. Der Tinnitus hängt aber auch eng mit dem limbischen System zusammen, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist. Stress spielt hier eine bedeutende Rolle. Es gibt zwar viele Mittel, die gegen Tinnitus angepriesen werden, etwa Ginkgo oder die Sauerstofftherapie. Aber nur von dem Retraining, das Patienten von der Fokussierung auf das Störgeräusch wegbringt, und von der kognitiven Verhaltenstherapie ist wissenschaftlich bewiesen, dass sie gegen dieses Leiden helfen.

Bei Schwerhörigkeit wird gemeinhin zu Hörgeräten geraten. Aber viele Menschen empfinden sie als unangenehm, zum Beispiel weil sie rauschen. Haben Sie einen Tipp?

Bei Hörgeräten, die außerhalb des Ohrs getragen werden, führt nur ein Schlauch in den Gehörgang. Luft kann ein- und ausströmen, damit entfallen Druck und Völlegefühl, und auch das Ohrgeräusch wird positiv beeinflusst. Aber allgemeine Tipps kann man kaum geben, weil individuelle Bedürfnisse eine Rolle spielen. Manche Menschen stört es, dass diese sogenannten HdO-Geräte sichtbar sind und bevorzugen deshalb einen Stöpsel im Ohr.

Wenn Hörgeräte nicht funktionieren, können seit einigen Jahren auch Cochlea-Implantate helfen, die unter der Haut eingesetzt werden. Am Universitätsklinikum nehmen Sie jedes Jahr rund 80 Eingriffe dieser Art vor. Warum kommen sie bei Schwerhörigkeit nicht gleich zum Einsatz?

Wir setzen die Implantate bei Menschen aller Altersstufen ein, das reicht von Säuglingen bis hin zu Greisen. Bei Altersschwerhörigkeit kommen die Implantate in Betracht, wenn das Sprachverständnis bei optimaler Hörgeräte-Versorgung 50 Prozent unterschreitet. Nach der Operation ist ein Hörtraining erforderlich, deshalb nimmt man diesen Eingriff nicht vor, wenn man hin und wieder mal etwas schlecht versteht. Die Ergebnisse, die wir mit den Implantaten erzielen, sind aber insgesamt sehr gut, und sie helfen auch gegen Ohrgeräusche: In 90 Prozent der Fälle ist mit einem Cochlea-Implantat auch der Tinnitus weg.

Von der Sehkraft heißt es, dass man sie trainieren kann. Gilt das auch fürs Gehör?

Ein Gehörschaden ist immer irreversibel. Wenn das Gehör erst einmal Schaden genommen hat, ist es zu spät.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Peter Plinkert
Geschäftsführender Direktor der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik am Universitätsklinikum Heidelberg