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Studierendenauswahlforschung

In Heidelberg werden im Wintersemester erstmals Studierende der Medizin aufgenommen, die sich dafür mit kommunikativen Fähigkeiten qualifiziert haben. Die Psychiaterin Professorin Sabine Herpertz, Studiendekanin der Medizinischen Fakultät Heidelberg und Ärztliche Direktorin der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg hat zusammen mit ihrem Team einen Test entwickelt, der dieses Talent erfasst. Im Rahmen der Interviewreihe „Medizin am Abend“ erklärt sie, wie es dazu kam.

Frau Professor Herpertz, der Volksmund sagt: Ein guter Arzt weiß, dass er nicht alles weiß. Was braucht es noch, um ein guter Arzt zu sein?

Patienten beantworten diese Frage anders als wir Ärzte. Auch Patienten wissen Fachwissen zu schätzen. Aber eine noch größere Rolle spielt für sie, dass Ärzte Interesse zeigen, dass sie sensibel und warmherzig sind.

Das klingt natürlich gut. Aber hilft das auch bei der Behandlung?

Interessanterweise tut es das tatsächlich. Je nach Studie steigt bei guter Kommunikation des Arztes die Bereitschaft des Patienten, dessen Hinweisen zu folgen, um 12 bis 18 Prozent. Aus Sicht des Patienten ist eine gute Beziehung zum Arzt mit einer Verbesserung der Symptomatik verbunden. Und auch faktisch sind Krankenhauseinlieferungen seltener, und sie müssen weniger Medikamente nehmen. Eine gute Arzt-Patienten-Beziehung wirkt sich also positiv auf die Behandlung aus.

Wer Medizin studieren will, braucht bisher ein gutes Abitur und muss gut in einem zusätzlichen Test abschneiden – an den meisten Universitäten ist das der sogenannte TMS-Test. Er fragt etwa nach der Ähnlichkeit von Mustern oder nach der Bedeutung dunkler Stellen in einem Röntgenbild. Sie sagen, das reicht nicht.

Es handelt sich um einen kognitiven Test. Er wird von Heidelberg aus koordiniert und seit vielen Jahren durch Forschungsprojekte begleitet. Was dieser Test allerdings nicht erfasst, ist die Fähigkeit des Arztes, sich Patienten zuwenden zu können. Diese Motivation, anderen Menschen zu helfen, kennzeichnet aber auch einen guten Arzt. Da wir in Heidelberg bereits zu Eignungstests fürs Studium geforscht haben, haben wir hierzu einen zusätzlichen Test entwickelt, den IKM-Test.

In Heidelberg sollen im Wintersemester erstmals 15 Studienplätze an Bewerber vergeben werden, die ausgeprägte sozial-kommunikative Fähigkeiten haben. Wie misst man das?

Im Allgemeinen kann man sagen, dass emotionale Verfügbarkeit über die Güte sozialer Beziehungen entscheidet, und in Heidelberg forschen wir hierzu. Nun war man auf der Suche nach Kriterien, die die Beziehung zwischen Arzt und Patient bewertbar machen. Wir haben einen Test entwickelt, der vier Fähigkeiten in den Blick nimmt: Das sind Sensibilität, Strukturiertheit, Grenzwahrung und Wohlwollen.

Und wie funktioniert der Test?

Wir haben uns Szenen mit Schauspiel-Patienten ausgedacht, die Bewerber nehmen die Rolle des Arztes ein. Patienten wollen beispielsweise eine Krankschreibung, die aus Sicht des Arztes aber nicht gerechtfertigt ist. Wie verhalten sich die Bewerber? Das beobachten und bewerten wir in vielen Situationen. Die Bewertung soll möglichst objektiv erfolgen. Deshalb haben wir die Juroren, darunter Hausärzte, Kinderärzte, ärztliche Psychotherapeuten und Psychologen, mit Förderung des Landes Baden-Württemberg gründlich ausgebildet.

Das läuft dann darauf hinaus, dass Sie einen kleinen Teil von Studierenden rekrutieren, weil sie vor allem nett sind?

Das wollen wir gerade nicht tun: Studierende aufteilen in solche mit Fachwissen und solche mit Empathie. Deshalb sollen nun diejenigen eine Chance bekommen, die zuvor schon im kognitiven Test ganz gut abgeschnitten haben, aber bei denen es auf diesem Weg nicht für einen Studienplatz gereicht hat.

Es heißt oft, Frauen hätten stärker ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten. Steht zu erwarten, dass vor allem sie in dem neuen Test gut abschneiden?

Bei der Erprobung des Tests und seiner Bewertung haben wir keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gefunden. Ein Zusammenhang besteht aber bei einschlägiger Berufserfahrung. Wer bereits als Hebamme oder als Sanitäter tätig war, hatte hier tendenziell bessere Ergebnisse.

In Heidelberg sollen nach der Anfangsphase etwa zehn Prozent der Bewerber wegen kommunikativer Fähigkeiten ausgewählt werden. Wann ist es so weit?

Wir haben zunächst mit einer kleineren Gruppe begonnen, wollen aber mit schrittweiser Erhöhung der Zahl der Juroren dann mehr Bewerber zum Test zulassen. Dann entscheidet sich alles Weitere.

Fragen auch andere Unis nach diesen Fähigkeiten?

Im Ausland gibt es das schon länger, etwa in Kanada, in Deutschland bisher nur in Hamburg und Münster. Grundlage ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019, das den Einsatz von Studierfähigkeitstests verpflichtend macht und ermöglicht, dass Medizinische Fakultäten auch eigene Tests einsetzen können.

Ist die Vorbereitung angehender Mediziner auf schwierige Situationen mit Patienten eigentlich auch Teil der Lehre?

In den Anfangssemestern gibt es ein Kommunikationstraining, später – vor allem im siebten, achten Semester – wird das noch intensiviert. Allerdings hat man gesehen, dass systematisches Training die Fähigkeiten zwar etwas verbessern kann, es sich aber kaum auf das Abschneiden in solchen Tests auswirkt. Mit diesem Test wollen wir also diejenigen entdecken, die in diesem Bereich von Anfang an Talent haben. Uns interessiert auch, ob diejenigen, die in dem Test gut abschneiden, auch später im Studium diejenigen mit guten Ergebnissen in diesem Fach sind.

Als Psychiaterin haben Sie selbst auch Medizin studiert. Hätten Sie sich mehr Training zur Kommunikation mit Patienten gewünscht?

Absolut. Weil es das damals in Bonn nicht gab, habe ich eine Studierendeninitiative zum Thema gegründet. Wir haben uns gesagt: Wir üben das unter uns.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Referentin

Professorin Dr. Sabine Herpertz,
Studiendekanin der Medizinischen Fakultät Heidelberg
Ärztliche Direktorin der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg