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Warum das Wort "Piks" Schmerzen begünstigt

Schmerzen sollen uns schützen, sorgen aber oft für Leid – manchmal auch dauerhaft. Das Schmerzzentrum am Heidelberger Universitätsklinikum behandelt Schmerzen aller Art. Im Rahmen unserer Interviewserie „Medizin am Abend“ erklärt dessen Leiter Privatdozent Dr. Jens Keßler, warum Schmerzen mal dumpf sind und mal brennen, wie man gegen sie vorgeht und warum Schmerzen auch ein Stückweit Kopfsache sind.

Was fasziniert Sie als Mediziner an Schmerzen Herr Dr. Keßler?

Akuter Schmerz möchte warnen. Wenn wir beispielsweise auf eine heiße Herdplatte fassen, spüren wir zunächst den Schmerz und dann erst die Hitze. Während andere Sinne wie der Geruchssinn sich an Reize gewöhnen, lässt der akute Schmerz erst durch Behandlung nach. Das fasziniert mich.

Schmerzen kann man nicht sehen und nicht messen. Wie schwierig ist die Behandlung?

Um den Schmerz greifbar zu machen, nutzen wir Skalen als Hilfsmittel, mit denen Patienten den Schmerz bestimmen. Schmerz hat mehrere Dimensionen, biologische, psychologische und soziale Faktoren spielen zusammen. Die Behandlung ist komplex. Oft ist es nicht damit getan, eine Tablette zu geben.

Schmerzen können in unterschiedlicher Form auftreten, beispielsweise dumpf oder stechend sein. Wovon hängt das ab?

Wir unterscheiden zwei Arten von Schmerzen, die sich auf unterschiedliche Art bemerkbar machen. Wenn man sich mit dem Hammer auf den Daumen schlägt, gelangt der Schmerzimpuls über den Arm ins Rückenmark und dann ins Gehirn. Wir empfinden einen dumpfen und drückenden Schmerz, den wir als nozizeptiven Schmerz bezeichnen. Im Unterschied dazu fühlt sich der neuropathische Schmerz ganz anders an, er kribbelt und brennt wie Feuer. Bei neuropathischen Schmerzen, die zum Beispiel infolge einer Gürtelrose auftreten, sind Nerven geschädigt. Diese Schmerzen sind schwerer zu behandeln.

Wie subjektiv ist denn eigentlich unser Schmerzempfinden?

Wenn Sie zum Zahnarzt gehen, erleben Sie das anders als ich. Schmerz ist hochindividuell und hängt von vielen Dingen ab. So ist von Stress und Angst etwa bekannt, dass sie Schmerzen verstärken. Aus diesem Grund geben wir vor Operationen immer ein Medikament, das hilft, sich von dem Stress zu distanzieren. Das macht ihn auch körperlich besser erträglich. Körper und Psyche hängen eng zusammen.

Heißt das, dass Schmerz eine Kopfsache ist?

So einfach ist es nicht: Wenn Sie sich in den Finger schneiden und das weh tut, ist das nicht bloß Kopfsache. Aber der Kopf nimmt Einfluss. Eine Studie hat das Schmerzempfinden bei Menschen untersucht, die eine Spritze bekamen. Wenn der Arzt sagt: „Ich beginne“ und nicht: „Achtung, gleich pikst es“, verspüren die Menschen 40 Prozent weniger Schmerzen.

Auch bei chronischen Schmerzen scheint der Kopf eine Rolle zu spielen: Menschen mit Depressionen und Ängsten sind oft auch Schmerzpatienten.

Deshalb wäre es verkehrt, Schmerz zu behandeln und nicht nach Depression und Angst zu fragen. Darüber hinaus ist es ein Teufelskreis: Wenn die Schmerzen so stark sind, dass man nicht schlafen kann und die Erholung fehlt, empfinden wir die Schmerzen am nächsten Tag noch intensiver. Dieser Stress wiederum belastet die Psyche, oft zusätzlich zu anderen Dingen. Bei der Behandlung sind deshalb auch die Patienten gefordert: Es ist anstrengender zu überlegen, ob einen etwas belastet, als eine Pille zu schlucken.

Wie gehen Sie im Schmerzzentrum vor, wenn Patienten mit Schmerzen zu Ihnen kommen?

Wenn Patienten mit chronischen Schmerzen zu uns kommen - egal, ob sie der Rücken plagt oder ein Tumor die Schmerzen verursacht -, erarbeiten wir gemeinsam mit Pflegenden und ärztlichem Personal ein Therapiekonzept. Es ist interdisziplinär und kann vorsehen, andere Spezialisten vom Klinikum hinzuziehen, aber auch von außerhalb. Etwa wenn Physio- und Psychotherapie oder auch Entspannungstechniken wie die progressive Muskelentspannung die Schmerzbehandlung unterstützen.

Sie sind von Haus aus Anästhesist. Gibt es Methoden aus diesem Bereich, die in Ihrem Zentrum angeboten werden?

Mithilfe von hochauflösendem Ultraschall können wir schmerzende Nerven erkennen und medikamentös blockieren. Das ist ein wichtiges Verfahren aus der Anästhesie, es kommt beispielsweise infrage bei Verletzungen oder auch bei Morbus Sudeck, einem Schmerzsyndrom, das selten in der Folge dieser Verletzung auftreten kann.

Erkennen Sie in der Schmerzforschung Behandlungsmethoden, die besonders vielversprechend sind?

Im Bereich der medikamentösen Therapie wird untersucht, wie Patienten Medikamente verstoffwechseln, um die Dosis individuell abzustimmen und ein günstiges Risiko-Nutzen-Verhältnis zu erreichen. Das ist aufwändig, aber vielversprechend. Im Moment ist das in der breiten Anwendung aber noch Zukunftsmusik.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

PD Dr. Jens Keßler
Leiter der Sektion Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg