Newsroom Events Medizin am Abend 2024 104. Die Prävention von…

Der Rohrreiniger unter den Ärzten

Gefäßchirurg Prof. Dr. Dittmar Böckler informierte bei “Medizin am Abend” über Durchblutungsstörungen als Volkskrankheit.

Was haben ein Gefäßchirurg und Calgonit gemeinsam? Beide entfernen Verstopfungen. Denn so wie ein Rohr können auch die Gefäße durch Ablagerungen verengt sein. "Alles im Fluss" war darum auch der Titel der jüngsten Ausgabe von "Medizin am Abend", der gemeinsamen Veranstaltungsreihe von Rhein-Neckar-Zeitung und Universitätsklinikum.

Dittmar Böckler, Professor für Gefäßchirurgie im Neuenheimer Feld, verstand sein reichlich erschienenes Publikum mit gut verständlichen Ausführungen zu Krankheiten, ihrer Diagnostik und Behandlung nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten. Und so lernten die Zuhörer bis zum Ende des Abends nicht nur den menschlichen Körper, sondern auch einen gefäßchirurgischen Operationssaal besser kennen.

"Gefäßerkrankungen sind eine Volkserkrankung", führte der Referent in sein Thema ein, dessen Bedeutung wachsen dürfte. "2030 wird ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland älter als 60 Jahre sein" – das ist das Alter, das seine Patienten üblicherweise haben. Aber was sind Gefäßerkrankungen überhaupt? Pathologische Veränderungen der Arterien, Venen und Lymphgefäße, könnte die sperrige Antwort lauten.

Damit man sich darunter aber auch etwas vorstellen kann, zog Böckler einen einfachen Vergleich herein. "Dieses Foto zeigt kaputte Wandfliesen, die gebrochen sind. Genau das passiert im Gefäßsystem, wenn es krank wird und verkalkt." Was mit einer brüchigen Gefäßwand beginnt, kann sich zu einer Thrombose ausweiten, wobei ein Blutgerinnsel den Blutfluss stört; das kann gefährlich werden.

Mit seinem Vortrag stattete Böckler sein Publikum mit vielen wissenswerten Fakten rund um sein Thema aus ("9000 Liter Blut werden täglich durch den Körper gepumpt, durch 95.500 Kilometer Arterien und Venen"), er wies auf das Zusammenwirken mit anderen Krankheiten hin ("Diabetes schädigt die Gefäße, bei Diabetikern ist das Risiko einer Gefäßverkalkung drei- bis viermal höher"), und er machte verständlich, wie seine Disziplin arbeitet, wenn sie geschädigte Gefäße repariert ("Wir haben viele Bildschirme, viel Hightech").

Mit seinen Ausführungen zu Operationsverfahren verlangte Böckler – der als Mediziner übrigens nicht nur ein Examen aus Deutschland, sondern auch eines aus Amerika sowie aus Südafrika hat, wie Kliniksprecherin Stefanie Seltmann in ihrer Begrüßung erwähnte – seinem Publikum starke Nerven ab. So zeigten Fotos, wie er eine Halsschlagader ausschält oder eine geweitete Bauchschlagader versorgt. "Wer das nicht sehen kann, guckt kurz weg", warnte er die Zuhörer vor.

Im Operationssaal hat sich allein seit Böcklers vorangegangener Folge von "Medizin am Abend" vor drei Jahren einiges getan. Dazu gehört, dass Prothesen für die Gefäße besser geworden sind und er den Einsatz von Mixed-Reality-Brillen erprobt. Weitere Neuerungen sind zu erwarten, darunter der Einsatz von Robotern sowie von sogenannten digitalen Zwillingen. "Der Computer vergleicht Daten von Patienten, an die ich mich vielleicht nicht mehr erinnern kann", erklärte er.

Im Anschluss hatte das Publikum wie immer Gelegenheit, Fragen zu stellen – etwa danach, ob nicht nur Rauchen, sondern auch Alkohol die Gefäße schädigt. Auf Böcklers Antwort folgte Erleichterung. Denn zumindest für die Gefäße gehört Alkohol ausnahmsweise mal nicht zu den ganz großen Risikofaktoren – von den Gerbstoffen gehe sogar ein schützender Effekt aus, so der Mediziner.

Hintergrund

> Diagnostik: Eine Methode, mit der sich Durchblutungsstörungen einfach, schnell und schmerzfrei feststellen lassen, ist die Ermittlung des Knöchel-Arm-Indexes. Dabei wird der Blutdruck am Knöchel durch den Blutdruck am Arm geteilt. Wenn dieser Quotient weniger als 0,9 beträgt, liegt eine Durchblutungsstörung der Extremitäten vor, eine sogenannte periphere arterielle Verschlusskrankheit.

> Häufigkeit: Eine solche Durchblutungsstörung tritt vor allem im höheren Alter häufig auf. Laut der Deutschen Herzstiftung sind bei jedem fünften Über-70-Jährigen die Beine (deutlich seltener die Arme) schlecht durchblutet.

> Risikomarker: Weil eine Durchblutungsstörung der Extremitäten selten isoliert auftritt, kann ein niedriger Knöchel-Arm-Index auch Hinweise darauf geben, dass der Blutfluss zum Herz oder zum Gehirn gestört ist, was lebensgefährlich sein kann. "Bei einem niedrigen Wert sollte man einen Kardiologen und einen Neurologen zur weiteren Abklärung aufsuchen", rät darum Dittmar Böckler.

Beitrag: Julia Lauer, RNZ

Das Gefäßsystem sorgt im Körper dafür, dass Blut mit Sauerstoff und Nährstoffen zu sämtlichen Organen und Weichteilen gelangt. Die Gefäßchirurgie zielt darauf ab, diese Funktion sicherzustellen. Dittmar Böckler, Professor für Gefäßchirurgie am Heidelberger Universitätsklinikum, erklärt im Rahmen von “Medizin am Abend” wie das funktioniert.

Herr Prof. Böckler, minimalinvasive Operationen gibt es auch in der Gefäßchirurgie. Sind sie heute Standard?

Vor 20 Jahren haben wir in der Gefäßchirurgie erstmals minimalinvasiv operiert, seither entwickeln sich diese sogenannten endovaskulären Verfahren ständig weiter. Die Bildgebung vor und während der Operation wird immer besser, die Gefäßprothesen werden immer vielfältiger und haltbarer. Ob wir minimalinvasiv operieren, hängt vom Patienten, seinen Risikofaktoren und seinem Behandlungswunsch, vor allem aber von der Gefäßanatomie ab.

Bei der Bauchschlagader operieren wir in 80 Prozent der Fälle minimalinvasiv, und wenn etwa die Brustschlagader bei einem Aneurysma erweitert ist und zu platzen droht, sogar ausschließlich. Bei Eingriffen am Aortenbogen – das ist der Bereich, in dem die Hauptschlagader das Herz verlässt – erfolgt jede fünfte Operation minimalinvasiv.

Was kann man sich in der Gefäßchirurgie überhaupt unter minimalinvasiver Technik vorstellen?

Minimalinvasiv bedeutet in unserem Fall nicht, dass wir mit Hilfe eines Roboters operieren, so wie es in anderen Fachbereichen häufig geschieht. Bei uns bedeutet minimalinvasiv, dass wir durch die Haut ins Gefäßsystem gehen und mit Draht, Kathetern und Stents Gefäßverengungen, -verschlüsse oder eben auch Aneurysmen von innen behandeln. Dies ist insbesondere für ältere Menschen viel schonender.

Von welchen Dimensionen sprechen wir?

Der Zugang zur Aorta, der Hauptschlagader, erfolgt oft über die Leiste, Ellenbeuge oder die Achselhöhle. Die Leistenschlagader beispielsweise hat einen Durchmesser von sechs, sieben Millimetern. Die Hauptschlagader, zu der wir wollen, ist größer, zweieinhalb bis vier Zentimeter. Die Prothesen müssen also durch einen sieben Millimeter schmalen "Kanal", um am Einsatzort einen Durchmesser von mehreren Zentimetern zu entfalten.

Dazu werden sie verpackt, ähnlich wie die Mine in einem Kugelschreiber. Über Röntgenstrahlen stellen wir sicher, dass die Prothese während der Operation auf den Millimeter genau platziert wird. Wir haben bestimmt 50 Typen von Stents vorrätig, in den unterschiedlichsten Größen, um Gefäßerkrankungen individuell auch im Notfall behandeln zu können.

Haben die minimalinvasiven Methoden nur Vorteile für die Patienten?

Sie haben nicht nur Vorteile, aber mehr Vorteile als Nachteile. Mit der Nadel einen kleinen Zugang zu legen, ist schonender als eine offene Operation. Bei einer offenen Operation der Hauptschlagader beispielsweise müssen wir den Bauchraum oder Brustkorb öffnen, die Hauptschlagader für 30 bis 60 Minuten vorübergehend ausklemmen, sodass kein Blut mehr in Beine oder Organe fließt. Das kommt nicht für jeden Patienten in Frage. Minimalinvasive Techniken ermöglichen uns deshalb auch, Patienten zu behandeln, die für eine offene Operation zu krank wären. Aber die Verfahren haben auch einen Nachteil...

Welchen?

Bei zehn Prozent der Patienten sind Nachbesserungen notwendig. Außerdem haben wir noch wenig Wissen zum Langzeitverlauf, deshalb ist eine lebenslange Nachsorge notwendig. Denn wenn wir einen Stent minimalinvasiv in das Gefäßsystem einbringen, muss er sich an der richtigen Stelle selbst im Gefäß verankern – anders als bei einer offenen Operation, bei der wir die Gefäßprothese festnähen. Dass wir nach minimalinvasiven Therapien im weiteren Verlauf doch häufiger einschreiten müssen, ist momentan die Achillesferse der minimalinvasiven Methode.

Sie operieren häufig die Halsschlagader. Wenn sie verengt ist, erhöht dies das Schlaganfallrisiko. Erreichen Sie sie auch über den minimalinvasiven Weg?

Ja, sicher. Die klassische Operation – übrigens immer noch der "Goldstandard" – erfolgt in örtlicher Betäubung über einen fünf Zentimeter langen Hautschnitt. Die Kalkablagerung als Ursache des Schlaganfalles wird komplett entfernt. Diese Operation ist besonders effektiv bei einer Verengung über 70 Prozent oder mehr. Alternativ kann man in bestimmten Situationen über die Leistenarterie auch bis zur Halsschlagader gelangen. Ein Ballon und Stent drücken die Engstelle weg. Auch so kann man Schlaganfälle behandeln oder vorbeugen.

Rund fünf Prozent der Schlaganfälle sind tödlich, 25 Prozent hinterlassen bleibende Schäden mit Pflegebedürftigkeit. Im Ultraschall lässt sich eine Verengung feststellen. Warum ist Vorsorge hier nicht üblich?

Die Prävention wird tatsächlich noch immer vernachlässigt. Die Fachgesellschaften und Schlaganfallexperten arbeiten an der wissenschaftlichen Grundlage für ein Screening. Wer mit einem Risiko behaftet ist – dazu zählen männliches Geschlecht, höheres Alter, Schlaganfälle in der Familie, Bluthochdruck, hohe Werte bei den Blutfetten –, kann einen Ultraschall bei einem niedergelassenen Gefäßchirurgen,

Angiologen oder Neurologen in Anspruch nehmen, wenn auch als Selbstzahler-Leistung. Die Fachgesellschaft hat sich aber bereits mit Erfolg für eine Früherkennung von Aneurysmen der Bauchschlagader eingesetzt. Gesetzlich versicherte Männer ab 65 Jahren haben hier seit 2018 Anspruch auf eine einmalige Ultraschalluntersuchung.

In diesem Jahr haben Sie das Zentrum für seltene Gefäßerkrankungen gegründet, auch andere Disziplinen sind beteiligt. Mit welchen Krankheiten haben Sie es dort zu tun?

Wir behandeln beispielsweise Patienten mit seltenen Glomus-Tumoren am Hals, weil hier auch Gefäße beteiligt sind, oft zusammen mit unseren HNO-Kollegen. Zusammen mit der Herzchirurgie versorgen wir auch Patienten mit dem Marfan-Syndrom, einer erblich bedingten Erkrankung, bei der die Gefäßwände einreißen oder sich zum Aneurysma erweitern. Verschiedene Disziplinen bündeln hier ihr Wissen. Das haben wir auch vorher schon getan, aber mit der Gründung eines Zentrums professionalisiert. Patienten aus ganz Deutschland suchen uns auf.

Vorhin sagten Sie, einen Roboter nutzen Sie nicht. Wie sieht es damit in Zukunft aus?

In Zukunft wird es möglich sein, Gefäß-Prothesen mit Hilfe von Robotik im Körper des Patienten zu steuern. Für Patienten wird die Operation noch sicherer, weil ein Roboter stabiler und mit geringerer Manipulation assistiert. Auch für uns Operateure wäre das von Nutzen. Denn wir stehen wegen der Röntgenstrahlung oft viele Stunden täglich in einer schweren Bleimontur im OP.

Beitrag: Julia Lauer, RNZ

Abgestimmte Teamarbeit

Gefäßchirurgie und endovaskuläre Chirurgie

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Excellent together: Ob Universitätsmedizin oder Klassik – ein interdisziplinäres OP-Team harmoniert wie ein Orchester aus brillanten Musikern, wie dieses Video schön veranschaulicht.

Impressionen des Abends

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Referent

Professor Dittmar Böckler
Ärztlicher Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg